Kritik am Sicherheitspaket: Gefährliche Datenspeicherung
Teile des neuen Sicherheitspakets könnten eine weitreichende Überwachung der Bevölkerung erlauben. Einige Maßnahmen verstoßen gegen das Grundgesetz.
Der Ruf nach mehr Sicherheit ist immer dann laut, wenn etwas passiert ist, wie jetzt nach dem islamistischen Attentat in Solingen. Die Politik ist unter Druck, die Öffentlichkeit fordert Konsequenzen, die Opposition treibt die Koalition, und die Regierung zeigt Aktivismus. Ja, es ist eine zentrale Aufgabe des Staates, für Sicherheit zu sorgen. Aber was nun als Gesetzespaket auf dem Tisch liegt, ermöglicht Grundrechtseingriffe von ganz erheblichem Ausmaß und kann bei Missbrauch zur tiefgreifenden Überwachung führen.
Tabea Rößner ist MdB der Grünen und Medienexpertin, Vorsitzende des Ausschusses für Digitales des Deutschen Bundestags.
Sabine Grützmacher ist MdB der Grünen, Mitglied im Finanzausschuss und Berichterstatterin für die Gemeinnützigkeit der grünen Bundestagsfraktion.
Dabei ist keineswegs sicher, ob die geplanten Maßnahmen ein solches Attentat hätte verhindern können und ob sie in einem angemessenen Verhältnis zu dem versprochenen Gewinn an Sicherheit stehen.
Entsprechend ist das Urteil vieler Sachverständigen bei der Anhörung im Bundestag ausgefallen. Dennis-Kenji Kipker von der Universität Bremen spricht von einem „sicherheitsbehördlichen Daten-Supergau“, die Bundesdatenschutzbeauftragte Louisa Specht-Riemenschneider von einem Gesetz, welches „morgen in Karlsruhe kassiert wird“, und Christoph Sorge von der Universität Saarland von einer „Superdatenbank“, was „so rechtlich nicht haltbar“ sein dürfte.
Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte kritisiert die geplanten neuen Befugnisse für die Sicherheitsbehörden als „verfassungsrechtlich hoch bedenklich“ und einen Verstoß gegen das Europarecht. Auch im Digitalausschuss konnten die Vertreter:innen des Bundesinnenministeriums die Zweifel nicht zerstreuen, im Gegenteil.
Der Fall Daniela Klette
Die Sicherheitsbehörden sollen die Befugnis zum biometrischen Abgleich von öffentlich zugänglichen Bildern und Stimmen im Internet erhalten, um gesuchte Personen identifizieren zu können. Dabei wird auf den Fall der untergetauchten früheren RAF-Terroristin Daniela Klette verwiesen, die Journalisten Anfang des Jahres mithilfe eines (rechtwidrigen) KI-Tools zur Gesichtserkennung im Internet aufgespürt hatten.
Schnell wurde gefordert, Sicherheitsbehörden die Fahndung mit solchen Tools zu ermöglichen. Nun existiert aber bislang kein Programm, das das gesamte Internet und insbesondere soziale Netzwerke ad hoc einfach so durchscrollen kann; es ist auch in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten. Selbst das Bundesinnenministerium räumte im Digitalausschuss ein, man könne noch nicht sagen, wie der Abgleich konkret erfolgen könne.
Klar ist, dass dies mit verfügbaren Programmen nicht erlaubt ist. Zum Abgleich bedarf es einer Datenbank. Beim Fall Klette bediente man sich alter Fahndungsfotos, die in dem Gesichtserkennungstool hochgeladen wurden. Überträgt man das auf die geplanten Befugnisse für die Sicherheitsbehörden, müsste eine große Datenbank angelegt werden, die einen Gesichtserkennungsabgleich erst ermöglicht.
Dazu müssten auch Daten von Menschen verarbeitet werden, die individuell keinen Anlass, etwa in Form eines Verdachts, bieten, der eine Datenerhebung und -speicherung rechtfertigen würde.
Zentrale Superdatenbank
Bei der geplanten Erfassung von persönlichen Daten würde der Ausnahmefall zum Regelfall gemacht. Man käme dem viel befürchteten „gläsernen Bürger“ näher als jemals zuvor. Eine solche zentrale Superdatenbank würde also jede Art der bisher diskutierten Vorratsdatenspeicherung in den Schatten stellen und könnte anlasslos jeden Bürger, jede Bürgerin treffen. Nach der Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung ist diese im Sicherheitspaket vorgesehene Maßnahme weder mit dem Grundgesetz noch mit Europarecht zu vereinbaren.
Es drängt sich der Eindruck auf, das Bundesinnenministerium und die Sicherheitsbehörden nähmen die derzeitige Stimmung zum Anlass, ihre Befugnisse derart zu erweitern, wie sie es in der Vergangenheit schon oft (erfolglos) versucht hatten.
Jüngstes Beispiel ist das BKA-Gesetz, das das Bundesverfassungsgericht vergangene Woche für teilweise rechtswidrig erklärte. Man bedenke angesichts einer an Stärke gewinnenden Rechten nur, wie Antidemokrat:innen solche Instrumente gegen missliebige Kritiker:innen einsetzen könnten.
Massive Eingriffe in die Grundrechte müssen immer geeignet, erforderlich und angemessen, also verhältnismäßig sein. Dies sehen wir nicht.
Unbekannte Dimensionen der Überwachung
Wir Grüne sind zur Bundestagswahl mit dem Vorhaben angetreten, die Sicherheitsgesetzgebung auf den Prüfstand zu stellen. Im Koalitionsvertrag haben wir uns auf eine sogenannte Überwachungsgesamtrechnung – übrigens eine Auflage des Bundesverfassungsgerichts – sowie auf die Gründung einer unabhängigen Freiheitskommission verständigt.
Erstere soll die Überwachungsgesamtlast der Bürger:innen bemessen; Letztere soll Bürgerrechte und Freiheit gegen die Eingriffsbefugnisse der Sicherheitsbehörden abwägen und damit als Schutzinstrument gegen übermäßige staatliche Kontrolle dienen. Leider wurden beide Projekte bisher nicht umgesetzt.
Stattdessen geht die Bundesregierung nun in die entgegengesetzte Richtung. Bevor die überfällige Bilanz der bereits bestehenden Überwachungsgesetze gezogen ist, diskutiert der Bundestag nun über neue, noch weiterreichende Befugnisse für die Sicherheitsbehörden, die bislang unbekannte Dimensionen der Überwachung eröffnen.
Aufgrund der in Rede stehenden Befugnisse und des damit verbundenen sehr intensiven Eingriffs in die Grundrechte fordern 20 Organisationen der Zivilgesellschaft in einem offenen Brief die Abgeordneten auf, das Sicherheitspaket abzulehnen, Rechtsstaatlichkeit zu wahren und die Grundrechte zu schützen. Nicht nur dieser Appell sollte Anlass genug sein, das Sicherheitspaket einer differenzierten Betrachtung zu unterwerfen und die verschiedenen Befugnisse auf ihre Verhältnismäßigkeit zu überprüfen.
Dabei sollte auch bedacht werden, inwieweit bereits bestehende Ermächtigungen schlicht konsequent vollzogen werden müssten, um ausreichende Sicherheit zu garantieren. Wir werden uns für diese differenzierte Betrachtung in der Koalition einsetzen. Einer uferlosen Verarbeitung persönlicher Daten werden wir uns verweigern. Den Sicherheitsbehörden darf kein Freifahrtschein in eine unbekannte Zukunft ausgestellt werden. Es muss mit den wesentlichen Akteur:innen wie den Datenschutzbeauftragten, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft an verfassungskonformen Lösungen gearbeitet werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland