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Kunstsymposium nach Nan Goldin-ProtestenAufrüsten und stillstehen

In Berlin fand ein Symposium über Kunst und Aktivismus zur Ausstellung der Künstlerin Nan Goldin zwar statt, wurde aber durch Boykottaufrufe abgewürgt.

Einfach nur skandieren: Applaus für Künstlerin Nan Goldin nach ihrer Brandrede in der Neuen Nationalgalerie Berlin Foto: Matthias Reilelt/imago

Kulturveranstaltungen sind zu einem Kampfplatz geworden, real und vor allem digital. Auch an diesem Sonntag schien man sich in Berlin für heftigste Auseinandersetzungen gewappnet zu haben. Eine streng dreinblickende Security-Garde verbarrikadierte den Glas­eingang der Scharoun’schen Staatsbibliothek, scannte Taschen und Jacken, als bestünde die Gefahr eines Terroranschlags. Drinnen trat die sonst schick gekleidete Presseverantwortliche in robusten Multifunktionsklamotten auf, scheinbar für jeden Einsatz bereit.

Als an diesem Sonntag ein Symposium mit dem Titel „Kunst und Aktivismus in Zeiten der Polarisierung“ zur Ausstellung der US-amerikanischen Künstlerin Nan Goldin in der Neuen Nationalgalerie und nur einige Meter von ihr entfernt ausgerichtet wurde, war ihm schon ein Eklat nach dem anderen vorausgegangen. Zuletzt bei Goldins Eröffnungsrede am Freitagabend, als die Tochter einer jüdischen Familie meinte, was sie in Gaza sehe, erinnere sie an die Pogrome, denen ihre Großeltern entkommen seien. Es folgte, was mittlerweile schon ein Ritual geworden ist: Menschen, verhüllt mit Palästinensertuch und Coronamaske, skandierten „Fuck Israel“ oder „Free, free Palestine“, überbrüllten den Direktor der Neuen Nationalgalerie, Klaus Biesenbach, als der nach Goldins Auftritt zumindest Widerrede geben wollte. Die sozialen Medien waren voll davon am nächsten Tag.

Nan Goldin ist eine große Fotokünstlerin. In den siebziger und achtziger Jahren tauchte sie in die Subkultur New Yorks ein und dokumentierte mit ihren Bildern ein zerbrechliches Leben zwischen Sucht und Suche, Aids-Epidemie, Selbstzerstörung und Gemeinschaft auf eine warme, unmittelbare Weise. Ihre Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie mit dem Titel „It won’t end well“ ist traurig und schön. „Das Kunstwerk ist oft schlauer als die Künstlerin“, sagt während des Symposiums dann der Theatermann Remsi Al Khalisi. Das gilt wohl auch für Goldin, die Aktivistin, die in den USA erfolgreich gegen das Kultursponsoring der Pharmakonzern-Familie Sackler antrat – und seit dem 7. Oktober 2023 gegen den Staat Israel. Goldin versteht sich als Antizionistin, unterstützt die Israel-Boykottbewegung BDS. Darum wissend ließ Biesenbach ebenjenes Symposium ausrichten, kuratiert vom jüdisch-muslimischen Paar Saba Nur-Cheema und Meron Mendel.

Es hätte schmerzlich werden können

Es ging um die Rolle des Nahostkonflikts im Kunst- und Kulturbetrieb und um kulturellen Boykott, war ursprünglich sehr konträr besetzt. Die Diskussionen hätten schmerzlich werden können, aber vielleicht hätten endlich mal Argumente ausgetauscht werden können, wo sich doch seit über einem Jahr die Fronten vor allem durch Schlagworte auf Instagram verhärten: Die um Antisemitismuskritik bemühte Hito Steyerl war geladen, und die jüdisch-südafrikanische Künstlerin Candice Breitz, deren Ausstellung im Saarlandmuseum letztes Jahr nach ihren israelkritischen Äußerungen abgesagt wurde, der Architekt-Autor-Aktivist Eyal Weizman und der Fotograf Raphael Malik, dessen Schau über muslimisches Leben in Berlin kurz nach dem 7. Oktober nicht eröffnet werden konnte.

Es cancelten sich diejengen selbst, die sonst vom Silencing sprechen

Doch die zum Boykott deutscher Kulturinstitutionen aufrufende Gruppe Strike Germany hatte erfolgreich zugeschlagen. Selbst hinter der Anonymität eines Instagram-Accounts versteckt (ja, wer verbirgt sich denn dahinter, wüsste man gerne), forderte die Gruppe ein „Shut it down“ der Veranstaltung, bezeichnete Hito Steyerl als „bekannte, antideutsche Künstlerin“. Nan Goldin sah offenbar keinen Widerspruch darin, sich von öffentlichen, deutschen Geldern eine opulente Schau mitfinanzieren zu lassen und gleichzeitig Strike Germany mit ihren Likes zu versorgen. Zunächst sprang Hito Steyerl ab, dann cancelten sich reihenweise all jene selbst, die dem deutschen Kulturbetrieb seit dem 7. Oktober 2023 ein „Silencing“ israelkritischer Stimmen vorwerfen: Candice Breitz oder Eyal Weizman. Als dann das hoch gerüstete Symposium tatsächlich stattfand, gab es gar keinen Grund mehr für die Ausrüstung: kaum streitbare Positionen, wenig Gegensätze, gesittetes Publikum.

„Man sagte mir, ich könne in einem Saal vor 450 Leuten sprechen, und was ich sehe, sind dünn besetzte Reihen“ ist Ruth Patir dann beim Panel enttäuscht. Die Künstlerin, die den israelischen Pavillon bei der diesjährigen Kunstbiennale in Venedig bespielt hatte, hätte gerne die argumentative Konfrontation mit denjenigen gehabt, die etwa zuvor unter dem Namen Art Not Genocide Alliance (ANGA) auf Instagram mit reger digitaler Unterstützung der internationalen Kunstwelt die Schließung ihrer Ausstellung forderte. Und tatsächlich hat sie nie eröffnen können.

Ruth Patir erzählt, wie sie derzeit als Professorin an der Kunsthochschule in Tel Aviv zunehmend kulturell isoliert wird, sie ihren Stu­den­t:in­nen etwa die Kunst einer Nan Goldin gar nicht zeigen kann – weil sie an einer israelischen Kulturinstitution arbeitet. Ein Austausch sei auch im Westjordanland nicht möglich, betont wiederum der palästinensische Künstler Osama Zatar, in der abgeschirmten Region gebe es kaum eine kulturelle Infrastruktur.

Gefährliche Allianzen

Sollten dann wiederum diejenigen boykottiert werden, die zum Boykott aufrufen, war eine Frage an Remsi Al Khalisi. Man müsse in jedem Einzelfall genau schauen, antwortet der, wie radikal die Person wirklich ist. Das hatte wohl die Kuratorin María Inés Plaza Lazo übersehen, als sie, der die unrühmliche Rolle zukam, alle nun nicht mehr am Symposium teilnehmenden, israelkritischen Stimmen zu subsumieren, die Ak­ti­vis­tin Hebh Jamal als eines der auch von Goldin zitierten 180 Cancel-Opfer deutscher Kulturinstitutionen beklagte. Jamal hatte sehr bald nach dem 7. Oktober 2023 den Terroranschlag der Hamas auf Tiktok damit gerechtfertigt, „Dekolonialisierung“ sei eben „schmutzig“, aber „absolut notwendig“. Wo bleibt bei solch harten Formeln noch die Menschlichkeit? An die appellierte auch taz-Redakteur Andreas Fanizadeh und erinnerte: Willentlich oder unwillentlich würden Ak­ti­vis­t:in­nen mit Aussagen wie denen von Hebh Jamal auch gefährliche Allianzen eingehen. Das theokratische Regime im Iran würde von derartigen postkolonialen Verdrehungen des Nahostkonflikts nur profitieren.

Aber eine BDS-Resolution oder eine Antisemitismusklausel, das sahen die meisten Panelisten so, könne Antisemitismus nicht aufhalten. Antisemitismus sei eine Kulturtechnik, man müsse sich mit ihm ästhetisch auseinandersetzen, forderte der Künstler Leon Kahane. Dennoch fehlten diejenigen auf dem Podium, die sonst in Hintergrundgesprächen und anonymen Social-Media-Kommentaren postulieren, solch Resolutionen würden den Kulturbetrieb in Deutschland regelrecht aussieben. Findet das wirklich statt? Wie? Das wüsste man gerne.

Auch Nan Goldin hätte sprechen können, an dem Tag. Warum wollte sie das nicht? Weil das Symposium zwar in ihrem Wissen, aber nicht mit ihrer Erlaubnis organisiert wurde, was das gute Recht einer jeden, autonomen Kulturinstitution ist? Diese Autonomie hatte die Neue Nationalgalerie auch versucht, am Sonntag zu behaupten. Doch der Boykottaufruf von Strike Germany hat ganz schön an ihr gesägt. Das bedeutet vor allem Stillstand in der Kultur. Menschenleben in Gaza werden dadurch nicht gerettet.

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10 Kommentare

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  • Beide Seiten - fundamental identitätspolitisch / identitär - müssen ihr Verhältnis zu Gewalt und Individuum in einem innermenschheitlichen Dialog klären, bzw. legitimieren.



    Das Gerede von der Kolonie und mittels Antisemitismusformeln bleibt uns das schuldig.



    Der Unterschied von Kunst und Aktivismus wäre auch noch zu klären: Aktivismus geht instrumentelle Abkürzungen, Kunst nicht.



    Omri Boehms Einwurf des radikalen Universalismus und sein Entwurf der Republik Haifa setzte die Auseinandersetzung radikal in die Perspektive menschlicher Würde.



    Meinen Respekt nur jenen, die an und auf Friedensprozesse (hin) arbeiten.

  • "Menschenleben in Gaza werden dadurch nicht gerettet." Schon eine sehr hohe Anforderung die man da an Zivilisten stellt. Wie sollen sie denn Leben retten in Gaza? Das sollte doch Aufgabe der Politik sein, die so ziemlich komplett versagt und durch ihre derzeitige Auslegung der Staatsräson wohl sogar noch das Gegenteil bewirkt. Oder wie sieht es mit der deutschen Presse aus, die ja zumindest alle Informationen liefern sollte, kritisch hinterfragen sollte, eigene Recherchen anstellen sollte und die Politik zur Verantwortung ziehen sollte- wieviele Menschenleben haben die in Gaza gerettet? Ich schreibe mit Absicht sollte, denn gerade in den ersten 6 Monaten dieses Krieges kann man durchaus in Frage stellen ob das tatsächlich so passiert ist. Ihr Kollege Fabian Goldmann hat es im Titel eines Artikel treffend gesagt "Medien und Nahost- Anatomie eines Systemversagens" oder auch sein Artikel zu den Krankenhäusern in Gaza. Beide Artikel zeigen anhand von Beweisen und internationalen Presseberichten das andere einen besseren Job gemacht haben in Bezug auf eigene Recherchen und Hinterfragung des Narrativs der israelischen Armee/ Politik, manchmal erst nach einem Ereignis aber immerhin.

    • @Momo Bar:

      Menschenleben hätten gerettet werden können, wenn UNRWA die Bildung von Kindern nicht in die Hände der Hamas gelegt hätten.

      Z.b. der Anführer der Lehrer*innengewerkschaft, welcher der Militärische Führer der Hamas im Libanon war.

      In ihren Einrichtungen indoktrinieren Hamas und mit ihr sympathisierende Lehrer*innen Kinder, es gibt keinen funktionalen Mechanismus dagegen wie es ihn an deutschen Schulen gibt.

      unwatch.org/hamas-...wa-teachers-union/

      Dies ist systematisch. Um das zu ändern muss entweder UNRWA eingestellt werden, oder ihre Führung ausgetauscht werden und ihr Lehrkörper übergehen in internationalistisch, friedensorientiert eingestellt nicht militante Expert*innen die nur zu einem Bruchteil arabisch Palästinensisch sein dürfen.

      Es braucht eine Ent-Hamasifizierung, danach können mehr, aber nicht die Mehrzahl des Führungspersonals durchaus wieder arabisch Palästinensisch sein.

    • @Momo Bar:

      Stimmt, auch die Presse wird keine Menschenleben retten, durch Berichterstattung aber zumindest im Ansatz eine Übersicht verschaffen (und je nach Zeitung in entsprechender Qualität).



      Der Vorteil ist, dass ich einen Artikel in Ruhe lesen, den Inhalt erstmal verstoffwechseln und entscheiden kann, ob noch mehr Infos nötig sind, um ein gefühlt gut umfassendes Bild zu haben.



      Ich wage zu bezweifeln, dass die Teilnehmenden von Brüll-Aktionen Interesse am ausdifferenzierten Austausch haben, denn sonst wären sie nicht so laut. Es wird lediglich angeklagt, beschuldigt, es wird sich den Tod an den Hals gewünscht und es nimmt - wie dieser Scheißkrieg - kein Ende.



      Und mittendrin haben wir dann noch die Hanswürste, die bei dreadlocks und vietnamesischen summer rolls von kultureller Aneignung faseln, nun aber mit Kufijas dekoriert die Hamas für ihren Überfall abfeiern, der all das beinhaltet, wogegen man hierzulande angeblich engagiert kämpft (z B Femizide).



      Es fällt mir zunehmend schwer, das ernst zu nehmen und das ist bestimmt nicht gut.

  • »silencing«, »canceling« - dolle Begriffe, unter denen im Prinzip nichts anderes mehr stattfindet, als sich gegenseitig niederzubrüllen. Das vernichtet nicht nur den notwendigen Diskurs, sondern ist auf Dauer sehrsehr langweilig, weil sich alle nur noch um sich selbst drehen: Wer findet wen Scheiße, wer darf hier was sagen, wer soll rausgehen und sollte auch nicht wieder reinkommen. Kaum kommt ein kurzer Austausch zustande, steht die nächste Gruppe da und brüllt. Es ist interessant und schockierend zu sehen, dass Leute in irgendwelchen sozialen Netzwerken z B die Position Irans einnehmen und finden, dass das Massaker der Hamas am 7. Oktober ein willkommener Ansatz ist, Kolonialismus zu bekämpfen.



    Wie dieses Vorgehen Menschenleben in Gaza retten und das Bombardement beenden soll? Meine Vermutung: Gar nicht.

  • Frieden beginnt mit Verständnis,



    Verständnis kann nur im Austausch entstehen.



    Wer dazu nicht bereit ist, ist offenbar nicht an einer Lösung orientiert.



    Das ist eine völlig undemokratische Position,



    wer sich der Diskussion verweigert, disqualifiziert sich selbst.

  • Danke für diesen Artikel und die Informationen, die in Zeiten des Geschreis wohltuend ausgeglichen daherkommen.

  • Es ist deprimierend - sagt aber auch viel aus, dass hier der Dialog verweigert wird, obwohl gerade die Kuratoren - ein jüdisch-muslimisches Paar - ein Beispiel sind, dass man mit verschiedenen Ansichten in manchen Fragen dennoch miteinander "auskommen" könnte.

    Es ist aber immer die gleiche Seite (bzw. der lauteste Teil dieser Seite), der einerseits meint, nicht gehört zu werden und anderseits an Diskussionen nicht teilnimmt, wo auch andere Meinungen zu hören sind oder diese anderen Meinungen niederbrüllt.

    Meint man wirklich, so irgendeiner Sache zu dienen?

    • @Dr. McSchreck:

      Der Punkt ist, manche Diskussionen brauchen einen Ausgleich der Macht des



      Sagbaren. Dies ist hier genauso wenig vorgegeben wie in vielen anderen Diskussionen ist, wegen Kolonialismus, Rassismus, etc... Nur wenn das vorausgesetzt ist kann wirklich diskutiert werden... Anderseits wird es immer ein Monolog der, leider, stärkeren deutschen Perspektive sein, wie dieses Artikel leider fortführt.

  • Weil das Symposium zwar in ihrem Wissen, aber nicht mit ihrer Erlaubnis organisiert wurde, war sie nicht bereit zu reden? Hallo, was denkt sie denn wer sie ist? So viel undemokratisches Gehabe stößt nur ab. Ausserdem ist Niederschreien kein Argument. Vielleicht sollte sie ihre Kunst dort zeigen, wo man sich mit ihr bedingungslos solidarisiert.? Ich denke das wäre eine Lösung, da Diskussionen mit dem Austausch von Meinungen ja anscheinend in den Kreisen (BDS, wer immer das sein mag) in ihren Kreisen garnicht gewollt ist.