UN-Tribunal zu Ex-Jugoslawien: Gegen die Gummiwand
Das Internationale Strafgericht zum Krieg in Ex-Jugoslawien beendet seine Arbeit. Trotz mancher Fehlurteile hat es wichtige Arbeit geleistet.
Es waren die Bilder von ausgemergelten Gefangenen der Konzentrationslager in der westbosnischen Stadt Prijedor im August 1992, die viele Menschen aufgerüttelt haben. Vor allem die (jüdischen) Überlebenden der Konzentrationslager des Zweiten Weltkriegs waren entsetzt. Aber auch viele Menschenrechtsgruppen und Politiker forderten, den Verbrechen der ethnischen Säuberungen vor allem an der (muslimischen) Bevölkerung Bosniens ein Ende zu setzen.
Zu einer militärischen Intervention für die Menschenrechte kam es jedoch nicht. Da waren die Widerstände doch zu groß. Militärs wollten nicht in Abenteuer verwickelt werden; die Friedensbewegung lief Sturm; die lokalen Machthaber in Exjugoslawien waren mit ihrer Propaganda erfolgreich, die Öffentlichkeit zu verwirren. Doch immerhin einigte man sich auf die Gründung eines UN-Tribunals gegen Kriegsverbrechen.
Mit der Resolution 827 schuf der Weltsicherheitsrat am 25. Mai 1993 den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) – jedoch nur halbherzig. Was kann schon mit einem anfänglichen Etat von 250.000 Dollar ausgerichtet werden?
Die erste Crew bestand aus nur fünf Mitarbeitern. Aber es gab Enthusiasmus. Schnell meldeten sich andere Richter und Experten. Sie betraten rechtliches Neuland und wollten in einen bestehenden Krieg mäßigend eingreifen. Die vom serbischen Kommandeur Ratko Mladić befohlene Ermordung von mehr als 8.000 muslimischen Männern in Srebrenica 1995 konnten sie aber nur aus der Ferne beobachten.
Immerhin war das UN-Gericht befugt, den Völkermord anzuprangern und die Verantwortlichen für Mord, Ausrottung, Versklavung, Freiheitsentzug, Folter, Vergewaltigung, Verfolgung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen und andere unmenschliche Handlungen anzuklagen. Es gelang den mutigen Chefanklägerinnen Louise Arbour und Carla Del Ponte, einige westliche Regierungen zu überzeugen, wenigstens temporär ernsthaft mit dem Tribunal zusammenzuarbeiten.
Bis heute werden die Opfer diskriminiert
Carla Del Ponte beklagte oftmals die „Gummiwand“, die sich vor ihr auftat. Die Geheimdienste wussten über vieles Bescheid, unternahmen aber nur selten etwas. Nur durch den Druck der Öffentlichkeit und die Machtwechsel in Kroatien und Serbien im Jahr 2000 konnte sie endlich die Hauptverantwortlichen für die Verbrechen nach und nach dingfest machen.
Die Behörde mit ihren zuletzt 2.000 Mitarbeitern blieb fleißig. Nun beendet sie ihre Arbeit. Die Fülle des Materials, die seit 1993 zusammengetragen wurde, macht den Krieg im ehemaligen Jugoslawien zu einem der am besten erforschten Kriege der Geschichte. Das Gericht hat mehr als 160 Personen wegen Kriegsverbrechen angeklagt, 4.650 Zeugen vernommen und 2,5 Millionen Seiten an Zeugenaussagen und Gerichtsverfahren dokumentiert.
Trotz mancher Fehlurteile bleibt das Gericht wichtig für eine Region, in der immer noch nationalistisch gefärbte Geschichtsinterpretationen herrschen. Bis heute werden die in ihre Heimat zurückkehrenden Opfer diskriminiert, man leugnet sogar ihr Leiden. Doch richtig bleibt auch, was die bekannte kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakulić einmal sagte: In der Diskussion über die Vergangenheit könne eigentlich niemand mehr die Prozesse in Den Haag ignorieren.
Durch die hervorragend dokumentierten Gerichtsprozesse sind Standards gesetzt, die auch in anderen Regionen der Welt angewandt werden könnten. Nicht die Auflösung des UN-Tribunals in Den Haag ist die Lösung, sondern eine Weiterentwicklung der internationalen Gerichtsbarkeit für alle Länder – auch wenn dies angesichts der jetzt nach rechts driftenden Entwicklungen unrealistisch klingt.
Natürlich wollen Mächte wie die USA, Russland, China und andere nicht so gern selbst ins Fadenkreuz von Ermittlungen unabhängiger transnationaler Gerichte geraten. Sollten sie aber.
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