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Kürzung der humanitären HilfszahlungenMythos der Verschwendung

Essay von Karla Kröner

Die humanitäre Hilfe fällt jetzt auch in Deutschland massiven Kürzungen zum Opfer. Der Aufschrei sollte größter sein, wenn es um Menschenleben geht.

Überall auf der Welt wird die finanzielle Hilfe Deutschlands dringend gebraucht Foto: Rahmat Gul/AP/dpa

D ie humanitäre Hilfe ist in der Krise. Fast 300 Millionen Menschen sind auf humanitäre Unterstützung angewiesen – aber die wichtigsten Geldgeber kürzen ihre Budgets drastisch. Die Folge: Nur noch 40 ­Prozent der von extremsten Notlagen Betroffenen erhalten Hilfe – das führt zu einer globalen Triage.

Während sich die Öffentlichkeit noch über die Kürzungen der Trump-Regierung echauffiert, geht Deutschland jetzt einen ähnlichen Weg.

Die Bundesregierung plant, die humanitäre Hilfe in den Haushalten von 2025 und 2026 jeweils um mehr als die Hälfte im Vergleich zum letzten Jahr zu kürzen.

Als zweitgrößter Geldgeber der vergangenen Jahre trägt Deutschland damit maßgeblich zur Finanzierungskrise des humanitären Systems bei. Doch der Widerspruch in der deutschen Öffentlichkeit bleibt aus. Warum?

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Wenn Kürzungen kaum Widerspruch hervorrufen

Ein Blick in die USA zeigt, wie die amerikanische Behörde USAID, zuständig für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe, nahezu widerstandslos demontiert werden konnte: Obwohl die Bevölkerung prinzipiell nicht gegen Auslandshilfe ist, konnten Gegner erfolgreich den Mythos der für unsinnige Projekte verschwendeten Mittel in den Köpfen verankern.

Daraus sollte Deutschland lernen. Denn auch hierzulande befürworten circa drei von vier Menschen humanitäre Hilfe – und doch regt sich kaum Widerstand gegen die Kürzungen. Weniger steht infrage, ob Deutschland Hilfe leisten sollte, als in welcher Höhe. Grundsätzlich richtet sich in Zeiten gefühlter Haushaltsknappheit der Blick nach innen und erscheinen Verteidigungsausgaben dringlicher.

Wie in den USA schafft es auch hier eher populistische Kritik an Hilfsgeldern in die Schlagzeilen als die Erfolgsgeschichten – man denke an den Mythos vermeintlicher Verschwendung von Steuergeldern für Radwege in Peru, der immer wieder aufkommt. Das beeinflusst letztlich auch das Bild der gesamten Auslandshilfe, und am Ende bleibt eine Kosten-Nutzen-Abwägung hängen. Eine, die nicht stimmt.

Mit wenig Mitteln viel Gutes erreichen

Dabei ist es höchste Zeit für einen Realitätscheck: Humanitäre Hilfe erreicht mit wenig Mitteln viel Gutes.

Der Blick in den Haushalt für humanitäre Hilfe macht deutlich, wie gering der Posten ist. Für 2025 und 2026 ist jeweils etwa eine Milliarde Euro vorgesehen, das entspricht 0,2 Prozent der gesamten Staatsausgaben. Selbst im Rekordjahr 2022 waren es nur 0,7 Prozent.

Evidenz, dass diese Mittel gut investiert sind, gibt es zuhauf. Unzählige Studien und Evaluierungen weisen nach, wie viel mit vergleichsweise wenig Mitteln bewirkt wird.

Eine jüngst im Wissenschaftsmagazin Lancet veröffentlichte Impact-Evaluierung berechnet, dass die US-Finanzierung zwischen 2001 und 2021 mehr als 90 Millionen Todesfälle verhindert hat – also mehr Menschen rettete als heute in Deutschland leben.

Eine Evaluierung der Reaktion des humanitären Systems auf die drohende Hungersnot in Somalia 2022 und 2023 zeigt: Die Organisationen konnten mehrere Zehntausend Menschen vor der drohenden Hungersnot retten, 96 Prozent der wegen Mangelernährung behandelten Kinder erholten sich dank der Hilfe. Die Kosten für Deutschland: rund 230 Millionen Euro – auf die gesamten Staatsausgaben bezogen ist das etwa die Summe, die Deutschland alle vier Stunden ausgab.

In Äthiopien erholten sich während der von 2015 bis 2018 anhaltenden Dürre dank Unterstützung drei Viertel der mangelernährten Kinder. Die Kosten für Deutschland: 86 Millionen Euro im Jahr mit den höchsten Mitteln, 2016 – das entspricht den Staatsausgaben, die alle zweieinhalb Stunden ausgegeben wurden. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Humanitäre Hilfe muss alle überzeugen

Erfahrungen aus den USA und Deutschland zeigen: Den gesellschaftlichen Rückhalt für humanitäre Hilfe gibt es nicht umsonst. Es braucht mehr als Expertenmeinungen, um zu verhindern, dass sich Deutschland in der humanitären Hilfe noch verzwergt.

Man sollte den Mythos der Verschwendung widerlegen und die Wirkung nachdrücklich kommunizieren. Umfragen zeigen seit Jahren, dass vor allem das Motiv „Mit wenigen Mitteln viel Gutes bewirken„ überzeugt. Mit weniger als 1 Prozent des Haushalts rettet Deutschland abertausende Leben. Dieser Fakt sollte vor anderen Argumentationen – Appelle an die Menschlichkeit, globale Solidarität oder das nationale Interesse, für Geflüchtete auch nahe ihrer Heimat Perspektiven zu schaffen – priorisiert werden.

Humanitäre Akteure dürfen Belege aus Evaluierungen nicht in Schubladen verschwinden lassen, Medienschaffende können Erfolgen mehr Raum geben. Gleichzeitig liegt es auch an jeder und jedem Einzelnen, positive Beispiele der humanitären Hilfe weiterzutragen – sei es beim Familienessen oder im Gespräch mit Freunden und Freundinnen.

Das humanitäre System kennt seine Schwächen und steht zugleich unter dem Druck der Finanzierungskrise. Reformen sind dringend nötig – und vielerorts in vollem Gange. Auch dafür müssen Belege aus Evaluierungen genutzt werden.

Debatten darüber finden fast ausschließlich innerhalb einer Blase von Fachleuten statt. Es braucht mehr offene Gesprächsangebote zwischen Fachleuten, Po­li­ti­ke­r*in­nen und Bür­ge­r*in­nen nicht nur über Wirkung, sondern auch über Effizienz und Reformbedarf.

Hebel nutzen, Haltung zeigen

Wer von der Wirkung humanitärer Hilfe überzeugt ist, hat es auch selbst in der Hand, aktiv zu werden: durch private Spenden und Engagement oder klare politische Haltung. Vor allem aber müssen Abgeordnete wie auch Bürgerinnen und Bürger die Regierung an denselben Maßstäben messen wie die Trump-Regierung.

Denn sie macht hier dasselbe. Deutschland trägt zur Finanzierungskrise des Systems und damit zur globalen Triage bei. Echte Befürwortung humanitärer Hilfe wird erst glaubwürdig, wenn den Kürzungen entschieden widersprochen wird.

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