Kriegsdienstverweigerer als Veteran: Der Unveteran
Sind auch nachträgliche Kriegsdienstverweigerer ohne ihr Wissen Veteranen der Bundeswehr? Das wollte unser Autor genau wissen – und bekam Post.
M anchmal kann man bei Wer wird Millionär? nicht nur einen großen Scheck gewinnen, sondern auch einen großen Schreck erleiden. Neulich war gefragt, welche Organisation in Deutschland im November 2018 auf einen Schlag plötzlich Millionen Mitglieder bekam. Richtige Antwort: die Bundeswehr, die per Erlass allen Ehemaligen seit 1956 den Ehrenstatus eines Veteranen zuspricht. Ganz nach US-Vorbild.
Warum Schreck? Weil ich, Fehler meines Lebens, auch einmal 15 Monate dabei war: Grundwehrdienst. Schweres Pionierbataillon. Ekelhaft. Würderaubend. Zwar folgte als Reservist bald die erfolgreiche Kriegsdienstverweigerung, somit eine Art Reinwaschung des Gewissens. Aber, hallo: Alle Ehemaligen sind jetzt offiziell Veteranen? Ich auch? Igitt.
Schnellrecherche im Netz. Ja, steht da, tatsächlich alle Exsoldaten – mit einer Ausnahme: wenn man unehrenhaft entlassen worden sei. Das war ich nicht. Also: Bin ich zurückvereinnahmt, ohne es zu ahnen?
Mailanfrage im Verteidigungsministerium. Nach drei Tagen Rückruf des Gefreiten einer Verwaltungsstelle. Er fragt nach der Personenkennziffer. Hallo, junger Mann, das ist über 40 Jahre her! Ersatzweise Zeit und Ort des Dienstes? Damit konnte ich, haha: dienen. Er bedankte sich und versprach, sich um das Veteranenabzeichen zu kümmern. Um das was?
„Wertschätzung für treuen Dienst“
Sechs Wochen lang passierte nichts, erneute Mail. Kurze Antwort. Man prüfe den Sachverhalt des Veteranenabzeichens. Jetzt wollte ich doch mal wissen, was die mir da ausdauernd andrehen wollen: Das Abzeichen („Ein festes Band, das alle verbindet“) ist ein kleines hässliches Kreuz mit Adler in der Mitte zum Aufnähen. Es symbolisiere „Wertschätzung für treuen Dienst“, wie es heißt. Hallo, ich besitze staatlich anerkannte Untreue.
Schließlich, der Bescheid: Die Überprüfung der Rechtslage durch eine Fachabteilung habe ergeben, hieß es, dass nach Wehrpflichtgesetz in alter Fassung (zu Zeiten meiner Verweigerung) wie auch neuer Fassung eine Kriegsdienstverweigerung „mit dem Verlust des Dienstgrades einhergeht“, daher sei ich kein Gefreiter der Reserve mehr. Heißt: „Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Sie nicht zu den Veteranen zählen.“ Und bockig dazu: „Das Veteranenabzeichen wird Ihnen nicht ausgehändigt.“
Also doch keine Zwangsveteranisierung. Ich hätte dagegen geklagt und gleichzeitig die Bewegung der nachträglichen Verweigerer aus den 1980er Jahren allumfassend mobilisiert inklusive öffentlicher Veteranenabzeichenverbrennung. Nicht noch einmal mit uns!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind