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Künstler über Krise der Demokratie„Dass wir sie lächerlich finden, nützt der AfD“

Weil wir sie nicht ernst nehmen, kann die AfD die Demokratie zerstören, sagt Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit.

Reichs- neben Bundeskanzler: Historischer Vergleich auf einer Demo in Berlin im Februar 2025 Foto: Ipon/Imago
Interview von Wilfried Hippen

taz: Herr Ruch, warum genügt es, die AfD beim Wort zu nehmen, um ihre Verfassungsfeindlichkeit zu beweisen?

Philipp Ruch: Manche der AfD-Ankündigungen lesen sich urkomisch. Man will einfach nur schreien. Beim genaueren Studium der NSDAP fiel mir aber auf: Das war damals nicht anders. Die sind zum Schreien komisch. Das Problem ist nur: Faschisten sind keine Comedians. Die meinen, was sie sagen. Während der Nationalsozialismus ankündigte, was er vorhat, war dies für die meisten eine große Quelle der Belustigung. Ja, war dann am Ende doch nicht ganz so lustig.

taz: In Ihrem Buch ziehen Sie Parallelen zur Situation am Ende der Weimarer Republik, als sich die Menschen zum Teil nicht vorstellen konnten, dass Witzfiguren wie Göring und Hitler die Macht erhalten. Gibt es heute ähnliche Verdrängungsmechanismen?

Ruch: Es sind dieselben: Wer kann sich diese grölenden, vulgären AfD-Politiker mit Bierbauch als Justizminister vorstellen? Wir müssen sie uns als Bundesminister vorstellen. Dann wird klarer, warum die Nazis ihre Obsessionen in eine Politik der Menschenjagd übersetzen konnten. Dass wir sie ­lächerlich finden, schützt das politische Projekt der AfD: die Zerstörung der Demokratie.

Bild: Glen Glover
Im Interview: Philipp Ruch

Jahrgang 1981, Aktionskünstler, ist Gründer des Zentrums für Politische Schönheit. Das Buch: „Es ist 5 vor 1933“, Ludwig Verlag, München; 224 S., 16 Euro, Ebook: 10 Euro.

taz: Anderseits schreiben Sie, dass damals der Widerstand gegen die Feinde der Demokratie stärker war.

Ruch: Mein Lieblingsbeispiel ist der bayerische Innenminister Karl Stützel, ein unbesungener Held der wehrhaften Demokratie. Stützel hat als ­Innenminister gegen Hitler angekündigt: „Verlassen Sie sich darauf, gegen die Nazis werden wir schießen, wenn es eines ­Tages erforderlich sein wird.“ Dagegen ist unser heutiger Innenminister Dobrindt ein Zwerg. Die Weimarer Republik hat die NSDAP militanter bekämpft, als unser Staat heute die AfD. Wir sind gegen die AfD regelrecht handzahm.

taz: Und die bürgerlichen Kräfte nehmen die Gefahr auch darum nicht ernst, weil nicht sie, sondern Minderheiten angegriffen werden – ganz wie damals?

Ruch: Absolut. Die NSDAP hat mit einem militanten Anti­marxismus sehr viele Stimmen geholt. Damit waren übrigens weniger Kommunisten als die SPD gemeint. Da dachte sich das bürgerliche Lager: Wunderbar, wie die der Arbeiterpartei SPD auf die Mütze geben. Es hat gar nicht bemerkt, dass es selbst als Nächstes an der Reihe ist.

taz: Sie schreiben auch über das antidemokratische Verhalten von AfDle­r*in­nen in den Parlamenten. Was meinen Sie?

Ruch: Die AfD schickt dieselbe Sorte Mensch in die Parlamente wie die NSDAP: Irre, Proleten, Schreihälse, absolut Ungebildete, Straftäter. In Karlsruhe sitzt seit zwei Jahren eine gewählte AfD-Bundestagsabgeordnete als Anführerin einer Terrorgruppe im Gefängnis, die mit ihren Komplizen die Stellen im Bundestagsgebäude ausgekundschaftet hatte, von denen aus sie einen Putsch organisieren wollten. Wir sind 2021 einer gewaltsamen Machtübernahme durch die AfD näher gewesen, als wir alle denken. Der Generalbundesanwalt fand das gar nicht lustig. Der führt, von der Öffentlichkeit ignoriert, die größten Massenprozesse gegen eine Terrorgruppe seit der RAF.

taz: Sie werfen der bürgerlichen Gesellschaft Bequemlichkeit angesichts der Gefahr durch die AfD vor. Was meinen sie damit?

Ruch: Merz und Dobrindt halten die AfD für nützliche extremistische Idioten, mit denen sie die politischen Gegner, vor allem SPD und Grüne, einschüchtern können. Das ist exakt die Strategie des bürgerlichen Lagers ab 1930. Sie hat die Welt in den Holocaust geführt.

Literarischer Salon „AfD verbieten! AfD verbieten?“ mit Monika Grütters und Philipp Ruch: Mo., 7. 7., 20 Uhr, Conti-Foyer, Hannover

taz: Und dass die SPD ein AfD-Verbotsverfahren prüfen will, ist kein Schritt in die richtige Richtung?

Ruch: Das sind Theaterveranstaltungen, um uns ruhig zu halten. Es kommt bei der AfD genau wie bei der NSDAP darauf an, die Unruhe zu bewahren. Schon nächstes Jahr wird die Partei voraussichtlich den ersten Ministerpräsidenten stellen. Dem Land ist noch gar nicht klar, was das bedeutet. Es wird alles verändern – zum Negativen.

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18 Kommentare

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  • Ich finde es etwas übertrieben AfD und NSDAP vor 95 Jahren zu vergleichen. Die NSDAP hatte die SA-Schlägertrupps die gegen meist KPD-Schlägertrupps aktiv war.



    Der Staat war damals zu schwach um das zu unterbinden - den Kriegslasten geschuldet. Einen richtigen Föderalismus mit Preußen als größten Staat gabs auch nicht. Reichspräsident hatte zu viel Macht. Und es gab bei Reichstagswahlen keine 5%-Hürde was das Problem noch verschärfte.

    • @Der Cleo Patra:

      Ich finde genau Ihre Bedenken "AfD ist nicht gleich NSDAP" und "schwacher Staat in der Weimarer Republik" zerstreut dieses Interview mit sehr guten Argumenten.

      Aber seis drum, es ist jetzt an der Zeit, dass die BRD-Demokratie Zähne zeigt und die AfD verboten wird.

      Besser einmal zuviel verbieten, als 2033 aufwachen.

      Was müssen die Leute eigentlich noch sagen / tun, dass ihre verfassungsfeindlichen Bestrebungen offenkundig werden?

      Genug ist genug.

    • @Der Cleo Patra:

      Könnten Sie mir das mit der 5%-Hürde bitte noch erklären? Sie meinen die hätte die NSDAP an der Machtübernahme gehindert??

  • Man kann es nicht oft genug wiederholen: "Merz und Dobrindt halten die AfD für nützliche extremistische Idioten, mit denen sie die politischen Gegner, vor allem SPD und Grüne, einschüchtern können. Das ist exakt die Strategie des bürgerlichen Lagers ab 1930. Sie hat die Welt in den Holocaust geführt" (Ruch). Und Scholz hätte den Verbotsantrag stellen müssen, als er noch konnte. Die bürgerliche Klasse trägt heute die volle Verantwortung für das Schicksal Deutschlands. Aber da tragen sie nicht schwer, denn wenn es schief geht, sind sie weg, in ihre Datschen und Ferienhäuser im Ausland. Vielen Dank.

  • Sehr treffend, wir schlafwandeln in den Faschismus, dass man fahrlässigerweise nicht alle Energien in das Verbotsverfahren setzt ist ein Fehler, der teuer werden kann.



    Die Union ist das Hauptproblem, die Konservativen waren schon immer der Schlüssel zur Bekämpfung der Nazis. Leider haben sie hierbei schon allzu oft versagt, offenbar auch jetzt wieder. Früher Brüning und von Papen, heute Merz und Dobrindt.

  • Kann ich alles unterschreiben.

    Insbesondere das hier:

    "Merz und Dobrindt halten die AfD für nützliche extremistische Idioten, mit denen sie die politischen Gegner, vor allem SPD und Grüne, einschüchtern können. Das ist exakt die Strategie des bürgerlichen Lagers ab 1930. Sie hat die Welt in den Holocaust geführt."

    Leider sind die deutschen Konservativen selbstgefällig und geschichtsvergessen (letzteres entbehrt nicht einer gewissen Ironie).

    Ohne zumindest moderate Kraftanstrengungen und vor allem rationale Analyse wird die Demokratie nicht zu retten sein.

  • Alles absolut nachvollziehbar!



    Solange man jedoch allein die AfD als Partei bekämpft und nicht etwa die Zustände, die schon immer zu rechtsextremen Parteien führten, macht man sie offensichtlich stärker.



    Aus der Geschichte lernen heißt Ursachen bekämpfen und nicht Auswirkungen!



    Offensichtlich interessierte das aber seit dem Bestehen der AfD nicht wirklich.



    Es scheint wesentlich leichter Menschen gegen Nazis auf die Straße zu bringen, als soziale Gerechtigkeit in der Politik zu begünstigen.



    Aber klar, solange Menschen nur gegen Nazis und nicht für eine gerechtere Politik demonstrieren, kann das wohl alles noch bis zur Machtübernahme weitergehen.

    • @Mark Menke:

      Ich nicht sicher, ob ich Ihre Meinung teile. Die Frage ist, was man unter "sozialer Gerechtigkeit" versteht, oder?

      Für mich muss es eher um soziale Sicherheit gehen, also mal alle ökonomisch bedingte Existenzangst aus dem System zu nehmen. Das finden viele aber "ungerecht" (auch sog. "Linke"), denn davon profitieren dann auch sog. "Faule" oder die Nachbarin, die man nicht ausstehen kann, und der Typ, der einen in der Schule immer gemobbt hat.

    • @Mark Menke:

      Viele dieser "Ursachen" wurden aber erst von denen dazu erklärt, und die haben offenkundig nicht die leiseste Absicht, an den tatsächlichen Ursachen was zu ändern, wenn man sich ihre Analysen und Vorschläge schauten. Den Aufstieg der AfD generell mit dem*Versagen der Politik" zu erklären, heißt, deren Propaganda zu verbreiten. Auch eine Parallele zu Weimar.

    • @Mark Menke:

      Die Menschen, die gegen Nazis demonstrieren, sind dieselben, die auch für eine gerechtere Politik auf die Straße gehen. Und zwar seit Jahrzehnten.



      Wer eine gerechtere Politik möchte, sollte aufhören, aus Protest rechtsextrem zu wählen.

    • @Mark Menke:

      Sie sitzen dem gleichen Irrtum auf. Selbst wenn die Wut teilweise nachvollziehbar ist darf das nicht zur Machtergreifung der Nazis führen. Und das sich der Erfolg der Nazis bereits von der realen Politik abgekoppelt hat sehen Sie am Beispiel der Migration: die Zahlen sinken, ohne dass die Zustimmung zur AfD sinkt.



      Natürlich gibt es jede Menge Missstände, die die demokratischen Parteien nicht ordnetlich adressiert werden. Trotzdem kein Grund, die Demokratie abzuschaffen.

      • @FtznFrtz:

        "Beispiel der Migration: die Zahlen sinken, ohne dass die Zustimmung zur AfD sinkt."



        Warum sollte sie auch? Es zeigt sich ja, dass die Zahlen sinken WEIL DIE POLITIK AFD-POLITIK BETREIBT. Sprich, ohne AfD käme diese Politik nicht. Da ist es den Wählern dann auch fast egal, ob die 'Etablierten' das aus Angst vor rechts machen oder die Rechten selber.

        • @Encantado:

          Ob die Zahlen wegen der Verschärfungen (die ja im wesentlichen schon die Ampel beschlossen hat) sinken kann ich nicht beurteilen, maße mir da auch im Gegensatz zu anderen kein Urteil an.



          Gleichwohl gibt es den Befund der sinkenden Zahlen, wenn die Mutter aller Probleme die Migration wäre müsste der Nutznießer dieses Problems, nämlich die Nazis, an Zustimmung verlieren. Der vor der Migration zitternde Bürger müsste sich dankbar den etablierten Parteien zuwenden, haben die doch die Gefahr gebannt.

  • Das Ganze ist kein deutsches Phänomen. Wir erleben gerade den Aufstand der Ahnungslosen. Und das überall im Westen.

  • Tja, das sind düstere Aussichten, die Herr Ruch da an die Wand malt.

    Bei allem, was momentan politisch und gesellschaftlich in Deutschland los ist und losgetreten wird, siehe Weinkönigin und dem Mann aus dem (gehobenen) Mittelstand, sehe ich auch Schwarz für unsere Zukunft.

  • Ich stimme der Tendenz des Interviews grundsätzlich zu, z.B. Aussagen wie dieser: "Schon nächstes Jahr wird die Partei (AfD) voraussichtlich den ersten Ministerpräsidenten stellen. Dem Land ist noch gar nicht klar, was das bedeutet. Es wird alles verändern – zum Negativen."



    Allerdings tue ich mich mit histori. Vergleichen in 1:1 schwer, etwa bei der zitierten Aussage des bayerischen Innenministers Hr. Stützel (1924-33, Bay. Volkspartei): "„Verlassen Sie sich darauf, gegen die Nazis werden wir schießen, wenn es eines ­Tages erforderlich sein wird.“ Dagegen ist unser heutiger Innenminister Dobrindt ein Zwerg."



    Erstens könnte Hr. Dobrindt (oder ein anderer demokr. Politiker) so etwas heute nicht sagen ohne sofortigen Rücktritt.



    Zweitens stammt diese Aussage aus einer Zeit forcierter polit. Gewalt von mehreren Seiten. Regelmäßige Schlägereien gab es z.B. zwischen der "Sturmabteilung" (NSDAP), "Roten Frontkämpferbund" (KPD) und dem "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" (SPD).



    Das Mittel der Politik darf nur Recht und Gesetz sein, was von Hr. Ruch allerdings als "Theaterveranstaltung" diffamiert wird. Und aufgrund des Zitates oben weiß ich nicht, wie weit er in Sachen Gewalt gehen würde.

    • @Vigoleis:

      "Erstens könnte Hr. Dobrindt (oder ein anderer demokr. Politiker) so etwas heute nicht sagen ohne sofortigen Rücktritt."



      Ich bin mir dessen nicht so sicher. Frühere sofortige Rücktrittsgründe werden heutzutage ausgesessen...

    • @Vigoleis:

      Natürlich war es eine andere Zeit, politische Gewalt war deutlich radikaler und auch akzeptierter als heute. Ich glaube kaum, dass Herr Ruch einen Aufruf zur Gewalt propagiert. Es gibt aber dann doch einige Stufen zwischen diesem und den einlullenden und abwiegelnden Aussagen von Merz, Söder oder Dobrindt. Eine Union müsste möglichst geschlossen den Verbotsantrag unterstützen, leider sind es bis dato nur Einzelstimmen wie Wüst oder Günther.



      Die krasseste Gewalt ging im Übrigen damals natürlich von den Nazis aus, spätestens mit der Übernahme des preußischen Innenministeriums durch Göring war der Weg frei zur hemmungslosen Jagd auf politische Gegner. In grauenhafter Art und Weise wurde vor allem Kommunisten und Sozialdemokraten buchstäblich auf der Straße totgeschlagen und in Gefängnissen zu Tode gefoltert. Aber am Ende waren auch das Zentrum und alle anderen Parteien dran. Gibt es das Dritte Reich Reloaded? Hoffentlich bleibt uns dieses Grauen erspart, dennoch stehen die Zeichen alles andere als gut.