Krieg zwischen Israel und Hamas: Generalstreik für Geiseldeal gekippt
Die Proteste in Israel ziehen an, nachdem am Wochenende sechs Geiseln in Gaza tot geborgen wurden. Doch den geplanten Streik stoppt ein Gericht.
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Das Forum der Angehörigen der Entführten, die Opposition und Gewerkschaften fordern Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf: Nach der Ermordung von sechs Geiseln durch die Hamas am Wochenende müsse er seinen Widerstand gegen ein Abkommen über einen Waffenstillstand und eine Freilassung der noch immer rund 100 in Gaza gefangenen Geiseln aufgeben. Der Regierungschef steht massiv unter Druck. Ob er aber einlenken, und von israelischer Seite den Weg für ein Abkommen freimachen wird, ist alles andere als sicher.
Ein Generalstreik hat in Israel, dessen Wirtschaft ohnehin unter den Folgen des Krieges ächzt, einige Wucht. Auch wenn der Gewerkschaftsverband Histadrut heute nicht mehr die Macht hat, die er einst besaß, vertritt er nach eigenen Angaben noch immer rund 25 Prozent der Arbeitskräfte des Landes. Zudem haben sich auch Oppositionsführer Jair Lapid und weitere Verbände dem Aufruf angeschlossen. Die Arbeitsniederlegungen in Banken, Transportunternehmen oder den großen Häfen dürften das Land Millionen von Schekel kosten, schätzt der britische Guardian.
Zuletzt hatte die Histadrut von diesem Mittel im März 2023 Gebrauch gemacht, als Netanjahu Verteidigungsminister Joaw Gallant wegen dessen Widerstand gegen den geplanten Umbau des Justizsystems entlassen wollte. Damals musste der Regierungschef zurückrudern. Und trotz der Gerichtsentscheidung will das Forum der Angehörigen der Entführten die Proteste fortsetzen.
Druck auf Netanjahu aus den eigenen Reihen
International plant Israels wichtigster Verbündeter USA, den Konfliktparteien ein „letztes Angebot“ vorzuschlagen. Laut einem Bericht der Zeitung Washington Post will US-Präsident Joe Biden einen Vorschlag für einen Waffenstillstand und die Rückkehr aller Geiseln vorlegen. Diesen sollen die Hamas und Israel entweder annehmen oder ablehnen können. Im Falle eines Scheiterns könnten die USA demnach ihre Vermittlungsbemühungen einstellen.
Zuletzt wurden die Verhandlungen um einen Deal auf technischer Ebene fortgesetzt, steckten jedoch inhaltlich in einer Sackgasse. Besonders Netanjahus vergangene Woche im israelischen Sicherheitskabinett beschlossene Absage an einen Abzug aus dem Grenzgebiet zwischen dem Gazastreifen und Ägypten wird sowohl von Kairo als auch von der Hamas abgelehnt. Den Landstrich, Philadelphi-Korridor genannt, kontrolliert derzeit das israelische Militär – und damit auch die Grenze. Nach Angaben des israelischen Militärs wurden dort mehrere Tunnel Richtung Ägypten aufgespürt und zerstört.
Der Druck auf Netanjahu kommt auch aus den eigenen Reihen. Besonders Verteidigungsminister Joaw Gallant fordert, die Entscheidung von vergangener Woche aufzuheben. Er spricht sich dafür aus, dem Rat der Armee- und Geheimdienstspitzen zu folgen und in den Verhandlungen um einen Geiseldeal Kompromisse einzugehen. Am Ende der Kabinettssitzung vergangene Woche sollen sich die beiden Parteikollegen sogar angebrüllt haben.
Netanjahus Regierung verfügt über 64 von 120 Sitzen im Parlament. Um der Koalition gefährlich zu werden, müssten sich Gallant noch vier weitere Parlamentsmitglieder der Regierungsparteien anschließen.
Netanjahus Entscheidung könnte von Protesten abhängen
Doch Netanjahus innerparteiliche Gegner sind gespalten und die jüngsten Umfragewerte zeigen seine Partei Likud nach einem Einbruch im Oktober zuletzt wieder auf Platz eins der Beliebtheitsskala. Dass Gallant Mitstreiter in der eigenen Partei findet, ist derzeit wohl unwahrscheinlich. Die Drohungen seiner rechtsextremen Koalitionspartner könnten für Netanjahu gefährlicher werden. Diese haben angekündigt, die Regierung im Falle eines Abkommens zu verlassen.
Ob der Regierungschef angesichts der neuen Protestwelle seine Position überdenken wird, dürfte maßgeblich von den Entwicklungen der kommenden Tage abhängen. Die israelische Zeitung Haaretz berichtet unter Berufung auf Diplomatenkreise, Netanjahu werde seine Entscheidung vom Druck der Straße abhängig machen. „Er wird so viel Zeit schinden wie möglich“, zitiert das Blatt aus dem Umfeld des Ministerpräsidenten.
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