Krise des niederländischen Fußballs: Schrei nach Härte
Der Fußball in den Niederlanden liegt darnieder. An das schöne Spiel glaubt man nicht mehr. Jetzt geht es um Körperlichkeit.
Louis van Gaal genoss nach der WM ein fast überirdisches Ansehen. Aber die Fachleute betrachten die Bronzemedaille aus einer anderen Perspektive: Die Mannschaft habe es nur dem Coach und Arjen Robben zu verdanken, dass sie so weit gekommen sei. Mehr war nicht.
Sie behielten recht. Zwei Monate später zeigten sich die Mängel im Team, als es für die Mannschaft ohne Louis van Gaal – der war mittlerweile Trainer von Manchester United – in die Qualifikationsspiele für die Europameisterschaft ging. Das Team war nur noch ein Schatten der Mannschaft, die in Brasilien Platz drei erreicht hatte. Der neue Coach, der Veteran Guus Hiddink, erlebte mit der Auswahl schwere Zeiten. Die 1:2-Niederlage in Prag gegen Tschechien war der Vorbote vieler dramatisch schlechter Qualifikationsspiele. Schnell wurde der Mangel an Qualität und Durchsetzungsvermögen sichtbar.
Oranje schwankte ständig und war richtungslos ohne van Gaal und den oft verletzten Robben. Auch den erfahrenen Spielern wie Wesley Sneijder (Galatasaray Istanbul) und Robin van Persie (damals noch Manchester United) gelang es nicht, die unerfahrenen Spieler wie Daryl Janmaat, Stefan de Vrij und Bruno Martins Indi glänzen zu lassen. Es folgten zahlreiche Gespräche mit dem Vorstand des niederländischen Fußballverbands, der überrascht worden war von dem schnellen Verfall.
Guus Hiddink kündigte und machte Platz für seinen Assistenten Danny Blind. Aber auch der tat sich schwer. Oranje schloss die Qualifikationsgruppe auf Platz drei. Der Gruppensieger hieß Island. Die EM fand ohne Oranje statt.
Ohne Holland…?
In der laufenden Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2018 in Russland stehen die Chancen auch nicht besonders gut. Die niederländische Mannschaft ist schwächer als Gruppenkonkurrent Frankreich. Deutlich wurde das bei der 0:1-Niederlage im Qualifikationsduell in Amsterdam. Nach dem Spiel schwärmten die holländischen Spieler von Frankreichs Mittelfeldspieler und Torschützen Paul Pogba, der in dem Spiel eine wahre Plage war für die Niederlande. Pogba verbindet Technik mit Kraft und gilt als Symbol des modernen Fußballspielers. In der niederländischen Mannschaft fehlen solche Spielertypen, so die einhellige Meinung nach dem Spiel in der Amsterdam Arena.
Die Diskussion darüber, ob der niederländische Fußballspieler stark und erwachsen genug sei, ist nicht neu. In der Champions League und der Europa League sei schon öfter deutlich geworden, dass die Niederlande vor allem Knaben hervorbringen. Die bescheidenen Ergebnisse niederländischer Klubs in den europäischen Vereinswettbewerben sind in den letzten Jahren für die Niederlande eher die Regel als die Ausnahme. Wenn es mal wieder nicht gut gelaufen ist in einem europäischen Wettbewerb, war die Schlussfolgerung immer dieselbe: Unser Fußballspiel muss umstrukturiert werden.
Dass die niederländischen Klubs sich nicht mit den großen Klubs aus England, Deutschland, Italien, Spanien und Frankreich messen können, damit konnte man bisher immer leben. Aber dass die Niederlande in der Fifa-Weltrangliste von Ländern wie Ägypten oder Costa Rica überflügelt worden sind, die früher eher belächelt wurden, das sorgt für Kopfschmerzen.
Platz 21 der Fifa-Weltrangliste
Auf Rang 21 steht Oranje. Eine Blamage für das Land, das 1974 den pulsierenden „totalen Fußball“ erfunden hat und das mit Johan Cruyff, Willem van Hanegem, Marco van Basten, Ruud Gullit und Frank Rijkaard Spieler von absoluter Weltklasse hervorgebracht hat. Noch schmerzhafter ist es, dass der jüngere, kleine Bruder der Niederlande, Belgien, auf Rang fünf in der Weltrangliste liegt und über eine Ansammlung internationaler Spitzenfußballer verfügt.
Bei der Wahl in den Niederlanden könnten die Rechtspopulisten um Geert Wilders stärkste Kraft werden. Für die taz.am wochenende vom 11./12. März hat unser Autor Wähler besucht und mit ihnen über ihre Hoffnungen gesprochen. Außerdem: Politiker fordern mehr Härte gegen Gefährder – Menschen, meist potenzielle Islamisten, die bisher keine Straftat begangen haben. Wer widerspricht noch? Und: Was Plastikpuppenbordelle mit Feminismus zu tun haben. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Auch im Klubfußball hat Belgien die Niederlande überflügelt. Mit Anderlecht, Racing Genk und AA Gent stehen drei Klubs aus dem Nachbarland unter den letzten 16 Klubs in der Europa League. Aus den Niederlanden war am Donnerstag nur Ajax Amsterdam aktiv – und hat verloren, 1:2 beim FC Kopenhagen. Der berühmte niederländische Klub aus der Hauptstadt hatte sich zu Saisonbeginn in den Playoffs zur Champions League regelrecht blamiert und schied nach einer 1:4-Pleite beim russischen Vizemeister FK Rostow aus. Auch für den PSV Eindhoven war Rostow in der Champions League nicht zu schlagen. Der Klub wurde hinter Atlético Madrid, Bayern München und den Russen nur Gruppenletzter. Und wieder werden dieselben Schlüsse gezogen: Der niederländische Fußball muss umstrukturiert werden.
Aber was müsste man denn eigentlich ändern? Wie müsste man spielen? Wie sollte man die Jugendspieler ausbilden, damit wieder Elan und Schwung in den niederländischen Fußball kommt? Zusammen mit den Trainern der Amateur- und Profivereine stellt der niederländische Fußballverband sich diese Frage. Schon lange heißt es ja, dass vor allem Kraft und Durchsetzungsvermögen fehlen.
Was die Technik betrifft, sieht man keine Mängel, aber in Bezug auf Zweikampfverhalten und Schlitzohrigkeit blickt Oranje eifersüchtig auf Konkurrenten wie Portugal, das im vergangenen Sommer den Europameistertitel gewonnen hat. Die Neiddebatte hört sich so an: In Portugal lerne die Jugend noch, was es heißt, im Alltag zu überleben, während die niederländische Jugend sich hauptsächlich mit der Playstation beschäftige. Wo sich in der Vergangenheit Buben nachmittags nach der Schulzeit noch beim Fußballspiel auf der Straße zum Spitzenspieler entwickelt haben, würden sie heutzutage kaum noch draußen auf der Straße spielen.
Knaben müssen Männer werden
Tatsächlich haben Ruud Gullit und Frank Rijkaard in ihrer Kindheit jeden Tag stundenlang auf dem mittlerweile berühmten Bilboaplatz in Amsterdam gekickt, wo auch das Recht des Stärkeren galt. Marco van Basten glänzte als Kind schon in den Straßen des Utrechter Viertels Oog in Al. Und Johan Cruyff, der beste Fußballer, den die Niederlande je hervorgebracht hat, wuchs im Amsterdamer Viertel Betondorp auf. Dort legte er den Grundstein für seine brillante Karriere als Spieler, als Trainer und als Gewissen des niederländischen Volks. Cruyff, der im vergangenen Jahr an den Folgen von Lungenkrebs starb, hat den Wert des Straßenfußballs immer wieder betont. Auf dem Straßenpflaster wachse die optimale Kombination von Technik, Kraft und Siegermentalität.
ist ein niederländischer Sportreporter. Er schreibt für Voetbal International und das Algemeen Dagblad
Kein Wunder, dass bei den Reformen im Jugendbereich der Schwerpunkt auf dem körperlichen betonten Spiel liegt. Die Knaben müssten Männer werden, das ist die einhellige Meinung. Bei den Allerkleinsten wird das Fußballfeld halbiert und auch die Anzahl der Spieler stark reduziert, sodass die Kleinen auch wirklich den Ball spielen können und nicht nur über das Feld traben. Es wird beabsichtigt, das Spiel so zu organisieren, dass die Kinder während des Spiels so viel Körperkontakt wie möglich haben. Im höherklassigen Amateurfußball hat es eine neue Ligaeinteilung gegeben. Auch hier ist das Ziel, den Mannschaften möglichst viele ebenbürtige Gegner zu verschaffen, damit es in den Partien zu mehr Zweikampfsituationen kommt.
Dieser Schrei nach Härte hört sich beinahe schon panisch an – kein Wunder, bei den miesen Ergebnissen der vergangenen Jahre. Neulich, während eines großen Symposiums über die Zukunft des niederländischen Fußballs, war es keiner Geringerer als Pep Guardiola, Trainer von Manchester City, der das Land auf seine eigentliche Stärke hinwies: „Ändert den Fußball nicht zu drastisch“, sagte der König des Tiki-Taka: „Glaubt mir, ihr macht schon vieles sehr gut.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren