Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden: Union-Busting bei Primark
Der hannoversche Modehändler versucht, den Betriebsratsvorsitzenden loszuwerden – weil der im Homeoffice seinen privaten Laptop nutzte.
Als Betriebsratsvorsitzender hat Ralf Sander hier in den vergangenen Jahren an verschiedenen Stellen mit dem Unternehmen gerungen: Da mussten etliche Überwachungskameras zurück gebaut werden, die jeden Winkel des Ladens – inklusive der Gänge vor den Sozialräumen – bewachten. Und das Zeiterfassungssystem, das ganz nebenbei biometrische Daten erfasste, weil zum Ein- und Ausstempeln die Handrücken der Beschäftigten gescannt wurden.
Sebastian Triebel, Verdi
Doch nun steht Betriebsrat Ralf Sander selbst im Kreuzfeuer. Der Vorwurf: Er soll schwere Datenschutzverstöße begangen haben, indem er während des Lockdowns im Homeoffice einen Personalplan und eine Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit an seinem privaten Rechner bearbeitet und von seiner privaten E-Mail-Adresse aus an Mitglieder von Betriebsrat und Geschäftsleitung verschickt hat.
Die Vorwürfe sind vor allem deshalb ein wenig absurd, weil das Unternehmen es zuvor ausdrücklich abgelehnt hatte, den Betriebsräten mobile Endgeräte für die Arbeit zuhause zur Verfügung zu stellen. Für den gesamten Betriebsrat gibt es zwei alte PCs im Betriebsratsbüro, das während der Ladenschließung aber nicht immer nutzbar war, eine E-Mailadresse und ein Smartphone, erklärt Sander.
Geschäftsführung nimmt es selbst nicht so genau
Der Gesamtbetriebsrat klagt deshalb gerade in Berlin gegen Primark. In Hannover regelt eine IT-Betriebsvereinbarung ausdrücklich, dass die Betriebsräte für das Verschicken von Einladungen und Tagesordnungen ihre privaten Mailadressen benutzen dürfen.
In diesem Fall, sagt das Unternehmen, seien aber sensible Personaldaten verschickt worden. Und es sei eben nicht hinnehmbar, dass der Betrieb nicht kontrollieren könne, wo diese nun noch überall gespeichert, zwischengespeichert oder unzureichend gelöscht in virtuellen Papierkörben existierten und möglicherweise von Dritten abgegriffen und missbraucht werden könnten.
Das ist natürlich absolut richtig, räumt Sebastian Triebel ein, der den Fall für die Gewerkschaft Ver.di betreut. Gerade Betriebsräte sollten für dieses Thema sensibilisiert sein. Nur, meint er, müsste man dann eben auch sichere Alternativen schaffen.
Zumal der Arbeitgeber selbst es offenbar nicht so genau nimmt: Noch bis vor kurzem soll er die Dienstpläne aller – mehr als 300 – Mitarbeiter*innen an deren private Mailadressen geschickt haben. „Und zwar nicht als individuelle Einsatzpläne, sondern als Gesamtliste – so dass jeder von jedem wusste, wer wann und wo arbeitet, frei macht, krank geschrieben ist, in Elternzeit ist und so weiter“, erläutert Olivia Günter, die Anwältin des Betriebsrates.
Diese Informationen gehen sogar noch über die Daten der Personalaufstellung hinaus, die Sander per Mail verschickt hat. Was er im Übrigen auch nur getan hat, weil er in seiner Eigenschaft als Beisitzer in einem Einigungsverfahren einen Entwurf für die weiteren Verhandlungen erstellt hat. Der Entwurf ging an die anderen Beteiligten in diesem Einigungsverfahren – Richter*innen, Betriebsrät*innen, Geschäftsführung – also ausschließlich Personen, die auch sonst Zugriff auf diese Daten hatten und haben durften.
Arbeitsrichterin weist Kündigung zurück
Trotzdem versucht Primark, daraus einen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu stricken. Aber das, ließ die zuständige Arbeitsrichterin in Hannover bei der Verhandlung an diesem Mittwoch durchblicken, reiche nun wirklich nicht aus. „Die Hürde für die außerordentliche Kündigung ist hoch, und bei einem Feld, das mit so viel Unsicherheiten behaftet ist, hätte man erst einmal andere Mittel wie Gespräche oder Abmahnungen wählen müssen“, erklärte Richterin Gudrun Stoewer weiter.
Ver.di wittert dahinter allerdings System: „Wir haben zwei weitere Kündigungsfälle bei Primark Berlin und ähnliche Vorwürfe gegen den kompletten Betriebsrat in Weiterstadt“, sagt Triebel. In allen Fällen sollten engagierte Betriebsrät*innen und Gewerkschafter*innen eingeschüchtert und aus dem Betrieb vertrieben werden.
Dabei, sagt Triebel, habe Primark entgegen seines schlechten Rufes als Ramsch-Verkäufer und Wegwerf-Modeladen noch bis vor ein paar Jahren einen ganz ordentlichen Umgang mit den Vertreter*innen der Mitarbeiter*innen gepflegt. Erst seit kurzem wehe hier ein anderer Wind – möglicherweise habe der mit Wechseln im Management zu tun oder auch damit, dass der stationäre Handel stark unter Druck sei. Anders als große Konkurrenten wie H&M oder Zara hat Primark kein Onlinegeschäft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers