Künstliche Intelligenz und Vermüllung: KI killt das Web
Jetzt, wo nahezu alle KI benutzen können, gilt vor allem eins: Das Netz quillt vor KI-generiertem Müll über. Ist das Internet noch zu retten?
Wenn man im Internet oder dem, was von der Utopie einer Cyberagora übrig geblieben ist, surft, hat man das Gefühl, durch eine hyperkommerzialisierte, gigantische Shopping-Mall zu laufen: Am Eingang wird man von einem Nacktscanner durchleuchtet, und wenn man ein Geschäft betritt, wird man auf Schritt und Tritt von einem übergriffigen Kaufhausdetektiv verfolgt, der einem in die Taschen und Einkaufswägen glotzt.
Auf dem Amazon-Marktplatz drehen Computeralgorithmen sekündlich an der Preisschraube, hinter den Schaufenstern der Facebook-Filiale Instagram präsentieren Influencer die neueste Mode, und in der schummrigen Trinkhalle der Plattform X krakeelen rechte Scharfmacher herum, nachdem der neue Hauseigentümer im Maschinenraum das Ventil für Hass und Hetze geöffnet hat.
Die kleinen inhabergeführten Bars, Cafés und Buchhandlungen sind verschwunden und der Datenhygiene der Tech-Giganten zum Opfer gefallen, die nach dem Vorbild von Baron Haussmann eine Flurbereinigung durchführen ließen. Nichts soll anrüchig oder unsicher wirken, alles soll blitzblank poliert und sicher sein. Wie in einer Gated Community. Trotz dieser Hygienemaßnahmen stolpert der Besucher an jeder Ecke über Abfall.
Man muss diese Analogie bei netzpolitischen Debatten im Hinterkopf behalten. Seit dem Siegeszug von ChatGPT quillt das Internet vor Müll über: Amazon wird mit KI-generierter Schrottliteratur überschwemmt, die Plattform X mit KI-generierten Pornobildern vollgespammt, Spotify mit KI-generierten Songs geflutet, die teils sogar von Bots gestreamt werden, um die Klickzahlen in die Höhe zu schrauben. Digitaler Kapitalismus am Limit.
KI ist eine Revolution der Produktion
War das Internet eine Revolution der Publikation, ist KI eine Revolution der Produktion. Mit frei zugänglichen KI-Werkzeugen kann heute jeder zum Buchautor werden. Einfach ein Manuskript aus dem Automaten herauslassen, ein Cover prompten, fertig ist das E-Book. Wer braucht noch Autoren oder Lektoren, wenn es KI gibt? Was vormals in mühevoller Manufakturarbeit hergestellt wurde, ist heute seriell produzierte Massenware.
Die US-Zeitschrift Sports Illustrated etwa hat mithilfe von KI nicht nur Texte produziert, sondern auch Autoren erfunden. Vollautomatisierte Webseiten, die das Internet pausenlos mit KI-generierten Nonsense-Inhalten vollmüllen, schießen wie Pilze aus dem Boden.
Gewiss, Spam war schon immer ein Problem des Internets, doch der synthetische Schrott, der in den digitalen Ozeanen herumtreibt, hat in seiner Masse eine ganz andere Qualität, weil er das digitale Ökosystem verschmutzt. Die Tauchroboter, die sogenannten Webcrawler, mit denen Suchmaschinen wie Google Webseiten nach Relevanz gewichten und indexieren, fischen in diesem Müllstrudel im Trüben – und verlieren ihre Orientierung.
So spuckte Google bei der Bildersuche nach „Tank Man“ – jenem mutigen Mann, der sich im Juni 1989 am Tiananmen-Platz in Peking einer Panzerkolonne entgegenstellte – im vergangenen Jahr ein KI-generiertes Fake-Selfie als Top-Ergebnis aus. Schon seit einiger Zeit beklagen Nutzer die nachlassende Qualität der Suchmaschine. Die Ergebnisliste sei mit Anzeigen und suchmaschinenoptimiertem Müll gepflastert, heißt es.
Attraktivität des Werbeumfelds gefährdet
Jahrelang konnten sich die Tech-Konzerne das Müllproblem vom Leib halten, indem sie einen digitalen Putztrupp auf den Philippinen beschäftigten, der für ein paar Dollar am Tag den Unrat aussortierte. Doch jetzt dringt dieser Müll an die klinisch reinen Benutzeroberflächen – und gefährdet die Attraktivität des Werbeumfelds. Die digitalen Klärwerke sind überfordert.
Auf Youtube gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Kinderkanälen wie „Super Crazy Kids“, die mithilfe von synthetisierten Audioschnipseln KI-generierte Animationsfilme produzieren (teils in fehlerhaftem Englisch). Es sind dümmliche, lieblos zusammengeschusterte Fetzen, die mit ihrem nervtötenden Gedudel („Teddy Bear, Teddy Bear“) einzig dazu gemacht sind, Kinder abzulenken.
Der Autor Erik Hoel warnte in einem Blog vor einer „semantischen Apokalypse“: „Jetzt, wo Generative künstliche Intelligenz die Kosten der Bullshit-Produktion auf nahe null gesenkt hat, sehen wir klar die Zukunft des Internets: eine Müllhalde.“
Die Gegenwart des Internets ist aber erst mal Bergbau: Die Datenmineure bedienen sich an frei zugänglichen Text- und Bilddatenbanken wie an einem Steinbruch und trainieren mit dem Rohstoff ihre KI-Systeme.
Finanzialisierung und Fortifizierung des Webs
Während zahlreiche Nachrichtenseiten wie etwa die New York Times, CNN sowie der Guardian ihre Archive für die Webcrawler von OpenAI gesperrt haben, lizenziert das Onlineforum Reddit die Forenbeiträge an Google – für 60 Millionen Dollar im Jahr. Der Mikrobloggingdienst Tumblr und die Plattform WordPress.com verkaufen ihre Daten derweil an Midjourney und OpenAI. Mauern hier, Moneten da.
KI befeuert die soziale Schließung, die Tendenz zur Finanzialisierung und Fortifizierung des Webs, das in immer mehr hermetisch abgeriegelte Datensilos fragmentiert wird. Die Idee der KI-Vordenker besteht darin, das Internet in eine separate Box zu packen und in einen neuen Hypertext zu weben.
Wenn ChatGPT den Dreißigjährigen Krieg erklärt, braucht man das World Wide Web im Grunde nicht mehr – zumindest nicht als Forum, Debattenraum oder Bibliothek, sondern nur noch als digitales Umspannwerk, um eine Verbindung zu den Servern herzustellen. Das Internet wird auf eine rein technische Funktion reduziert.
Das Problem: Es gibt aufgrund der Aushöhlung des Urheberrechts kaum noch finanzielle Anreize, Texte im Netz zu schreiben, welche hochleistungsfähige Sprachmodelle wie ChatGPT aber dringend brauchen, um sich weiterzuentwickeln. Die Gefahr eines KI- Kannibalismus ist daher real: Die datenhungrigen KI-Systeme könnten mangels Alternativen KI-generierte Inhalte fressen und in automatisierten Weiterverwertungsschleifen das vorgekaute Denken so lange wiederkäuen, bis sie am Ende einen substanzlosen Brei ausspucken.
Informationelles Fast Food
Dass das Internet kaputt ist, ist ja keine neue Diagnose. Die Tech-Konzerne haben die Hyperlinkstruktur und damit die Vielfalt des World Wide Web zerschlagen und mit ihren affektökonomisch hochgetunten Algorithmen den Hass bis in die feinsten Kapillare der Gesellschaft injiziert. Doch je mehr die KI-Roboter die digitale Allmende abweiden und ihren Müll verbreiten, desto mehr kulturelle Brachen und Ödland entstehen im virtuellen Raum.
Der Journalist James Vincent hat in einem klugen Essay für das Onlinemagazin The Verge geschrieben, dass wir gerade die Geburtswehen eines neuen Informationskosmos erleben: „Die KI killt das alte Web, und das neue Web kämpft, geboren zu werden.„Nur: Wie und von wem wird dieses Internet gestaltet? Mit welcher Legitimation? Wem gehört es? Welche Such- beziehungsweise Kulturtechniken braucht es, um Informationen zu finden und zu verifizieren? Wie stellt man Öffentlichkeit her?
Die von der libertären Krypto-Community verfochtene Idee des Web3, die das Internet auf eine dezentrale Blockchain setzen will, denkt das Netz mehr als Vermarktungsmöglichkeit für die Creator-Industrie denn als digitale Gegenöffentlichkeit.
Und auch die Vision eines Metaverse, das Facebook-Gründer Mark Zuckerberg zum 3D-Internetnachfolger aufbauen will, wirkt noch papieren – Meta hat mit dem Prestigeprojekt einen zweistelligen Milliardenbetrag verbrannt. Vielleicht bleibt am Ende die leise Hoffnung, dass sich das alte Web reparieren lässt und in der Gated Community doch noch das eine oder andere Café eröffnet, wo man kein informationelles Fast Food aufgetischt bekommt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken