Krieg in der Ukraine: Den Krieg nach Russland tragen
Koordinierte Angriffe aus der Ukraine und russischen Exilkämpfern: All das soll Putins Verwundbarkeit zeigen – wenige Tage vor den russischen Wahlen.
Am Dienstagmorgen überschritten dann drei Einheiten der bewaffneten russischen Opposition die ukrainisch-russische Grenze in den Gebieten Belgorod und Kursk. Videos zeigen Kämpfer der „Russischen Freiheitslegion“ auf Panzern bei der Überquerung der Grenze.
Der frühere Abgeordnete der russischen Staatsduma, Ilja Ponomarjow, der jetzt in der Ukraine lebt, berichtete auf seiner Facebook-Seite, die Ortschaft Lozowaja Rudka sei „vollständig unter der Kontrolle der Befreiungskräfte“. Die „Russische Freiheitslegion“, das „Russische Freiwilligenkorps“ und das „Sibirische Bataillon“ seien „im Rahmen einer gemeinsamen Operation in die Regionen Kursk und Belgorod der Russischen Föderation eingedrungen“.
Zeigen, dass Russland verwundbar ist
Am frühen Nachmittag meldete die „Russische Freiheitslegion“ die Einnahme des russischen Dorfes Tetkino. In einer Videobotschaft erklärten ihre Kämpfer, sie würden „zu den Wahlen“ gehen. „Wir kommen, um euch von Armut, Elend und Diktatur zu befreien“, so die Legion. Die Kämpfer erklärten, sie träumten von einem Russland, das von Putins Diktatur befreit sei, und würden „alles tun, um diese Träume zu verwirklichen“.
Denys Sokolov vom „Sibirischen Bataillon“ erläuterte gegenüber nv.ua die Ziele des Angriffs: Zum einen wolle man der Ukraine helfen, außerdem wolle man den Bewohnern Russlands, seinen Behörden und seinem Militär zeigen, dass sie verwundbar sind und dass man den Krieg „auf das Territorium des Aggressors verlagern wird“.
Nach Angaben des Telegram-Kanals Rusnews hat der Bürgermeister von Kursk für alle SchülerInnen der Stadt Unterricht im Homeoffice angeordnet. Nach Angaben des Gouverneurs von Belgorod gibt es in der Stadt Schebekino Sachschäden an Gebäuden und Verletzte unter der Zivilbevölkerung.
Offiziell hält sich die Ukraine in der Bewertung der Angriffe zurück. Die von den Kämpfern benutzten Waffen seien von diesen erbeutet worden, zitiert das Portal rbc.ua Andri Jusow vom ukrainischen Verteidigungsnachrichtendienst. Und im Büro des ukrainischen Präsidenten heißt es, die Ukraine sei nicht direkt in die Ereignisse in Belgorod verwickelt, beobachte sie aber „mit Interesse“, berichtet „Suspilne“.
Gleichwohl ist nur schwer vorstellbar, dass bewaffnete Einheiten von Exilrussen ohne Wissen der ukrainischen Führung die ukrainisch-russische Grenze überquert haben. Die „Russische Freiheitslegion“ gehört zur „Internationalen Legion der Ukraine“, die von der ukrainischen Regierung Ende Februar 2022 aufgestellt wurde, um am Abwehrkampf gegen die russische Invasion auch ausländische Kämpfer beteiligen zu können.
Angriff war gut vorbereitet
Zuletzt wurde die „Freiheitslegion“ im Sommer 2023 auf russischem Gebiet aktiv. Dass sie jetzt erneut in Erscheinung tritt, ist kein Zufall. Wenige Tage vor den Präsidentschaftswahlen in der Russischen Föderation soll bewiesen werden, dass das Putin-Regime die russischen Grenzen nicht kontrolliert – ein Signal auch an wankelmütige westliche Unterstützer der Ukraine, das zeigen soll, dass Putin nicht allmächtig ist.
Der Angriff ist offensichtlich gut vorbereitet, denn er fällt zusammen mit einer Welle ukrainischer Drohnenangriffe in Russland und einem Stillstand an der Kriegsfront in der Ukraine, wo Russland nach der Einnahme der Stadt Awdijiwka bei Donezk im Februar zwar weiter massiv angreift, aber nicht mehr nennenswert vorankommt. Die ukrainischen Gegenschläge in Russland erinnern an die Kriegstaktik von 2022, als die Ukraine in der Defensive steckte und mit gezielten Angriffen auf militärische Ziele innerhalb Russlands reagierte, um die russische Logistik zu schwächen.
Im Gebiet Iwanow stürzte am Dienstag außerdem ein russisches Militärtransportflugzeug vom Typ Il-76 ab. 15 Menschen seien an Bord gewesen, berichtet das russische Verteidigungsministerium. Ukrainische Quellen sprechen von einem erfolgreichen Drohnenangriff – 700 Kilometer tief im russischem Gebiet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau