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Krieg im GazastreifenMühevoller Gleichmut

Kommentar von Aisha Kadiri

Wem das palästinensische Leid egal ist, der kann nicht glaubwürdig gegen Rassismus sein. Eine Gewissensprüfung würde gerade der Linken gut anstehen.

Wieder waren Kinder unter den Todesopfern der israelischen Bombardierungen im Gazastreifen am Wochenende Foto: Abdel Kareem Hana/ap

D ie meisten Dinge des Lebens erfordern anstrengende Arbeit. Es erfordert Anstrengung, eine Familie zu ernähren und Freundschaften aufrechtzuerhalten. Ein Haus zu bauen oder auch ein Haus zu zerstören, erfordert Anstrengung. Vor allem aber erfordert es unfassbare Anstrengung, gleichgültig zu bleiben. Diese Arbeit wird nicht nur von Po­li­ti­ke­r*in­nen verrichtet, sondern von uns allen. Gleichgültig, dass Menschen sterben, und gleichgültig, dass wir als Nation daran beteiligt sind.

Aber auch die Gleichgültigkeit gegenüber dem wirklichen Ausmaß der vielen Gewalttaten, an denen Deutschland historisch beteiligt war. Die anstrengende Arbeit der Gleichgültigkeit hat mehrere Schauplätze. Zum einen die sehr konkrete Arbeit des Zusammenbaus der Waffen in den Fabrikhallen der Republik, die dann andernorts Infrastruktur und Leben zerstören. Zum anderen ist da die unschärfere, weniger klar erkennbare Arbeit des Sich-gleichgültig-Machens, während Menschen sterben.

Teil dieser zweiten Arbeit ist auch die Gleichgültigkeit gegenüber der Tatsache, dass das eigene Weltbild genau die Entmenschlichung enthält, die auf ironische Weise auch den Kern von Antisemitismus und Rassismus ausmacht. In dem Moment, in dem jegliche Kritik Israels durch den Antisemitismusvorwurf unmöglich gemacht wird, wird auch jegliche Staatsgewalt in die Ecke des Unkritisierbaren geschoben.

Selbst dass Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen als „Tiere“ bezeichnet werden, kann dann nur als bedauerlicher Einzelfall und nicht als systematische Entmenschlichung gesehen werden. All dies mit dem Vorwurf des Antisemitismus vor Kritik zu schützen, funktioniert nur, wenn nicht alles Leben als schützenswert gesehen wird. Ein wesentlicher Teil der Gleichgültigkeitsarbeit besteht darin, die Folgen dieser Entmenschlichung unsichtbar zu machen und all die geschundenen Körper und die Zerstörung von unseren Bildschirmen verschwinden zu lassen.

Aisha Kadiri

promoviert in Paris an der École Normale Supérieure in Philosophie.

Feministische Außenpolitik und Waffenlieferungen

Während Israel Gaza systematisch aushungert, verschwindet die Gewalt systematisch aus den deutschen Medien – eine absolute Schande. Gleichgültig gegenüber dem Leid anderer zu bleiben, ist also kein passiver Zustand, sondern erfordert mühevolle Arbeit an einem Fundament für ein Haus, das vor allem der eigenen Abschottung dient und deren Wände aus einer wattierten Ignoranz gegossen werden.

Wir sind nun mit der erschreckend klaren Tatsache konfrontiert, dass Israel seit dem 7. Oktober 2023 im Gazastreifen mindestens 50.000 Menschen tötete und dass dies nicht nur mithilfe von deutschen Waffen geschah, sondern auch von der Mehrheit der Deutschen – inklusive vieler vermeintlich Linker – entweder toleriert oder sogar als notwendig angesehen wird. Diese Tatsache kann auch jegliche rhetorische Gymnastik nicht verstecken.

Aber es scheint, dass sich ein Großteil der deutschen Linken nicht mal zu der Einsicht durchringen kann, dass auch die Menschenwürde der Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen unantastbar ist. Ob „universelle“ Rechte für alle gelten, ist eigentlich keine besonders interessante Frage, denn man braucht nur einen kurzen Blick in das Geschichtsbuch zu werfen, um zu erkennen, dass dies noch nie der Fall war. Welche Frauen meinte Ex-Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrer feministischen Außenpolitik, während sie Waffenlieferungen an Israel genehmigte.

Das Problem ist natürlich nicht nur die offensichtliche Doppelmoral Baerbocks und die Aushöhlung des Feminismusbegriffs, sondern dass so viele vermeintlich Linke dem so gleichgültig gegenüberstehen. Tagtäglich wird also an diesem Haus der Gleichgültigkeit gewerkelt, das anscheinend die deutsche Nation beherbergen soll und über dessen Eingang Orwells bekanntes Zitat als Schriftzug hängen könnte: „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher.

Minderjähriger „Kollateralschaden“

Wie viele relativierte Tote stecken in den Mauern dieses Hauses? Mit­läu­fe­r*in zu sein wird oft fälschlicherweise als ein passiver Zustand beschrieben. Zu laufen heißt jedoch, die eigenen Muskeln zu bewegen, und dies erfordert Anstrengung. Während sie gerade aktiv einen Schleier der Gleichgültigkeit über Deutschland legen, fragen sich manche, wie können wir den Faschismus stoppen?

Mit Schrecken und bürgerlicher Empörung wird auf den globalen Rechtsruck hingewiesen, ohne zu erwähnen, dass Donald Trump zuallererst auf propalästinensische Ak­ti­vis­t*in­nen zielte. Oder dass der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Rechtsextremen Europas nach Jerusalem einlädt. Und Personen, die denken, sie könnten einerseits Menschen, die in Krankenhausbetten verbrennen oder Kinder deren zerfetzte Körper an Wänden hängen, zu „Kollateralschaden“ erklären, wollen im gleichen Atemzug vor aufsteigendem Rassismus in Deutschland warnen.

Aber ist die menschenverachtende Gleichgültigkeit einmal mühevoll erschaffen, lässt sie sich schwer wieder ablegen. Und so stellt sich am Ende nicht nur die Frage, welche Arbeit es erfordert, gleichgültig zu bleiben, sondern auch, welche Arbeit diese Gleichgültigkeit leistet. Was macht das mit einer Gesellschaft? Wenn es schon als radikal bezeichnet wird, darauf hinzuweisen, dass es sich in Palästina um Menschen handelt, dann ist die Frage, in welchem Wahnsinn sich die deutsche Öffentlichkeit befindet. Und wohin diese Gleichgültigkeit führt.

Worte von links, die an Solidarität und Verantwortung appellieren und gleichzeitig aktiv Menschen ihr Menschsein absprechen, klingen jeden Tag hohler für all jene, denen die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen nicht gleichgültig sind. Für andere wiederum bereitet diese kognitive Dissonanz von links das perfekte Sprungbrett, um in Deutschland die eigenen Formen der Entmenschlichung voranzutreiben. Dieses Haus, das auf dem Fundament der Gleichgültigkeit und moralischem Bankrott entsteht, ist ein grundlegend instabiles, egal wie viel Arbeit darin steckt.

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13 Kommentare

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  • Gerade die Partei die Linke muss aktuell viele Antisemitismusvorwürfe von allen Seiten einstecken, weil sie sich mit der Jerusalemer Erklärung die Möglichkeit offen gehalten hat, Kritik an der israelischen Politik & Regierung zu äußern.

  • Danke

  • Gleichgültigkeit würde ich der deutschen Gesellschaft und besonders den Linken bei diesem Konflikt ja eher nicht attestieren sondern genau das Gegenteil. Kaum ein anderer regionaler Konflikt wird derart zu einem Popanz aufgeblasen. Etwas mehr Gleichgültigkeit würde uns befähigen uns wieder mit Themen zu beschäftigen, die hier vor Ort echte Relevanz haben. Das wir uns innerhalb der Bewegung über dieses Thema selbst auseinanderdividieren, statt uns um unsere eigenen Anliegen zu kümmern werde ich nie verstehen. Wie hier jemand zu Israel steht, ist für den Kampf für mehr Umverteilung oder bessere Arbeitsbedingungen doch völlig irrelevant.



    Deshalb wäre besonders unter Linken etwas mehr Gleichgültigkeit ob dieses Themas durchaus zu begrüßen. Es ist völlig sinnfrei sich ausgerechnet für die Klerikalfaschisten beider Seiten hier selbst zu bekämpfen.

  • Vielen Dank!



    Es geht nicht um irgendwie bedauernswertes und unspezifisches 'Leid' - es geht um massive Verletzungen internationalen Rechts, inkl. Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid, die in der öffentlichen Meinung achselzuckend hingenommen werden.

  • Vielen Dank für diesen Kommentar.

  • Sobald die Autorin dann auch noch erklärt, wie man einen Krieg führt ohne Leid anzurichten können wir weitersprechen. Israel wurde von der Hamas attackiert. Die Hamas hält heute noch Geiseln fest. Die Hamas will Israel zerstören. Die Hamas wurde von den Palästinensern gewählt. Also wo bleibt die Kapitulation der Hamas um dieses Leid zu beenden.

  • Scharf formuliert, doch echte Fragen.



    Was für eine Denke wäre es, wenn Netanyahu-Israel, das einige zum "Westen" zählen, alles darf? Und wenn wir palästinensische Opfer mit dem Wort "Hamas" weiterleiden lassen?



    So sehr das natürlich auch umgekehrt gälte, so läuft gerade wohl eher das Programm falsch im Sinne, dass wir die Empathie mit Ausgehungerten und Vertriebenen krass verweigern.

  • „… In dem Moment, in dem jegliche Kritik Israels durch den Antisemitismusvorwurf unmöglich gemacht wird“

    Wird sie das?

  • Wer hat denn angegriffen? Wer hat all das wissen können? Wer schert sich einen Kehricht um die eigene Bevölkerung? Wer hätte mit den militärischen Fähigkeit Israels längst jeden Juden in Israel getötet? Die Hamas. Die kommt hier mit keinem Wort vor. Und Sie wollen definieren was links ist?

  • „.. Dieses Haus, das auf dem Fundament der Gleichgültigkeit und moralischem Bankrott entsteht, ist ein grundlegend instabiles, egal wie viel Arbeit darin steckt.“

    So unendlich traurig, das auch so viele aufgeklärte und vorgeblich fortschrittliche Deutsche an diesem Haus aus Hass, Ignoranz und Gleichgültigkeit mitbauen.



    Offenbar sind Menschenrechte also nicht so universell, wie immer behauptet wird.

    Hinterher wird es wieder keiner gewesen sein wollen.

  • Wie jemand gegenüber palästinensischem Leid gleichgültig sein kann, ist mir schleierhaft.

    Auch alle Rechtfertigungen. Wie sollen Minderjährige für eine Wahlentscheidung vor ihrer Geburt verantwortlich sein? Wie genau stellt man sich "Widerstand gegen die Hamas" unter den herrschenden Bedingungen vor? Wenn die israelische Seite offensichtlich keinerlei Rücksicht auf Menschenleben nimmt?

    Aber ganz ehrlich: Ich kenne kaum jemanden, der das anders sieht. Die Beobachtungen der Autorin betreffen also nicht "alle Deutschen" oder "deutsche Linke", sondern die Repräsentant:innen deutscher "Staatsräson".

    Diese liegen grundsätzlich richtig mit ihrer Verteidigung Israels, im Falle des Vorgehens in Gaza aber nicht mehr.

    Dafür sterben einfach zuviele Menschen und dafür hungern zu viele Kinder.

  • Einseitige Darstellung



    Ich habe nicht einmal das Wort Geiseln und Geiselnahme gelesen. Ich habe nicht ein Wort vom Leid der Geiseln und deren Familienangehörigen gelesen. Sie habe nicht einmal erwähnt, wer diesen aktuellen Konflikt durch Grausamkeit, töten und Geiselnahme begonnen hat. Die Hamas hat immer noch Geiseln, also wird immer noch gekämpft.



    Aber ja, die Methoden Israels werden immer fragwürdiger. Sie lässt ein Volk in Elend verkommen um ihre Ziele durchzusetzen, genau so wie es die Hamas auch tut.



    In diesem Krieg gibt keine unschuldige Kriegspartei mehr, beide haben sich schuldig am Volk gemacht.

  • Danke