Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien: Schock nach dramatischem Abgang
Der Suizid des kroatischen Kriegsverbrechers Slobodan Praljak vor dem Haager Gericht erregt die Gemüter der Bosnier.
E r ist der Star des nachmittäglichen Umtrunks in der kleinen Künstlerbar im Stadtteil Ciglane in Sarajevo: Nenad, ein Kroate aus Sarajevo, der während des letzten Krieges in der belagerten Stadt geblieben ist und sie als Soldat mit verteidigt hat. Er ist kein kroatischer Nationalist. Weil er aber Slobodan Praljak, den in Den Haag verurteilten kroatischen Kriegsverbrecher, dem es gelungen war, ein Gläschen Gift in den Gerichtssaal zu schmuggeln, kannte, steht er jetzt im Mittelpunkt.
Vor allem in den siebziger und Anfang der achtziger Jahre, als Praljak Theaterregisseur in Mostar war, hatte er mit ihm zu tun. „Die Künstler oder wer sich dafür hielt, saßen damals nächtelang zusammen. Wenn Praljak was getrunken hatte, erzählte er ziemlich viel Stuss.“ Nenad hebt das Weinglas. „Vielleicht haben wir seinen Unsinn unterschätzt, vielleicht meinte er sein wirres nationalistisches Zeug schon damals wirklich ernst.“
„Wie konnte er aber dann zum Direktor des Puppentheaters berufen werden?“, fragt einer aus der Runde. „Keine Ahnung, für uns galt er damals als labiler Künstlertyp, aber attraktiv für Leute, die sonst keine spinnerten Theaterregisseure kennen. Oder einfach Korruption.“
Nenad nimmt einen weiteren Schluck. „Sein Selbstmord, sein Abgang passt zu ihm, ist balkanisch dramatisch, seine letzte Inszenierung, eine Tragödie.“ Die Umstehenden nicken. War für ihn der ganze Krieg nur ein Schauspiel? Gab er den Befehl, die Alte Brücke zu beschießen und Mostar zu zerstören wie in einem Heldenepos?
Keine Moral
In dem großen Park in Sarajevo stehen einige Grüppchen und haben auch nur ein Thema. „Jetzt spricht die ganze Welt über Praljak und nicht über das Urteil“, sagt Meho Aličehajić, als 14-jähriger Junge Meldeläufer für die Partisanen im Zweiten Weltkrieg und ein Mann, der das sozialistische Jugoslawien mit aufgebaut hat.
„Die serbischen und kroatischen Nationalisten wollten im letzten Krieg nur alles zerstören, unseren Staat, unser Zusammenleben. Sie haben keine Moral, sie denken bis heute nicht an ihre Opfer, kein Wort der Entschuldigung.“
Jetzt sprächen alle Leute nur über Praljak, in Kroatien stellten sie Kerzen für ihn auf, sprächen über den Selbstmord und nicht über das Urteil, in dem nachgewiesen sei, dass die Verbrechen der kroatischen Seite von Zagreb aus dirigiert worden sind.
„Der Selbstmord ist jetzt spektakulär, das Urteil aber bleibt“, sagt Belma Zukić, eine Menschenrechtlerin. In Sarajevo sei das Urteil mit Erleichterung aufgenommen worden, die geschichtliche Wahrheit sei nicht zu unterdrücken.
Klatsch und Tratsch
Im Zentrum vor der Kathedrale stehen einige katholische Nonnen. Sie wollen aber nicht reden. Dafür sind die Kneipen um das Hotel Europa voll. Die Leute feiern. Darunter auch einige Ausländer.
Wenn man Klatsch und Tratsch aus der Ausländerszene hören will, dann hier. „Weißt du schon, dass der Hauptangeklagte Jadranko Prlić Trauzeuge bei der Hochzeit der ehemaligen Chefin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sarajevo war?“ „Oh, ja, ich erinnere mich.“ Es waren damals auch viele Gäste aus der diplomatischen Szene dabei, Botschafter und Hohe Repräsentanten.
„Damals war aber Jadranko Prlić noch nicht angeklagt.“ „Na, ja, aber alle wussten, dass er die Verantwortung für scheußliche Kriegsverbrechen hatte.“
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Wenn es danach ging, dann müssten jetzt wohl viele Fotos mit Hände schüttelnden Diplomaten und Politikern verschwinden. Denn wer kungelte nicht mit dem Wendehals Prlić, der vor dem Krieg hoher kommunistischer Funktionär und sogar Präsident der Sozialistischen Republik Bosnien-Herzegowina war. Dann wurde er Ministerpräsident des kroatischen Parastaates Herceg-Bosna. Nach dem Krieg war er weiter aktiv, von 1999 bis 2001 Außenminister des Landes.
Gut, dass die Leute nicht wissen, dass Prlić dem Verfasser einige Tage vor seinem Gang nach Den Haag sein Buch über die Außenpolitik Bosniens mit Widmung geschenkt hat. Prlić erinnerte sich damals daran, dass der Verfasser ihn im Mai 1994 in Mostar zum Entsetzen anderer Journalisten gefragt hatte, ob er bereit sei, nach Den Haag zu gehen.
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