Kriminalstatistik zu Partnerschaftsgewalt: Jeden Tag ein Mordversuch
Täglich verletzen, vergewaltigen oder töten Männer in Deutschland ihre Partnerin. Die Frauenministerin will das Recht auf Schutz etablieren.
2017 wurden mehr als 138.000 Fälle von partnerschaftlicher Gewalt in Deutschland registriert, darunter waren mehr als 113.000 weibliche Opfer. Bei den Delikten Vergewaltigung und sexueller Nötigung waren sogar mehr als 98 Prozent der Opfer weiblich. Der größte Anteil der weiblichen Opfer litt unter vorsätzlicher einfacher Körperverletzung, gefolgt von den Kategorien Bedrohung, Stalking und Nötigung. „Das sind schockierende Zahlen“, sagte Giffey. „Für ein Land wie Deutschland, das sich als modern und fortschrittlich versteht, ist das eine unvorstellbare Größenordnung.“
Giffey will deshalb langfristig einen Rechtsanspruch auf den Schutz vor Gewalt etablieren. „Momentan haben wir 6.000 Plätze in Frauenhäusern – das reicht nicht“, sagte sie. „Es muss einen gesellschaftlichen Konsens darüber geben, dass wir das ausbauen.“ Den zu erreichen, sei allerdings kein leichter Weg, sagte Giffey. Da müssten noch „dicke Bretter“ gebohrt werden.
Erstmals erfasste die Polizeiliche Kriminalstatistik 2017 wegen der Gesetzesänderungen im Sexualstrafrecht („Nein heißt Nein“) neue Deliktbereiche, darunter Nötigung, Freiheitsberaubung und Zuhälterei. In diesen Kategorien wurden knapp 7.000 Opfer erfasst, weshalb auch die Gesamtzahl der Opfer stieg. Fast die Hälfte der Opfer lebte mit dem Täter zusammen.
Unter den Opfern sind weit überwiegend Deutsche, die zweitgrößte Gruppe der Opfer sind Türkinnen. Auch unter den Tatverdächtigen sind mit rund 68 Prozent weit überwiegend Deutsche, danach folgen mit knapp 6 Prozent ebenfalls Türken. „In der öffentlichen Debatte kann man ja den Eindruck bekommen, die Ausländer sind’s“, sagte Giffey. „Aber Gewalt geht durch alle ethnischen Gruppen und sozialen Schichten.“
Dunkelziffer liegt bei rund 80 Prozent
Dass der Anteil der nicht-deutschen Tatverdächtigen mit rund 32 Prozent dennoch recht hoch ist, liege vor allem daran, dass es bestimmte Risikofaktoren für Täter gebe, sagte Giffey. Zum einen sind Männer grundsätzlich viel häufiger tatverdächtig als Frauen. Zudem gelte: „Je jünger und je prekärer die soziale Lage, desto höher ist die Anfälligkeit für Kriminalität generell“, sagte Giffey. Besonders gewalttätig sind der Statistik zufolge Männer zwischen 30 und 39 Jahren.
Franziska Giffey, Frauenministerin
Die Polizeiliche Kriminalstatistik bildet das sogenannte Hellfeld ab, also die angezeigten Delikte – die Dunkelziffer im Bereich Partnerschaftsgewalt liegt, wie Giffey sagte, bei rund 80 Prozent. Diese hohen Zahlen ließen sich auf Schätzungen und Studien wie die der Europäischen Grundrechteagentur zur Gewalt gegen Frauen von 2014 zurückführen.
Das unterstrich auch Petra Söchting, die Leiterin des 2013 ins Leben gerufenen bundesweiten Hilfetelefons für Frauen, das beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben angesiedelt ist und dessen neue Kampagne am Dienstag ebenfalls vorgestellt wurde.
„Jetzt rede ich“ sei das Motto der Kampagne, so Söchting. Mit einem Fernsehspot, mit Plakaten und Flyern soll auf das Angebot aufmerksam gemacht werden. Beim Hilfetelefon sind rund um die Uhr Beratungen in 17 Sprachen per Telefon, Chat oder E-Mail möglich. Rund 40 Prozent der Gespräche würden zwischen 18 Uhr abends und 8 Uhr früh geführt, sagte Söchting.
Die ausschließlich weiblichen Beraterinnen informierten dann über Hilfemöglichkeiten vor Ort oder auch Hinweise zur anonymen Spurensicherung. „Aber vielen geht es erst mal gar nicht um eine Anzeige, sondern darum, dass sie und ihre Kinder geschützt sind“, sagte Söchting.
Zahlen zeigen nur Vorfälle innerhalb von Partnerschaften
Giffey und Söchting gingen auch darauf ein, dass auch Männer unter den Opfern von Partnerschaftsgewalt sind. Zwar sei es richtig, „dass wir einen Schwerpunkt auf Gewalt gegen Frauen legen“, sagte Giffey, weil Frauen mit 82 Prozent einfach in viel größerem Maße betroffen sind. „Das Hilfetelefon berät aber auch Männer“, sagte Söchting.
Cornelia Möhring, Die Linke
Im September trafen sich Bund, Länder, Kommunen und Beratungsstellen zum ersten Mal zum runden Tisch gegen Gewalt an Frauen. Dort wird erarbeitet, wie die Strukturen im Gewaltschutz verändert werden können. Für die Umsetzung des im Koalitionsvertrag vereinbarten Aktionsprogramms zur Prävention und Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen und Kindern ist geplant, 2020 35 Millionen Euro aufzuwenden.
Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Gesine Agena, forderte, der runde Tisch müsse eine bundesweit einheitliche Finanzierung von Beratungsstellen und Frauenhäusern sowie einen Rechtsanspruch auf den Schutz gegen Gewalt „zügig durchsetzen“.
Die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Cornelia Möhring, sagte, die Zahlen würden nur Vorfälle innerhalb von Partnerschaften zeigen – das sei aber nur „ein Bruchteil der Gewalt“. Zu Tötungsdelikten an Frauen außerhalb von Beziehungen lägen der Bundesregierung demgegenüber so gut wie keine Erkenntnisse vor. „Wir brauchen umfassende Untersuchungen zu allen Formen der Gewalt an Frauen“, forderte Möhring, „damit diese wirksam bekämpft werden kann.“
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