Kritisches Gedenken in Georgien: Umstrittenes Erinnern an Gorbatschow
Der Tod Michail Gorbatschows ist in Georgien fast unbemerkt geblieben. Auch, weil man ihn für die Niederschlagung einer Demo 1989 verantwortlich macht.
H ier liegen immer frische Blumen. Auf dem Rustaveliprospekt, der Hauptstraße im Zentrum von Tiflis, steht ein Denkmal für die Menschen, die am 9. April 1989 gestorben sind. Die friedlichen Demonstranten, die von russischen Soldaten brutal auseinandergetrieben wurden, hatten einen Austritt Georgiens aus der Sowjetunion gefordert. Die Soldaten setzten Giftgas ein und schlugen die Protestierenden mit Klappspaten. Einundzwanzig Menschen starben, es gab mehr als 2.000 Verletzte.
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Für viele Menschen in Georgien ist dieses Denkmal ein Beweis dafür, dass die liberalen Reformen des letzten Präsidenten der UdSSR, Michail Gorbatschow nur eine Fassade für das unverändert repressive Regime waren. Diese Meinung ist bis heute im Land verbreitet. Gorbatschow hat bis zum Schluss selbst behauptet, dass die Entscheidung über den Einsatz von Gewalt „hinter seinem Rücken“ getroffen wurde und die damalige politische Führung in Georgien Schuld daran gewesen sei. Aber viele denken, dass der Generalsekretär der kommunistischen Partei den Einsatzbefehl dafür gegeben haben könnte.
Die Sowjetarmee versprühte das Tränengas „Tscheremucha“ und Giftgas vom Typ „CS“. Letzteres hatten auch US-amerikanische Soldaten im Vietnamkrieg eingesetzt. Um welches Gas es sich damals wirklich handelte, wurde erst später bekannt. Am 9. April verheimlichte das Innenministerium diese Information sogar vor den Ärzten, die die Opfer behandelten. Trotz Gorbatschows Glasnost und Demokratie hat das sowjetische Regime zunächst versucht, diese Verbrechen zu verheimlichen.
Die sowjetischen Zeitungen gaben den Demonstranten die ganze Schuld. „Sechzehn Menschen wurden bei einem Zusammenstoß getötet, der durch hartes Vorgehen gegen provozierende, asoziale Randalierer verursacht wurde“, so die offizielle Version des Kremls, die von den Medien übernommen wurde.
ist 31 Jahre alt und arbeitet als freier Journalist in Tiflis. Unter anderem ist er für den georgischen Dienst von Radio Freies Europa tätig. Seine Schwerpunkte sind Menschenrechte und digitale Sicherheit. Er hat einen Masterabschluss in Journalistik und Kommunikation. Er war Teilnehmer eines Workshops der taz Panter Stiftung.
Niemand glaubte das. Aus Zeugenaussagen wurde immer klarer, dass es sich hier um eine Strafoperation handelte. Auch die georgische Polizei gehörte übrigens zu den Opfern russischer Soldaten, als sie versuchten, die Demonstrierenden zu schützen. Mehr als 20 Polizisten mussten mit Schädel-Hirn-Traumata ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Georgien ist nicht das einzige Land, das unter den sowjetischen Streitkräften unter Michail Gorbatschow gelitten hat. So wurden zum Beispiel im Januar 1991 im litauischen Vilnius 14 friedliche Demonstranten von sowjetischen Spezialkräften ermordet. Es gab mehr als 700 Verletzte. Darum blieb der Tod von Michail Gorbatschow in Georgien fast unbemerkt. Viele meinen, dass es ohne ihn schwieriger gewesen wäre, für die Unabhängigkeit zu kämpfen. Aber nur wenige sind bereit zu glauben, dass er mit den harten Strafen, die diesem Kampf folgten, nichts zu tun hatte.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
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