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Kunstbiennale an der NordseeSich gegen den Rhododendron behaupten

In diesem Sommer findet die zweite Ausgabe der Ostfriesland Biennale statt. Was kann die bildende Kunst auf dem platten Land?

Ob Stefan Marx für diese Bauzaun-Installation in den Himmel kommt? Zu sehen im Schloßpark Evenburg Foto: Sophie Erlund

In der verhutzelten Fußgängerzone von Norden hat sich eine Menschentraube vor dem ehrwürdigen Café Remmers eingefunden, einem der wenigen Läden, dessen Gemütlichkeit der bürgerlichen Architektur entspricht, die sich mit verzierten Backsteingiebeln über die Ladenzeilen streckt.

Es ist ungewöhnlich warm für die Jahreszeit und ostfriesische Verhältnisse, viele der Anwesenden haben ihre leichten Windjacken in gedeckten Farben schon um die Hüften geknotet. Durchbrochen wird die Menge von jungen Erwachsenen in gelben Regenmänteln. Die „Friesennerze“ kennzeichnen ihre Träger als Studierende der Klasse Hummer & Wild der Hochschule für bildende Künste Hamburg.

Plötzlich wird es laut, jemand pfeift, eine Kiste wird geöffnet, zwei Personen in campy Plastikkleidern, grellem Make-up und knalligen Perücken treten auf den Plan, ein junger Mann holt drei Plastikbecher aus einer Schatzkiste. Irgendwie wird es hektisch, Leute rennen und verschwinden im Café. Betrachtende folgen zögerlich, im Publikum wird gelacht, zuweilen die Stirn gerunzelt, mit den Schultern gezuckt, getuschelt. So ganz erschließt sich die Performance nicht. Das hier ist Kunst, das ist klar – und die ist in der hiesigen Fußgängerzone nicht immer selbstverständlich, auch das scheint klar. Dabei liegt der Kunstverein nur einen Block die Seitenstraße hinunter.

Die Performance ist Teil der Ostfriesland Biennale

Das Spektakel in der Fußgängerzone ist Teil der Ostfriesland Biennale, die diesen Sommer zum zweiten Mal stattfindet und Kulturinstitutionen des Landstrichs verbindet: von Wilhelmshaven bis Uithuizen in den Niederlanden. Dass sie überhaupt stattfindet, kam überraschend, war die erste Ausgabe der eigentlich auf einen zweijährigen Rhythmus angelegten Ausstellung doch schon drei Jahre her. Dies hatte organisatorische Gründe, wie die Kuratorinnen Ina Grätz und Silke Oldenburg betonen, die gemeinsam mit Willem J. Müller den Vorstand des gemeinnützigen Vereins Ostfriesland Biennale e. V. bilden, der hinter der Initiative steht.

In Norden geht es um junge Positionen, die Künst­le­r:in­nen­lis­te im Wasserschloss Lütetsburg ist hingegen ganz anders: Im weitläufigen und fraglos umwerfenden Schlosspark des Häuptlingsgeschlechts Inn- und Knyphausen (heute im Besitz des CDU-Mitglieds Tido Graf zu Inn- und Knyphausen) lassen sich versteckt Skulpturen der international renommierten Künst­le­r:in­nen Olaf Breuning, Stefan Marx und Shannon Finnegan finden.

Leider können sich ihre Werke kaum gegen die Schönheit der meterhohen Rhododendren behaupten. Insbesondere das von Marx, ein an einem Bauzaun montiertes Banner mit den Worten „The air is pink and blue and dotted with white“ in einer für ihn typischen, gemalten Typografie steht verloren auf der Wiese. Zu improvisiert wirkt die Installation, zu redundant die Worte in einem Park, in dem einem schwindelig werden kann ob der Farben, Klänge und Düfte der teils hochmanikürten, teils wuchernden Natur.

Etablierte, junge und ostfriesische Positionen sollen sich mischen

Etablierte oder aufsteigende ostfriesische Künst­le­r:in­nen zu zeigen, ist das erklärte Ziel der Ostfriesland Biennale. Das Programm dieser Ausgabe fällt jedoch etwas willkürlich aus, man hatte wohl nur eine kurze Vorlaufzeit. So wurden langfristig geplante Ausstellungen wie die der Kunsthalle Wilhelmshaven oder der Kunsthalle Emden kurzerhand ins Biennale-Programm mit aufgenommen und um eigene Teile ergänzt.

Im vom Henry Nannen gestifteten Emdener Museum wandelt man nun einerseits durch die klassische, luftig-blau bespielte Ausstellung „Dem Himmel so nah. Wolken in der Kunst“ und trifft andererseits im Atrium auf die vollkommen im Kontrast dazu stehende Malerei der Berliner Off-Ikone Bettina Semmer, des Leipziger Jungstars Titus Schade sowie Werke der All-Stars Karin Sander, Daniel Richter und Thomas Scheibitz.

Malerei von Bettina Semmer und Daniel Richter im Atrium der Kunsthalle Emden Foto: Kunsthalle Emden

Die gesamte Kuration der Biennale scheint stark beeinflusst von dem, was in kurzer Zeit möglich war: erstaunlich viele der Biennale-Künst­le­r:in­nen leben in Berlin. Wie der aus Ostfriesland kommende Menno Aden, dessen sterile, wie Muster wirkende Raumfotografien derzeit im Landesmuseum Oldenburg hängen.

Vielleicht liegt dies an den Beziehungen der Kuratorinnen, leitete Ina Grätz doch sieben Jahre lang ­Mathias Döpfners Privatmuseum Villa Schöningen in Potsdam, während Silke Oldenburg 14 Jahre am Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe beschäftigt war. Nun kehren beide in ihre ostfriesische Heimat zurück: ab dem Herbst übernehmen sie als Duo die Direktion der Kunsthalle Emden.

Ostfriesland Biennale

Bis 7. September; www.ostfrieslandbiennale.de

Die Kunst ist gemeinschaftsstiftend

Auch wenn manches auf dieser Biennale entweder improvisiert oder vom Wind reicher Sammlerkontakte umweht erscheint, ist es doch erfrischend, wenn die Kunst in den Sommer des Landstriches tröpfelt, wie man in Aurich sehen kann.

Im Pavillon am Ellernfeld, wo der örtliche Kunstverein residiert, einem der schönsten Bauten der Umgebung, versammeln sich am Eröffnungsabend trotz pladderndem Regen so viele Menschen, dass sie draußen stehen müssen. Reden werden gehalten, gerötete Gesichter strahlen, die dort gezeigten Arbeiten von etwa Wanda Stolle, Antje Majewski oder Kati von Schwerin treten tatsächlich in einen Dialog – und darüber auch das Publikum. Die Kunst ist ungemein gemeinschaftsstiftend.

Sichtlich stolz ist man hier auf die Veranstaltung. Und als der Vorstand erzählt, wie er mit Jonathan Meese bei der letzten Biennale Bratwurst um die Wette aß, kann auch die letzte Beobachterin ihre Zweifel verlieren.

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