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Künstlerinnen über Kulturbetrieb„Antisemitismus ist tief im kulturellen Bereich verankert“

Barbara Mundel und Stella Leder haben das Projekt „Schreiben über ‚Die Situation‘“ gegründet. Ein Gespräch über den Kulturbetrieb seit dem 7. Oktober.

Die Schauspielerin Katharina Bach liest neue Texte über Krieg und Antisemitismus in den Münchner Kammerspielen Foto: Judith Buss
Interview von Chris Schinke

taz: Frau Leder, Frau Mundel, Sie haben mit Ihrer Reihe „Schreiben über,Die Situation'“ zum 7. Oktober einen in der deutschen Theaterlandschaft seltenen Ansatz gewählt. Sie konzentrieren sich ausschließlich auf jüdische/israelische Perspektiven. Warum?

Stella Leder: Uns interessiert eine spezifisch jüdische Perspektive, etwas, das hierzulande immer noch revolutionär ist, weil es sonst nicht stattfindet. Ich meine nicht mehr oder weniger abgeschirmt in einem jüdischen Gemeindezentrum, sondern an einem wichtigen kommunalen Theater. Als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Wir kreieren die Provokation der Selbstverständlichkeit. Die Reihe spiegelt die Ungewissheit seit dem 7. Oktober, indem wir permanent neue Texte produzieren und kurzfristig lesen lassen – auch wir wissen also erst spät in der Planung, mit welchen Texten und Themen wir es zu tun bekommen.

Barbara Mundel: Die Münchner Kammerspiele fühlen sich auch aus historischen Gründen einer jüdischen Perspektive besonders verbunden. Das bedeutet nicht, dass das Projekt einseitig ist. Die Texte sind sehr unterschiedlich, äußerst differenziert und künstlerisch herausfordernd.

taz: Auch innerhalb der kulturellen Linken sind israelfeindliche Positionen weit verbreitet. Ist der 7. Oktober 2023 aus Ihrer Sicht ein Wendepunkt, der einen Paradigmenwechsel mit sich bringt?

Paula Winkler
Im Interview: Stella Leder

geboren 1982, ist Autorin und Dramaturgin und leitet das Institut für Neue Soziale Plastik, das künstlerische Projekte aus jüdischer ­Perspektive entwickelt.

Mundel: Ich würde aus meiner subjektiven Wahrnehmung heraus sagen, dass der 7. Oktober etwas zum Vorschein gebracht hat, das offensichtlich bereits dagewesen ist. Etwas, das ich in dieser Deutlichkeit vorher nicht wahrgenommen hatte. Oder vielleicht auch nicht wahrnehmen wollte: wie tief Antisemitismus im universitären aber auch im kulturellen Bereich verankert ist.

Florian Peljak
Im Interview: Barbara Mundel

geboren 1959, ist Regisseurin und seit 2020 Intendantin der Münchner Kammerspiele.

taz: Warum hat Sie das so sehr überrascht? In der Kulturszene gab es zuletzt heftige Debatten über Antisemitismus, wenn wir an die documenta 15, die Ruhrtriennale oder das Bündnis GG 5.3 Weltoffenheit denken.

Mundel: Da haben Sie sicher recht, ich meine aber vor allen Dingen, dass mir nicht klar war, wie tief Antisemitismus in der BRD reicht.

Leder: Die Initiative GG 5.3. 2020 war ein Bruch. Es wurde über BDS gesprochen, jedoch nicht darüber, wie sehr künstlerische Räume sich für israelische und jüdische Künst­le­r*in­nen begonnen hatten, zu verengen. Was es für Jüdinnen und Juden bedeutet, wenn Israel das Existenzrecht abgesprochen wird, wurde ausgeblendet.

taz: Im Jahr 2020 haben auch Sie, Frau Mundel, den offenen Brief des Bündnisses GG 5.3 Weltoffenheit unterschrieben. Das Ganze geschah vor dem Hintergrund des Bundestagsbeschlusses gegen die Israelboykottbewegung BDS. Ihre Unterschrift zu GG 5.3. haben Sie mittlerweile zurückgezogen.

Mundel: Ich dachte damals aus der Erfahrung der Ruhrtriennale und der Diskussion über Achille Mbembe, dass es doch möglich sein müsse, den Dialog führen zu können. Ich war zu jedem Zeitpunkt gegen das Konzept BDS, dessen Herangehensweise im Kultur- und Kunstbereich ich falsch, vergiftend und kontraproduktiv finde. Ich war aber trotzdem der Ansicht, dass wir jetzt nicht alle Dialogbrücken abbrechen dürfen. Daher habe ich diesen Brief unterschrieben. Mir wurde im Laufe der Zeit aber immer unwohler. Der 7. Oktober und die Reaktion darauf haben dann für mich das Fass zum Überlaufen gebracht.

Leder: Wir haben es mit einer zunehmenden Ideologisierung eines bestimmten Teils der kulturellen Sphäre zu tun. BDS erzielte die ersten Erfolge um 2017 in Deutschland. Schon damals wurde BDS als antisemitisch kritisiert. Die Reaktion von BDS-Anhänger*innen war zu behaupten, damit werde die Meinungsfreiheit eingeschränkt. BDS argumentiert mit einer populistischen Rhetorik, die man bis dahin nur von AfD und Pegida kannte. Was dann geschah, war, dass die Behauptung der Einschränkung der Meinungsfreiheit von Künst­le­r*in­nen und Kulturinstitutionen auf den eigenen Bereich übertragen wurde, indem behauptet wurde, die Kunstfreiheit werde eingeschränkt. Ich verstehe nicht, wie man aus einer linken Position heraus sagen kann: Das, was ich sage, darf nicht kritisiert werden, und wenn es kritisiert wird, dann ist das demokratiegefährdend oder rechts.

Die Reihe

„Schreiben über ‚Die Situation‘“ wurde von den Münchner Kammerspielen und dem Institut für Neue Soziale Plastik ins Leben gerufen. Jüdische und israelische Au­to­r*in­nen schreiben literarische oder dramatische Texte über das Geschehen seit dem 7. Oktober in Israel oder der Diaspora. Etwa alle zwei Monate findet eine öffentliche Lesung statt.

taz: Und Sie sowie das Institut für Neue Soziale Plastik erfahren viel Kritik?

Leder: Im Institut arbeiten Künst­le­r*in­nen und Wis­sen­schaft­le­r*in­nen aus den Bereichen Kunst-, Theater- und Literaturwissenschaften. Sie sind überwiegend links und jüdisch. Doch sobald wir uns zu besagten Punkten äußern, werden wir allesamt als rechts kategorisiert oder als unsolidarisch mit Palästinensern. Das ist absurd, von einer bestimmten, sich als progressiv wähnenden Gruppe wird das aber behauptet. Man sollte aufhören, ihnen die Deutungshoheit über diese politischen Felder zu überlassen. Und wir müssen über die Geschichte des linken Antisemitismus reden.

taz: Die Kammerspiele und das Institut für Neue Soziale Plastik gehen in ihrer Zusammenarbeit über die Reihe mit öffentlichen Lesungen hinaus und führen auch Antisemitismus-Workshops durch. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus ihnen ziehen?

Mundel: Workshops gegen Antisemitismus oder besser Workshops, die es uns ermöglichen Antisemitismus zu erkennen, sind absolut sinnvoll. Was haben wir in diesen Workshops gemacht: Wir haben uns mit dem Theaterstück „Die Vögel“ (Die Aufführung des Theaterstücks von Wajdi Mouawad am Münchner Metropoltheater hatte zu Protesten jüdischer Studierender geführt, die in der Inszenierung antisemitische Klischees erfüllt sahen; d. R.) beschäftigt und zu verstehen versucht: Haben wir den Text sorgfältig genug gelesen? Ist er antisemitisch oder nicht? Und wie diskutiert man das? Im Übrigen hat die Zusammenarbeit mit dem Institut für Neue Soziale Plastik schon vor dem 7. Oktober begonnen.

Leder: Ein so großes Haus arbeitet mit sehr unterschiedlichen Menschen – entsprechend unterschiedlich sind die Reaktionen auf die Workshops. Unsere Zusammenarbeit ist vielschichtig – mit House of Diaspora X haben wir eine Reihe mit Performances zu jüdischen Feiertagen begonnen. Die Kammerspiele führen nicht nur Auseinandersetzungen mit Antisemitismus, sondern sind ein Raum für jüdische Gegenwart.

taz: Glauben Sie, dass angesichts der Zuspitzung und Verhärtung die Gefahr besteht, dass grundsätzlich Themen, die einen Israelbezug haben oder einen jüdischen, in Zukunft kuratorisch fallen gelassen werden, weil sie als „zu heiß“ wahrgenommen werden? Dieselbe Frage stellt sich auch im Hinblick auf einen möglichen palästinensischen Bezug.

Mundel: Ja, das glaube ich und wir wissen, dass das aus Unsicherheit heraus passiert, aus Angst vor Angriffen, aus Angst, Unwissenheit zugeben zu müssen, oder Ähnliches.

Leder: Ich beobachte einen gewissen Hang zum Konformismus. Man will sich lieber gar nicht verhalten als dabei ertappt zu werden, eine eigene Haltung zu haben. Dazu zähle ich auch Anfragen, die wir erhalten, formuliert in der Hoffnung, dass ich ihnen sage, was sie jetzt machen dürfen und was nicht.

taz: Die Kulturpolitik reagiert mit Antisemitismusklauseln bei öffentlichen Förderungen. In der Kulturszene herrscht hingegen Lagerbildung. Wie könnten wir denn aus dieser Sackgasse herausfinden?

Leder: Es bedarf einer Vielzahl von Ansätzen und Maßnahmen. Ich würde mir vor allem wünschen, dass israelische und jüdische Künst­le­r*in­nen gezielt unterstützt werden, zum Beispiel über entsprechende Förderprogramme. Fördermittel sollte es auch geben für Kulturinstitutionen, die sich mit Antisemitismus auseinandersetzen wollen. Und wir brauchen eine Diskussion darüber, wie das Wissen über Antisemitismus und Boykott in Entscheidungen von Gremien berücksichtigt werden kann. Wie solche Maßnahmen umgesetzt werden können, bedarf einer breiten Diskussion, in die Akteure aus dem Kulturbereich und aus der Antisemitismusprävention einbezogen werden. Solche Diskussionen können auch die Möglichkeit der Einführung einer Klausel einbeziehen.

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