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Krieg im GazastreifenDie Zelte reichen bis ans Meer

Hunderttausende sind aus Rafah geflohen und suchen Schutz. Hilfsorganisationen und Geflüchtete beklagen die Zustände in der Evakuierungszone.

Komplett überlaufen: die Evakuierungszone an der Küste von Gaza Foto: Abdel Kareem Hana/ap

Berlin taz | Während immer mehr Menschen aus Rafah fliehen, warnen Hilfsorganisationen sowie die lokale Gesundheitsbehörde vor einem Kollaps des Gesundheitssystems. Seit der ersten israelischen Evakuierungsaufforderung vor einer Woche haben UN-Angaben zufolge bereits fast 360.000 Menschen Rafah verlassen, wie das UN-Hilfswerk UNRWA am Montag mitteilte. Vor der Offensive hatten sich mehr als eine Million Menschen dort gesammelt. Viele, die nun erneut flüchteten, sind in einer ausgewiesenen Zone an der Mittelmeerküste oder in der Stadt Chan Junis untergekommen. Israels Armee nahm am Montag indes weiter Ziele in Rafah wie auch in Nordgaza ins Visier.

Wir sind zum Kochen auf Holz und Papier angewiesen

Palästinenser im südlichen Gazastreifen

Das Gesundheitssystem werde in „wenigen Stunden“ im gesamten Gazastreifen zusammenbrechen, warnte am Montag das von der Hamas geführte Gesundheitsministerium. Seit Beginn der Rafah-Offensive sind zwei wichtige Grenzübergänge im Süden Gazas weitgehend geschlossen. Israel teilte am Sonntag jedoch mit, es habe sieben Tanklaster mit Treibstoff in das abgeriegelte Gebiet gelassen, der unter anderem für Krankenhäuser und „humanitäre Zonen“ vorgesehen sei. Treibstoff wird auch für Stromgeneratoren genutzt.

Hilfsorganisationen und Menschen vor Ort berichten von katastrophalen Zuständen in Rafah und der Evakuierungszone. „Wir haben kein Gas zum Kochen“, erzählt ein Palästinenser der taz, der mit seiner Familie in die Evakuierungszone al-Mawasi geflohen ist, „daher sind wir auf Holz und Papier angewiesen.“ Ansonsten lebe er von Lebensmittelkonserven. Eine Studentin, die Rafah bislang nicht verlassen hat, schreibt: „Es ist eine große Lüge, dass Israel einen Evakuierungsplan entwickelt hat. Israel interessiert sich nicht für uns.“ Die Evakuierungszone an der Küste sei komplett überlaufen. Fotos aus al-Mawasi zeigen Zelte am Strand, die sich bis hin zum Meer aneinanderreihen.

„Nicht nur aus ethischen Gründen, auch aus rechtlicher Sicht muss eine Sicherheitszone mit Wasser, Lebensmitteln, Medikamenten und Unterkünften versorgt sein“, gibt James Elder vom UN-Kinderhilfswerk Unicef zu bedenken. „In Rafah stand einer Person im Durchschnitt ein Liter Wasser pro Tag zur Verfügung, in al-Mawasi ist es noch schlimmer“, so Elder gegenüber der taz. „In Rafah kamen 3.500 Menschen auf eine Dusche, Hunderte auf eine Toilette, in al-Mawasi ist es noch schlimmer.“ Und während es in Rafah noch ein voll funktionsfähiges Krankenhaus gebe, habe al-Mawasi nichts dergleichen. Nur jedes dritte der 36 Krankenhäuser in Gaza ist noch teilweise funktionsfähig.

Zwölf Toiletten für tausende Menschen

Wegen mangelnder Hygiene und schlechter Ernährung sind viele Menschen anfällig für Infektionen. Atemwegsinfekte, Krätze und Hepatitis A breiten sich aus. Kiryn Lanning von der Hilfsorganisation International Rescue Committee erzählt von einer Schule mit zwölf Toiletten, in der 8.500 Menschen Zuflucht gesucht hätten. „Die gesamte Gegend wurde in ein großes, behelfsmäßiges Lager umgewandelt, das auf die Straßen übergreift und mit Abfall übersät ist“, beschreibt sie die Lage auf taz-Anfrage.

Israel will mit der Offensive auf Rafah die letzten Hamas-Bataillone besiegen. Der Hamas haben die hunderttausenden Zi­vi­lis­t*in­nen in Südgaza bislang einen gewissen Schutz geboten. Wie die New York Times am Sonntag unter Berufung auf Geheimdienst­informationen berichtete, halten sich wichtige Hamas-Führer allerdings nicht in Rafah auf. Jahia Sinwar, der Kopf der Hamas im Gazastreifen, halte sich in Tunneln unter Chan Junis auf, umgeben von mehreren der rund 100 israelischen Geiseln, die die Hamas seit mehr als sieben Monaten in ihrer Gewalt hat.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu bezeichnete den Krieg am Montag indes als Kampf um die Existenz des Staates. „Es sind entweder wir, Israel, oder sie, die Hamas-Monster“, sagte er während einer Zeremonie am Soldatengedenktag in Jerusalem. „Entweder Existenz, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand oder Auslöschung, Massaker, Vergewaltigungen und Unterwerfung.“ Israel habe den Krieg „etwa zur Hälfte“ abgeschlossen, so Netanjahu.

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15 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • So ein Abschlachten und Vernichtung , das nur der Hamas und der Regierung Netanjahu nutzt , warum tun sich die Israelis das weiter an?



    Jeder vernünftige Mensch sieht das ein. Jagt endlich diese Regierung vom Hof.



    Die Palästinenserinnen in Gaza können die Hamas nicht einfach abschaffen, da diese eine blutrünstiges Terrorregime errichtet haben und jeden töten, der Widerstand leistet. Ausserdem ist bekannt, dass die meisten ihrer Verantwortlichen in Sicherheit tief unter der Erde oder gar im Ausland sind. Unschuldige Menschen auf beiden Seiten sind mehrheitlich die Opfer .



    Die Lösung dieser Pattsituation muss von der internationalen Gemeinschaft kommen .

  • Würden die Leute, die hier so vehement Sanktionen gegen Israel fordern, sich genau so stark dafür einsetzen, daß der Druck auf Katar und die Hamas erhöht wird, wäre der Krieg vielleicht schon längst vorbei.

    • @Joseph Blau:

      Sie sehen es also als legitim an, wenn unter dem Vorwand die Hamas zu eliminieren (kann Israel gerne tun) zigtausend Zivilisten, darunter tausende Kinder als "Kollateralschaden" in Kauf genommen werden? Wieviele Menschen durch die humanitäre Katastrophe gestorben sind und noch sterben werden ist dabei noch gar nicht berücksichtigt. Ich habe es schon an anderer Stelle geschrieben: Kriegsverbrechen der einen Seite rechtfertigen keine Kriegsverbrechen der anderen Seite.

      • @Krumbeere:

        Wie kommen Sie denn darauf, dass es illegitim sei?

        Allein viele Tote machen noch kein Kriegsverbrechen aus.

        Man müsste beweisen, dass der Angriff entweder vorsätzlich gegen Zivilisten gerichtet war; oder zwar gegen ein militärisches Ziel aber mit der Erwartung, dass – im Vergleich zum militärischen nutzen - unverhältnismäßig viele Zivilisten zu Tode kommen.

        Das kann von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein.

        Ist das militärische Ziel z.B. eine Fabrik für Geschosse, ist es völlig Legitim sie zu zerbomben, selbst wenn hierbei lauter Zivilisten – die Fabrikarbeiter – sterben.

        Ein anderes Beispiel: Der Gegner stellt eine Mörserstellung zwischen 2 Wohnhäusern auf und fängt an, Sie zu beschießen. Da ist keine Zeit zum langen Abwägen und Vorwarnen von Zivilisten, weil ein gelungener Treffer mehrere ihrer Leute das Leben kosten kann; Sie müssen die Mörserstellung so schnell wie möglich ausschalten, mit dem, was sie eben zur Hand haben, auch wenn am Ende 4 Zivilisten umkommen aber nur 2 Kämpfer.

        Es wäre ein leichtes eine Unverhältnismäßigkeit festzustellen, wenn es Flächenbombardements wären, die in einer Nacht ganze Viertel in Schutt und Asche legen wie im 2. Weltkrieg. Bei vielen separaten Aktionen wir hier – ein Raketeneinschlag hier, ein Panzerbeschuss dort, ein Schusswechsel hüben, eine Bombardierung drüben, und das über Monate – kann jede einzelne kein Kriegsverbrechen sein, aber dennoch in der Summe viele Zivilisten töten.

        Ja, ein Kriegsverbrechen rechtfertigt kein anderes. Für die Opfer ist dann diejenige Seite verantwortlich, welche gegen die jeweilige Regelung verstößt. Wenn z.B. eine Seite die Anwesenheit von Zivilisten dazu nutzt Kampfhandlungen von gewissen Stellen oder Streitkräften fernzuhalten, so ist die andere Seite zwar verpflichtet zivile Opfer möglichst zu minimieren, vermeiden. Wenn sie dies tut, hat sie ihre Schuldigkeit getan, und jene Opfer die es dennoch gibt sind jener Seite anzulasten, welche die Zivilisten als Schutzschild missbraucht.

  • „Es ist eine große Lüge, dass Israel einen Evakuierungsplan entwickelt hat.“- Antony Blinken hat erst am Wochenende in einem Interview gesagt, das Israel keine Pläne zum Schutz der Bevölkerung vorgelegt hat. Der Grenzübergang in Rafah ist zu. Erst gestern meldete Barak Ravid/ Axios und die BBC das israelische Demonstranten Hilfslieferungen für Gaza blockiert und zerstört haben. www.bbc.com/news/articles/cg300jek94zo



    Wenn man regelmäßig die Reports der WHO anschaut kommt einem das Grauen (neueste: www.emro.who.int/i...ine/Sit-rep-29.pdf ) Krankheiten die durch fehlende Versorgung/ mangelnde Hygiene zu Stande kommen, Hepatitis A und Durchfallerkrankungen die v.a. durch verunreinigtes Trinkwasser oder verdorbene Lebensmittel verursacht werden. Bereits im Januar wurde von CSIS gemeldet das 70% der Menschen in Gaza salziges und kontaminiertes Wasser trinken. Salzwasser in zu großen Mengen führt zu Nierenschäden. Tabletten zur Wasserreinigung wurden regelmäßig laut diversen Hilfsorganisationen und Staaten bei der Kontrolle von Hilfslieferungen durch Israel an der Grenze abgelehnt.



    UNMAS ( UN Mine Action Service) sagt das die Trümmer in Gaza nicht nur von nichtexplodierten Bomben "gereinigt" werden müssen, sondern das sich nach deren Berechnungen ca. 800.000 Tonnen Asbest in den Trümmern befinden. In Gaza (40km) befinden sich mehr Trümmer als in der Ukraine (Frontlinie fast 1000km) www.france24.com/e...za-than-ukraine-un



    Hier gehen Tausende gegen Rechts auf die Strasse, aber dann unterstützen wir eine rechte/ rechtsextreme Regierung in Israel die teils offen für die ethnische Säuberung/ Verteibung eines Volkes eintritt und wochenlang Hilfslieferungen blockiert, immer mehr Berichte zur Mißhandlung von Gefangenen, massive Hinweise von Kriegsverbrechen und Bruch des Völkerrechts etc.- das heißt es aus unserer Geschichte zu lernen?

    • @Momo Bar:

      ...aus unserer Geschichte lernen - bitte nicht die Gegenwart aus den Augen verlieren...



      Wir neigen dazu, unsere kleine Welt - Deutschland - wahrzunehmen. Es sind leider die Globalplayer die hier wirken....

    • @Momo Bar:

      "Der Grenzübergang in Rafah ist zu" der von der Hamas mit Raketen angegriffene? Eine Aktion bei der sie vier Leben ausgelöscht haben und Hilfslieferungen befindet haben, da der rekonstruiert werden musste?

      Durch den fließen wieder Hilfslieferung.

  • Aber unsere Regierung sagt doch: Wir stehen fest an der Seite Israels!



    Sie sollte besser sagen: Die deutsche Regierung steht fest an der Seite Israels.



    Denn die Bevölkerung Deutschlands tut das in großen Teil nicht (mehr).



    Ich übrigens auch nicht(mehr).

  • Spätestens mit dem Festhalten der israelischen Führung an der Rafah-Offensive - gegen alle Appelle und Aufrufe zum Schutz der Zivilbevölkerung - muss Deutschland Waffenlieferungen an Israel auf Eis legen. Die USA haben inzwischen reagiert und halten die Lieferung bereits bewilligter Offensiv-Waffen zurück.

  • Wenn Israel nach nun 7 Monaten seiner völlig enthemmten Zerstörungswut in Gaza weiter Tausende von zivilen Toten riskiert, wird die südafrikanisch- ägyptische Klage gegen Israel wegen Völkermords neue Nahrung erhalten. Es wird interessant, ob die ₩Richter ihre eigenen Warnungen an Israel ernst nehmen oder nicht. Im Falle einer Verurteilung Israels müsste Deutschland endlich Farbe bekennen zur "regelbasierten Weltordnung".

    • @Rinaldo:

      Die einzigen die kollektiv "völlig enthemmte" Zerstörungswut hatten, waren Hamas und Co. am 7. Oktober, eliminatorisch war das sogar.

      Übrigens ist es die Hamas die zivile Opfer riskiert, dadurch, dass sie in international geschützten Orten kämpfen, was deren Schutzstatus aufgibt und systematisch ein Kriegsverbrechen ist. Übrigens eben so wie zivile Schilde.

  • Unabhängig davon, was Israel an Unrecht tut, was die Hamas an Unrecht tut ist auch weiterhin grenzenlos zu verurteilen.



    Dieser Krieg ist für die Hamas so wenig wie für Israel letztendlich zu gewinnen, also frage ich mich, was soll das. Beide Seiten haben doch ihre möglichen Ziele erreicht:



    Israel hat errreicht, dass die Hamas international schlecht dasteht: die Hamas hat erreicht, dass Israel international schlecht dasteht.Mehr geht nicht. Also.



    Es reicht.

    • @StefanMaria:

      Sie denken, der Krieg dreht sich um den internationalen Ruf?

      • @Wonneproppen:

        Das ist wohl das einzig erreichbare Ziel für beide Seiten.



        Ich zum Beispiel will auch den Weltfrieden. Nur wieviel schreckliche Kriege müßte ich für dieses Ziel fordern und fördern.

  • Danke für die Informationen über die katastrophale Lage in Chan und an der Küste.



    Es ist einfach nur noch Grausam was unsere Mitmenschen dort erleben müssen.



    Ausgeliefert durch Despoten !



    Wir können nur Spenden - mehr geben unsere Gesetze nicht her.