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Kritik an Ameos-Klinikum OsnabrückEntblößung bis in die Tiefe der Seele

Am Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie zeigt sich, dass die Auslagerung staatlicher Aufgaben an Private starke Nachteile haben kann.

Fixieren als permanente Drohung: Auf den Fluren hätten dafür Betten bereit gestanden, sagt eine ehemalige Patientin Foto: Rolf Poss/Imago

Osnabrück taz | Das Ameos-Klinikum Osnabrück braucht große Worte: „Grundlage unseres Handelns ist die Unantastbarkeit der Würde des Menschen“, schreibt das Fachkrankenhaus für Psy­chiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik mit rund 850 Mitarbeitenden in seinem Leitbild.

Die Realität im ehemaligen öffentlich-rechtlichen Landeskrankenhaus, das 2007 an die private Ameos-Gruppe verkauft wurde, entspricht dem oft nicht. Seit Längerem schon gibt es Vorwürfe, vor allem über Missstände in der Geronto­psy­chia­trie. Sie sind so hart, dass die Osnabrücker Landtagsabgeordneten Frank Henning (SPD) und Verena Kämmerling (CDU) jüngst ihren Austritt aus dem Beirat des Klinikums erklärt haben. „Wir sind nicht bereit“, schreiben sie in einer Erklärung, „durch unsere Mitgliedschaft eine menschenunwürdige Unterbringung psychisch kranker Patientinnen und Patienten indirekt zu dulden.“

Dem Klinikum werden Mängel in Sauberkeit, Bau und Sanierung vorgeworfen, zudem Überbelegung und Unterbesetzung, schlechte Zahlungsmoral gegenüber Dienstleistern und Mitarbeitenden, Unterqualifizierung. Es komme zu Vernachlässigung, zu Gewalt an und unter PatientInnen.

Tagelang fixiert

Die ehemalige Ameos-Patientin Ulrike Leimkötter (Name geändert) hat diese Gewalt am eigenen Leib erlebt. „Seit seiner Privatisierung ist das Klinikum zu einem menschenverachtenden Ort geworden“, sagt sie der taz. „Ich war mehrfach dort. Einmal kamen acht Männer, fixierten mich, und so lag ich dann eine Woche lang, ohne jede Bettwache, meine Hände wurden noch nicht mal zum Essen losgebunden, und danach hatte ich Wunden an den Füßen, durch die Fesselung. Das war schrecklich.“ Auf dem Flur hätten vorbereitete Fixierbetten gestanden. „Wir haben das als Drohung aufgefasst“, sagt sie. „Kooperiere, oder du kommst da rein!“

Sie erzählt von schimmelbefallenen Räumen, widerlichem Essen, ignorierten Fragen, abgewiesenen Besuchern. Ihre Aufenthalte bezeichnet sie als „traumatisierend“.

„Die Vorwürfe überraschen in keiner Weise“, sagt Matthias Wiegmann, Sprecher der Selbsthilfegruppe Psychiatrie-Erfahrene Osnabrück, der taz. „Da muss sich bedeutend was ändern.“ Es gebe im Klinikum engagierte MitarbeiterInnen, Unterschiede von Station zu Station. „Das ist kein Schwarzweiß.“ Aber die Probleme seien vielfältig.

Medikamente statt Interaktion

„Der Fokus liegt oft auf hochdosierter, sedierender Medikation, statt auf Interaktion mit den Patienten. Der Ton ist oft respektlos. Man muss sehr kämpfen, um Einsicht in die Patientenakte zu bekommen“, so Wiegmann. „Es gibt, im Vergleich zu anderen Kliniken, nur wenige Therapietermine, stattdessen viel Leerlauf. Persönliche Gegenstände verschwinden. Und seit zehn Jahren mahnen wir den Einsatz von Genesungsbegleitern an, aber das wird abgewehrt.“

Nicht nur in der Gerontopsychiatrie sei das zu beobachten, auch in anderen geschlossenen Abteilungen, etwa der Suchtkrankenhilfe.

Die Fachaufsicht über die nach dem Niedersächsischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke (NPsychKG) zur Unterbringung gegen den Willen des Betroffenen berechtigten Kliniken liegt beim Gesundheitsministerium. Die Kontrolle erfolgt durch Besuchskommissionen.

Angekündigte Kontrollen

In den vergangenen fünf Jahren hat die Besuchskommission Weser-Ems Süd das Klinikum Anfang 2019, Ende 2021, Mitte 2022, Ende 2023, und 2024 mehrfach besucht, im Regelfall angekündigt.

„Mein Ministerium hat mit zwei fachaufsichtlichen Weisungen in 2024 auf nachhaltige Verbesserungen der inakzeptablen Bedingungen gedrungen“, schreibt Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) der taz. „So kam es dann auch zu einem Verbot der Unterbringung von Personen nach dem NPsychKG auf den geschlossenen gerontopsychiatrischen Stationen.“

Es habe Verbesserungen beim Personalschlüssel und beim Therapieangebot gegeben. „Wir sind aber noch nicht zufrieden. Daher werden wir den Aufsichtsdruck noch einmal verschärfen.“ Auch er selbst werde „zeitnah“ vor Ort sein.

Betreiberwechsel wäre Ultima Ratio

Aktuell schließe er „nichts aus“, schreibt Philippi. „Ein Betreiberwechsel wäre aber die Ultima Ratio.“ Er setze auf Vernunft, Verantwortung und Kontrolldruck. „Sollte das nicht wirken, müssen weitere Maßnahmen politisch besprochen werden.“ Es dürfe nicht um Gewinnmargen und Rendite für ein Hedgefonds-Unternehmen gehen: „Es geht um Menschen, die Hilfe benötigen.“

„Es ist gut, dass das Land Ameos genau auf die Finger schaut“, sagt Nicolas Breer der taz, Landtagsabgeordneter der Grünen, selber Psychotherapeut und erst kürzlich mit einer Besuchskommission im Klinikum. Es bleibe „noch viel Luft nach oben“ für Ameos Osnabrück.

Das Klinikum, von der taz zur Kommentierung aufgefordert, ignoriert Detailfragen. Defizite seien „gezielt und konsequent“ behoben worden, teilt es in einer allgemeinen Stellungnahme mit. Es gebe „positive Rückmeldungen unserer Patienten hinsichtlich der hochwertigen therapeutischen Versorgung“.

Bis zu drei Fixierte pro Zimmer

„Die Phänomene sind deutlich“, sagt der ehemalige Ameos-Mitarbeiter L. V.-G. (Name der Redaktion bekannt) der taz, Fachkrankenpfleger für psy­chiatrische Pflege. „Das mündet in räumliche Verdichtung von Anspannung und Chaos, absolute Entgrenzung jeglicher Privatheit auf geschützten Stationen. Patienten verlieren als Objekte monetärer Begierden ihre Würde, das höchste Gut, das sie besitzen.“

L. V.-G. war lange als Trainer für Deeskalations­mana­ge­ment im Klinikum tätig. „Für diese Trainings, die Basisseminare wie die Auffrischungen, gibt es eine Teilnahmepflicht. Aber die wurde schlecht erfüllt, auf ärztlicher Ebene nur sehr lückenhaft, weil die Betriebsabläufe es nicht zuließen.“ Zuweilen lägen bis zu drei Fixierte in einem Zimmer. „So was entlastet vielleicht die Firma, wirtschaftlich, aber gegenüber den Betroffenen ist das nicht zu rechtfertigen. Das ist absolute Entblößung, bis in die Tiefe der Seele hinein.“

Dass ein Trägerwechsel etwas ändern würde, bezweifelt er: „Da wartet dann schon der nächste Hai. Was sich ändern muss, ist das Konzept.“ Das Problem sei die Privatisierung. Ameos Osnabrück sei kein Einzelfall: „Das ist die allgemeine Entwicklung der Psychiatrie.“

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