Krise bei Volkswagen: Viertagewoche statt Kündigung
Niedersachsens Landeschef Weil will Werkschließungen bei VW mit einem bewährten Rezept verhindern. Dabei betrifft die Krise die gesamte Autobranche.
Bereits im November 1993 einigten sich die Gewerkschaft IG Metall und die Unternehmensleitung auf die Einführung einer Viertagewoche, in deren Rahmen die Beschäftigten Gehaltseinbußen akzeptierten. Gleichzeitig verzichtete der Konzern auf betriebsbedingte Kündigungen. Mit dem Arrangement wurden nach Angaben der Gewerkschaft damals 30.000 Arbeitsplätze gesichert.
Volkswagen befindet sich nun wieder in der Krise. Anfang dieser Woche teilte Europas größter Autobauer mit, die eigentlich bis 2029 geltende Beschäftigungsgarantie vorzeitig kündigen zu wollen – aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage. Auch Werksschließungen will die Chefetage nicht länger ausschließen.
Wie viele Arbeitsplätze wegfallen könnten, ist noch nicht sicher. Dies wird in Verhandlungen zwischen Konzernführung, Betriebsrat und Gewerkschaft entschieden. Das Wort von Ministerpräsident Weil hat da durchaus Gewicht: Weil Niedersachsen mit 20 Prozent an Volkswagen beteiligt ist, sitzt der Landeschef nicht nur im Aufsichtsrat des Autobauers, er hat dort auch ein Vetorecht.
Gewerkschaft offen für Viertagewoche
Die IG Metall kann sich eine Wiedereinführung der Viertagewoche zur Beschäftigungssicherung vorstellen. „Das kann eine der Optionen sein“, sagte die IG-Metall-Bundesvorsitzende Christiane Benner am Rande einer tarifpolitischen Konferenz in Hannover. Wichtig sei, dass Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen vom Tisch kämen, betonte Benner. „Das sind für uns absolut rote Linien“, so die Vorsitzende.
Dabei betrifft die Krise nicht nur Volkswagen, sondern die gesamte deutsche Autoindustrie. Laut dem Münchner ifo-Institut ist die Stimmung in den Unternehmen der Branche „im Sturzflug“. Sie litten unter einem Mangel an neuen Aufträgen – insbesondere aus dem Ausland. Doch sind die Probleme bei den Autobauern mitunter hausgemacht. In Deutschland hätten sowohl sie selbst als auch die Politik sehr lange am Verbrenner festgehalten, während der weltweite Trend Richtung Elektromobilität gegangen sei, erklärte Ifo-Konjunkturexperte Timo Wollmershäuser. Nun konkurrierten deutsche Autobauer auf dem Weltmarkt mit chinesischen Produkten.
Wollmershäuser ist auch in Bezug auf die gesamtwirtschaftliche Lage immer pessimistischer. „Wir haben eine strukturelle Krise. Es werden zu wenig Investitionen insbesondere in der Industrie getätigt, und die Produktivität tritt seit Jahren auf der Stelle“, sagte der Ökonom. Zudem stecke Deutschland in einer konjunkturellen Krise, weil die Auftragslage schlecht und die Menschen im Land verunsichert sind. Lohnzuwächse wanderten deswegen eher aufs Sparbuch als ausgegeben zu werden.
Das ifo-Institut senkte deshalb seine Prognose. Während es im Juni noch von einem Wachstum von 0,4 Prozent für dieses Jahr ausging, rechnet es in seiner am Donnerstag veröffentlichen Konjunkturprognose mit einem Nullwachstum. Für kommendes Jahr schätzt es 0,9 Prozent statt 1,5 Prozent Wachstum.
Schnelle Verhandlungen gefordert
Die IG Metall will jetzt schnell Klarheit über die Zukunft von Volkswagen haben. „Wir haben die klare Erwartungshaltung, dass Volkswagen nun schnellstmöglich an den Verhandlungstisch kommt und die Tarifverhandlungen nicht auf die lange Bank schiebt“, sagte ein Sprecher der niedersächsischen IG Metall der taz.
Ursprünglich war der Beginn der Tarifverhandlungen für Oktober geplant. Die IG Metall hat das Management bereits aufgefordert, sie noch diesen Monat starten zu lassen. Dann würden sie parallel zu den Tarifgesprächen in der niedersächsischen Metall- und Elektroindustrie laufen. Für beide Verhandlungsrunden fordert die Gewerkschaft eigentlich ein Lohnplus von 7 Prozent. „Das ist bewährte Praxis seit vielen Jahren – übrigens auch dann, wenn bei VW die Kassen überliefen und man auch hätte Entgelterhöhungen jenseits der Fläche rechtfertigen können“, so der IG-Metall-Sprecher.
Zuvor schaltete sich Bundeskanzler Olaf Scholz wegen der Krise bei VW ein. Ein Regierungssprecher sagte am Mittwoch in Berlin, Scholz habe sowohl mit dem Management als auch mit der Konzernbetriebsratsvorsitzenden und mit Aufsichtsratsmitgliedern gesprochen. (mit dpa)
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