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Künstler debattieren über UkrainekriegKeine Brücken nach Russland

In Berlin diskutierten Künstler aus der Ukraine und Russland über „Krieg und Frieden“. Der Tenor: Selbst jetzt reagiere der Westen zu langsam.

Sasha Marianna Salzmann bei einer Solidaritätsveranstaltung auf der Lit.Cologne im März 2022 Foto: Horst Galuschka/imago

Die in Leipzig lebende ukrainischstämmige Autorin und Übersetzerin Svetlana Lavochkina kann derzeit nicht schreiben. Im 18. Akademie-Gespräch der Akademie der Künste Berlin am Dienstag, dem sie online zugeschaltet war, sagte sie, dass sie tagsüber als Sprachlehrerin arbeite, die andere Zeit, die ihr bleibe, helfe sie Flüchtlingen etwa mit Spendensammeln.

Der in Russland geborenen und heute in Berlin lebenden Dramatikerin Sasha Marianna Salzmann geht es ganz ähnlich. Sie hat seit Kriegsbeginn rund um die Uhr Flüchtlingen geholfen, eine Wohnung zu finden zum Beispiel. An Schreiben war nicht zu denken.

„Russland und Ukraine – Künstlerinnen und Künstler diskutieren über Krieg und Frieden“, versprach der Titel der Veranstaltung. Diskutiert wurde allerdings kaum, über weite Strecken beschränkte sich der Abend auf Fragen zur künstlerischen Praxis oder dem Ausbleiben derselben. Ansonsten wurde über den Krieg viel in politischer Hinsicht gesprochen.

Der Politikwissenschaftler Volker Weichsel, Redakteur der Zeitschrift Osteuropa und einziger Nichtkünstler, wies eingangs darauf hin, dass der Westen bis zum Krieg versucht habe, Russland Brücken zu bauen. Russland habe aber nie ein ernsthaftes Interesse daran gehabt. „Es hat sich nicht geändert.“

Wir können den Krieg in der Ukraine nicht mit Schreiben gewinnen

Svetlana Lavochkina

Das bekräftigte der ukrainische Filmemacher Sergei Loznitsa, auch er lebt seit Jahrzehnten in Deutschland, mit dem Hinweis, dies sei kein Krieg zwischen zwei Ländern, sondern zwischen zwei Weltsichten. Die Brücken offenzuhalten, sei in so einem Fall das Dümmste, was man tun könne: „Denn dann kommt der Gegner und frisst einen auf.“ Weichsel ergänzte, dass zwar Russlandkenner die Entwicklung schon lange erkannt hätten, aber niemand darauf zu reagieren gewusst habe. Selbst jetzt, mit dem Krieg, vollziehe sich der geistige Wandel sehr langsam hin zu der Einsicht, dass dies ein Anschlag auf „uns“ ist.

Den spirituellen Raum bewahren

Eine weniger offensichtliche Gefahr des Kriegs sieht Loznitsa in den Bildern, wie sie die Welt aus Butscha erreichen. Wenn der Krieg andauere, könnten diese Bilder bewirken, dass auch die Menschen im Westen in den Krieg hineingezogen werden und sich die Gesellschaft durch sie verändert. Dem hielt Lavochkina entgegen: „Wir können den Krieg nicht mit Schreiben gewinnen“, doch man könne dazu beitragen, den spirituellen Raum zu bewahren. „Wir sind die Hüter der Psyche.“

Besonders deutlich wurde die Realität des Kriegs in der Schweigeminute, um die Loznitsa im Namen des im Ukrainekrieg getöteten litauischen Filmemachers Mantas Kvedaravicius bat. Dieser hatte in Mariupol russische Kriegsgräuel dokumentieren wollen. Von Loznitsa stammte auch das ernüchterte Fazit: „Trau keinem Russen. Sie lügen immer.“

Er selbst wurde im Übrigen, wie die Gastgeberin, Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel, eingangs erwähnte, vor Kurzem von der Ukrainischen Filmakademie ausgeschlossen. Der Grund: Loznitsa lehnt einen pauschalen Boykott russischer Filme­macher ab.

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6 Kommentare

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  • Der Artikel lässt mich ratlos und ärgerlich zurück.

    Da formuliert ein Künstler den unfassbaren Satz "„Trau keinem Russen. Sie lügen immer.“ und soll sich doch kurz vorher gegen den pauschalen Boykott russischer Fimemacher ausgesprochen haben ... und dafür aus der ukrainischen Filmakademie ausgeschlossen worden sein (im Übrigen mit der Begründung, er sei - seliger Stalinismus - "Kosmopolit").

    Ja, was denn nun? Und wo ist eine Einordnung?

    Ich erwarte von der taz auch einen kritischen Kommentar zu Äußerungen wie "Alle Russen lügen immer". Wo geraten wir denn sonst hin?

    • @Plewka Jürgen:

      Stimme zu. Verstärkt seit dem mutmaßlichen Massaker von Butscha geht der Tenor in vielen Medien, darunter wohl auch der taz, in eine Richtung der "Tätervolk"-Argumentation.

      Das mag aus emotionalen Gründen verständlich sein, ist aber gerade falsch.

      Schließlich ist die Hypothese, dass man Menschen nach der Zugehörigkeit zu einem Volk oder einer Ethnie bewerten soll, einer der Bausteine des faschistischen Ultranationalismus eines Putin - und zugegebenermaßen einer größeren Gruppe der russischen Bevölkerung, aber eben nicht allen.

      Man beantwortet also Böses mit der gleichen Logik, und bekräftigt diese Logik damit noch.

      Was daraus werden kann, kann man etwa in Armenien/Aserbaidschan sehen - dort bewerten sich sehr viele Menschen nur noch danach, ob sie einer bestimmten Ethnie angehören oder nicht.

      Eine bessere Alternative wäre, dass man sich nicht "gegen Russland", sondern "gegen den russisch-putinistischen Ultranationalismus" positioniert. Dies bietet die Möglichkeit, die ethno-nationalistische Logik zu durchbrechen und beispielsweise die mutigen Russen, die sich gegen die Invasion stellen, weiterhin unterstützen zu können.

    • @Plewka Jürgen:

      Ich muss sagen, ich erwarte keine Einordnung von der Taz und auch keinen kritischen Kommentar zu eindeutig kritisch zu sehenden Äußerungen.

      Das riecht nach meinem Geschmack zu sehr nach betreutem Denken.

      Ich teile aber voll Ihre Ratlosigkeit.

      Hier fehlt irgendwie der Kontext des Zitates oder was auch immer.

      • @rero:

        "betreutes Denken":



        super Formulierung, das muss ich mir merken

    • @Plewka Jürgen:

      Mir erscheint es auch bedenklich, dass solche Äußerungen so gedankenlos als "Fazit" aus der Veranstaltung hingestellt werden.



      So wie auch "Brücken offenzuhalten, sei in so einem Fall das Dümmste, was man tun könne"? Was soll man denn sonst tun? Sie alle abbrechen? Wem soll das helfen?



      Die langfristige Hoffnung ist doch, mittels solcher Brücken die russische Bevölkerung dabei zu unterstützen, selbst für ein Ende dieses Krieges und auch dieses Regimes zu sorgen. Dazu sagt Loznitsa allerdings in einem anderen Interview: "Dieser Krieg kann nur mit der Kapitulation der Russischen Föderation beendet werden." Dann würde er wohl ewig dauern und die Zahl der Toten auf allen Seiten möchte man sich nicht ausmalen.

      • @NoMeansNo:

        Ja, Brücken sollten nie ganz abgerissen werden. Ideal wäre, die Aggression zu stoppen, ohne dabei den Aggressor zu schädigen. Wie das jetzt noch gehen soll, weiß ich auch nicht recht.

        Nur bruchstückhaft: Wie wäre es, wenn Russland Rubel will, in natural zu zahlen, mit Dingen, die dem Krieg nichts nutzen, aber der Klimawende, z. B. Solarmodule oder Straßenbahnen.

        zu Loznitsa: "dies sei kein Krieg zwischen zwei Ländern, sondern zwischen zwei Weltsichten"

        Da stimme ich nicht zu. M. E. geht es um Vorherrschaft. Die Oligarch_innen der USA und westlicher Länder wollen neben Europa auch Russland in ihren Einflussbereich bekommen, während die russischen Oligarch_innen Europa in ihren Einflussbereich bringen wollen. Das ist dieselbe Weltsicht. Die Ukraine ist dazwischen geraten.