Kriminologin über „Racial Profiling“: „Andere Methoden bringen mehr“
Polizeikontrollen allein aufgrund des Aussehens sind gesetzwidrig. Und auch nicht effektiv, sagt die Kriminologin Daniela Hunold.
taz: Frau Hunold, die Kölner Polizei wird von allen Seiten gelobt, weil sie Silvester für Sicherheit gesorgt hat, sogar von der Kanzlerin. Tatsächlich wurden kaum Straftaten angezeigt, nicht einmal Taschendiebstähle. Worauf ist dieser Erfolg zurückzuführen?
Daniela Hunold: In erster Linie lag das sicher an der sehr großen Präsenz von insgesamt 1.500 Polizeibeamten, die an neuralgischen Punkten in der Innenstadt im Einsatz waren. Die trifft man an normalen Tagen so nicht an, und die zeigt natürlich ihre Wirkung.
Die Polizei hat am Hauptbahnhof in Köln Hunderte mutmaßliche „Nordafrikaner“ eingekesselt. War dieses Vorgehen recht- und verhältnismäßig?
Da sehr, sehr viele Personen herausgezogen wurden und Augenzeugen wie Journalisten berichtet haben, dass die Auswahl nach rein äußerlichen Kriterien erfolgte, ist die Frage nach der Recht- und Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt. Denn offen ist immer noch, ob ein konkreter Verdacht gegen die Personen, die dort festgehalten wurden, bestand und inwiefern sich die Kontrollen auf deren individuelles Verhalten bezogen.
Die Polizei behauptet, viele seien alkoholisiert und aggressiv gewesen. Doch Augenzeugen und Betroffene widersprechen dem. Was stimmt?
Eigentlich ist es fast unmöglich, eine so große Menschenmenge in relativ kurzer Zeit einfach nach auffälligen Verhaltensweisen auszusortieren. Und auch die Führung der Polizei selbst kann bisher nicht glaubhaft erklären, nach welchen Kriterien die Personen ausgewählt wurden. Dementsprechend ist aufgrund der bisherigen Informationslage nicht gänzlich von der Hand zu weisen, dass hier auch Entscheidungen getroffen wurden, die nach etablierten Definitionen als Racial Profiling bezeichnet werden können.
Hunderte wurden festgehalten, 650 Personen kontrolliert, aber lediglich 48 erhielten einen Platzverweis. Deutet das auf eine gewisse Unverhältnismäßigkeit hin?
Definitiv. Und angesichts dieser Zahlen muss man sich auch die Frage stellen, inwiefern diese Maßnahme tatsächlich effektiv war, um möglichen Straftaten vorzubeugen.
Viele sagen, es sei doch nachvollziehbar, dass die Polizei an Silvester nicht vorwiegend Kölsche Omis ins Visier genommen habe, wie es in einem Kommentar. Und zudem sei in der Nacht ja nichts passiert: der Zweck heilige daher das Mittel.
Diese Meinung habe ich in den letzten Tagen sehr häufig gelesen, ich kann sie aber so nicht teilen. Denn damit wird das Diskriminierungsverbot aufgeweicht und eine Maßnahme, die eigentlich verboten ist, legitimiert. Darüber hinaus ist es höchst fraglich, ob Racial Profiling überhaupt effektiv ist. Es gibt wissenschaftliche Studien, die das Gegenteil sagen: dass man, wenn man nach rein äußerlichen Kriterien vorgeht, seltener potenzielle Straftäter herausfischt. Mit Kontrollen, die sich nach anderen Kriterien wie Verhalten und anderen Charakteristika richten, erzielt man eine höhere Trefferquote.
ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Die Kriminologin hat am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht promoviert. 2015 erschien ihre Dissertation „Polizei im Revier. Polizeiliche Handlungspraxis gegenüber Jugendlichen in der multiethnischen Stadt“ als Buch (Duncker & Humboldt).
Heißt das, die Polizei hätte die Leute am Hauptbahnhof einfach gehen lassen können?
Wenn es tatsächlich diese Erkenntnisse der verdeckten Ermittler in den Zügen Richtung Köln gab, dass da Gruppen dabei waren, die sich hoch aggressiv oder sonst wie auffällig verhielten, dann hätte man stärker auf diese Kriterien achten müssen. Bei Fußballspielen geht das ja auch – dass man da nur die Personen ins Visier nimmt, von denen man aus Erfahrung weiß, dass von ihnen eine gewisse Gefahr ausgeht. Eine andere Möglichkeit ist, dass man einfach ein Areal abgrenzt und sagt: Wer hier auf der Domplatte feiern will, den kontrollieren wir, und das machen wir mit allen Personen, die dort hinkommen.
Um den Dom gab es ja einen eingezäunten Bereich für die Feierlichkeiten mit Lichtspektakel und Chören und Einlasskontrollen an den Eingängen. Hätte das schon ausgereicht?
Ja, möglicherweise.
Die meisten Platzverweise und Festnahmen erfolgten auch nicht vor dem Hauptbahnhof, sondern durch Polizeistreifen anderswo in der Stadt. War diese Methode also womöglich effektiver?
Ja, ich denke schon.
Nun gibt es in Nordrhein-Westfalen eine Szene von kleinkriminellen „Antänzern“, die meist nordafrikanischer Herkunft sind. Ist es von der Polizei da nicht viel verlangt, bei Kontrollen im Zug an Silvester eine kriminelle Männerbande von einer Gruppe maghrebinischer Studenten zu unterscheiden? Anders gefragt: Lässt sich der hehre Anspruch des Diskriminierungsverbots in der Praxis immer durchhalten?
In solchen Situationen die Leute herauszugreifen, die man haben will, ist keine leichte Aufgabe. Aufgrund meiner bisherigen Forschung kann ich aber sagen, dass die Polizei über das Erfahrungswissen verfügt, solche Personengruppen voneinander zu unterscheiden. Das heißt, dass man unabhängig vom Äußeren einer Person darüber mutmaßen kann, ob diese Person oder diese Gruppe möglicherweise Straftaten im Sinn hat oder nicht. Das lässt sich vielleicht nicht immer umsetzen. Umso wichtiger wäre es aber, offen darüber zu sprechen: wir können diesem hehren Anspruch in einer komplexen Situation nicht immer gerecht werden. Aber wir können darüber reflektieren und uns weiter entwickeln.
Man könnte auch fragen: Was ist denn so schlimm an ein paar Kontrollen?
Das höre ich sehr oft: die Polizei hat doch für Sicherheit gesorgt, dann ist das doch okay. Aber erstens widerspricht es dem Grundgesetz und den Menschenrechten, wenn nordafrikanisch aussehende Personen nur aufgrund ihrer äußeren Erscheinung eingekesselt wurden. Außerdem führt das dazu, dass ohnehin schon vorhandene Vorurteile gegenüber nordafrikanischen Männern noch verstärkt werden. Das hat eine stigmatisierende Wirkung in der öffentlichen Wahrnehmung.
In der Debatte wird schon jetzt wenig zwischen kriminellen Nordafrikanern und rechtstreuen Bürgern nordafrikanischer Herkunft unterschieden. Wie wirkt sich das aus?
Klar waren unter den identifizierten Verdächtigen aus dem letzten Jahr viele aus dem nordafrikanischen Raum. Aber wie bei allen anderen Bevölkerungsgruppen ist auch bei Nordafrikanern nur ein Bruchteil kriminell. Deshalb ist es nicht in Ordnung, alle über einen Kamm zu scheren – nicht zuletzt, weil das auch bei unbescholtenen Bürgern maghrebinischer Herkunft das Vertrauen in die Polizei erschüttern könnte.
Was ist Ihrer Meinung nach in der Silvesternacht im Jahr zuvor schief gelaufen, dass es damals am Kölner Dom zu einer so massiven Zahl von Diebstählen und sexuellen Übergriffen kam?
Ich denke, dass dort von Anfang an zu wenig Polizeibeamte im Einsatz waren. Und dass sich offenbar schon relativ früh auf der Domplatte eine negative Stimmung breitgemacht hatte und schon lange vor Mitternacht erste Delikte passiert sind, das wurde viel zu spät erkannt, um rechtzeitig weitere Hundertschaften anzufordern. Unklar ist, ob diese zusätzlichen Beamten die Situation in den Griff bekommen hätten. Da das es vermutlich keine Verabredung gab, sondern sie eher der Situation geschuldet war, war diese Entwicklung im Vorfeld nur schwer abzusehen.
War der Exzess vor einem Jahr nicht auch ein Symptom dafür, dass einer der prominentesten öffentlichen Plätze der Republik sich selbst überlassen wurde?
Ja, diesen Eindruck konnte man gewinnen, wenn man sich etwa Videos aus jener Nacht anschaut: da herrschte eine Stimmung, da würde niemand von uns gerne sein wollen. In diesem Jahr hat man darauf reagiert, indem es diese Lichterprojektionen gab, die eher einen künstlerischen Wert hatte und möglicherweise ein anderes Publikum angezogen hat.
Wäre eine Vorgehen der Polizei wie dieses Jahr an Silvester in Köln auch in den USA oder Großbritannien möglich gewesen?
Das hätte sicher auch dort passieren können. Aber die Öffentlichkeit und auch die Polizei hätte vielleicht anders darauf reagiert. Dort hat die Kritik an der Polizei im Hinblick auf den Umgang mit ethnischen Minderheiten eine lange Tradition, und es gibt viel Forschung dazu, die auch gefördert wird. Deshalb vermute ich, dass man dort differenzierter mit der Kritik umgehen und möglicherweise auch entsprechende Konsequenzen daraus ziehen würde.
Was kann die deutsche Polizei aus der Debatte um die vergangene Silvesternacht 2016 /17 lernen?
Ich denke, die Polizei sollte insgesamt offener und transparenter mit der Kritik umgehen. Hier trägt die Polizeiführung eine große Verantwortung. Die Polizei sollte offener mit möglichen Fehlern umzugehen. Denn jeder macht Fehler, und daraus kann man lernen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin