Krieg im Libanon: „Für Wiederaufbau braucht es Frieden“
Israelische Raketen treffen das Gebäude eines deutsch-libanesischen Friedensprojekts, dort untergebrachte Binnenvertriebene sterben. Wie soll es nun weitergehen?
taz: Herr Arnaout, am 9. Oktober haben zwei israelische Raketen das „Haus des Friedens“ getroffen, ein von Ihnen und Ihrer Frau gegründetes Projekt für ein friedliches Miteinander. Wie geht es Ihnen heute?
Said Arnaout: Sehr schlecht. Wir trauern um die sechs dabei umgekommenen Menschen. Außerdem wurden zwölf Menschen im Alter zwischen 3 und 90 Jahren verletzt. Die Situation ist bedrückend. Wir wollten den Menschen Schutz geben – und dann wurden sie getötet. Das „Dar As-Salam“, das Haus des Friedens, hat zwei Gebäude. Durch den Raketenangriff sind das Dach und die zwei oberen Stockwerke des einen Gebäudes eingestürzt, darunter war der Speise- und Gemeinschaftsraum.
Das deutsch-libanesische Paar hat das „Haus des Friedens“ vor 30 Jahren gegründet, als Ort für zivilgesellschaftlichen Austausch zwischen Menschen im Libanon und interkulturelles Verständnis zwischen Deutschen und Libanes*innen.
taz: Wen hatten Sie bei sich aufgenommen?
Arnaout: Am Tag des Angriffs lebten 87 Personen in den Gebäuden. Die Wohnung von meiner Frau und mir ist nur 300 Meter entfernt. Dort waren weitere 22 Menschen untergebracht, ihnen ist zum Glück nichts passiert. Wir haben nur Menschen, die wir kennen, ins Haus gelassen. Es waren Verwandte von Bekannten oder Freunde. Es war nicht das erste Mal, dass die Begegnungsstätte zum Zufluchtsort wurde. 1993 und 1996 während der israelischen Offensiven, 2006 im Krieg mit Israel und 2020 nach der Hafenexplosion. Wir haben oft auch alleinstehende, alleinerziehende Frauen aufgenommen.
taz: Wo sind die Überlebenden heute?
Arnaout: Bei anderen Kontakten, etwa in der Stadt Saida im Südlibanon.
Latife Abdul Aziz: Es ist uns wichtig, sie emotional zu unterstützen. Wir hatten versucht, im Haus des Friedens vor allem Familien Obdach zu geben, keinen Einzelpersonen. Viele kannten wir sehr gut. Wir sind täglich mit ihnen in Kontakt – übers Telefon und über unsere Mitarbeiterin vor Ort.
taz: Sie halten sich in Deutschland auf. Wie haben Sie von dem Angriff erfahren?
Abdul Aziz: Um 11.07 Uhr deutscher Zeit rief unsere Mitarbeiterin an, in einem Videocall. Sie sagte: „Wir wurden angegriffen. Das Haus ist eingestürzt.“ Sie war in Panik, wusste nicht, was sie machen sollte. Ich war wie benebelt und fragte nach den Menschen, die in der eingestürzten Etage wohnten. Unsere Mitarbeiterin sagte: Zwei Leichen liegen im Hof. Sie musste sie mit Bettdecken verhüllen. Gott sei Dank waren zum Zeitpunkt des Angriffs viele Kinder im Hof beim Spielen und blieben unverletzt. Manche hatten in der Lobby auf ihre Eltern gewartet, damit sie gemeinsam zum Supermarkt gehen. Aber die Eltern kamen die Treppe nie herunter.
Said Arnaout
taz: Was genau passierte bei dem Angriff?
Arnaout: Die sechs Oper wurden aus der dritten Etage geschleudert. Nach etwa sieben Stunden fanden eine Mutter und ihr Sohn den Leichnam des Familienvaters im Essraum unter den Trümmern. Die Sanitäter mussten den Zaun durchbrechen, um auf das Grundstück zu kommen. Vor dem Eingang lagen Steine und Trümmer, die sie erst räumen mussten, um alle Leichen zu bergen. Das nächste Krankenhaus liegt etwa drei Kilometer entfernt, dort wurden die Verletzten hingebracht. Sie wurden zum Glück mittlerweile entlassen. Zwei der Toten wurden im Dorf Wardanieh, wo das Haus des Friedens liegt, und vier an ihren Geburtsorten beerdigt.
Gibt es psychologische Unterstützung für die Menschen aus dem Haus?
Abdul Aziz: Wir versuchen uns gegenseitig zu unterstützen und stark zu bleiben, einen klaren Kopf zu bewahren. Wir müssen, was passiert ist, akzeptieren und überwinden. Hier in Deutschland fragen wir uns, was wir tun können. Unsere Mitarbeiterin im Libanon übernachtet nun bei einer Freundin, gegenüber dem zerstörten Gebäude. Dort gibt es nun auch keinen Strom und kein Wasser mehr.
Wie geht es jetzt weiter?
Arnaout: Bei dem Gebäude, das nicht komplett zerstört ist, müssen wir vieles instand setzen: Glasfenster und Türen, auf das Dach sind auch einige große Betonblöcke geschleudert worden. Die Handwerker sind fast täglich im Haus und retten, was noch zu retten ist. Der Zustand des getroffenen Gebäudes ist katastrophal. Wir wissen noch nicht, ob wir es komplett abreißen müssen. Das muss ein Architekt prüfen. Wir versuchen nun erst mal, die Gebäude winterfest zu machen.
Wenn sich die Lage beruhigt hat, fliegen wir in den Libanon. Wir haben einen Spendenaufruf gestartet und schon einiges an Geld zusammenbekommen. Es braucht aber allein 70.000 Euro, um das eine Gebäude zu reparieren.
taz: Das Haus des Friedens war Ihr Herzensprojekt. Werden Sie es wieder mit Leben füllen?
Abdul Aziz: Jeder Raum, jede Ecke wurde mit Herzblut gestaltet. Für den kompletten Wiederaufbau und einen erneuten Austausch im Haus braucht es zuerst Frieden.
taz: Bekommen Sie Unterstützung aus der Politik?
Arnaout: Am 9. Oktober rief der Geschäftsführer der Deutschen Botschaft im Libanon an und fragte, ob Deutsche unter den Opfern sind. Er bekundete kein Beileid, es war ein sehr nüchterner Anruf. Wir haben keinen persönlichen Kontakt zur Botschaft oder zum Auswärtigen Amt. Aber der Vorstand unseres Vereins ist da im Gespräch.
taz: Das Auswärtige Amt hat auf X geschrieben, es stehe mit der israelischen Regierung in Kontakt und erwarte Aufklärung. Wie finden Sie das?
Arnaout: Das haben wir gar nicht gesehen. Mir reicht, was Außenministerin Annalena Baerbock in einer Rede im Bundestag gesagt hat Im Krieg sterbe auch die Zivilbevölkerung, wenn sich hinter ihnen angebliche Hamas- oder Hisbollah-Mitglieder verstecken. Das zeigt, dass es kein Erbarmen gibt.
taz: Was halten Sie von dem Vorwurf, dass ein Hisbollah-Mitglied sich in Ihrem Haus aufgehalten haben soll?
Arnaout: Keiner der Bewohnenden war politisch aktiv. Viele waren Senioren oder Kinder. Ein Gast war etwa der Schuldirektor Ali Chalhoub, ein langjähriger Freund von Latife. Er und seine Frau sind gestorben, ihre beiden Kinder nun verwaist. Hiam Saini aus dem palästinensischen Flüchtlingslager Rashidieh im Südlibanon und ihr Sohn Omar Zaydan sind ebenfalls umgekommen – der Familienvater war ein Freund, den ich als Student der Sozialarbeit 1997 kennen gelernt hatte. Dann starben noch Amjad Moussa und sein Sohn Mohammed: Ich kannte Amjad von einer Reise in den Südlibanon. Er war ein Verwandter von Freunden, die im Erdgeschoss gewohnt hatten.
taz: Israel erklärte, einen „Hisbollah-Kommandeur eliminiert“ zu haben.
Arnaout: Das israelische Militär wollte dem ARD-Magazin „Monitor“ auf wiederholte Nachfrage keinen Namen nennen. Wir haben alle Namen der Menschen im Haus an Journalisten weitergegeben. Sie haben diese Liste mit Namen von getöteten Hisbollah-Leuten abgeglichen, die das israelische Militär bekannt gegeben hat. Es gab keine Übereinstimmung. Wir kennen die getöteten Menschen: Keiner davon war Hisbollah-Kommandeur. Und überhaupt: Das Völkerrecht erlaubt es nicht, für eine Zielperson so viele zivile Opfer in Kauf zu nehmen. Das ist ungerecht! Das israelische Militär kann machen, was es will – wir sitzen am kürzeren Hebel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken