Kreuzfahrten vor dem Neustart: Pest der Meere
Nach der Corona-Zwangspause hofft die oft kritisierte Kreuzfahrtbranche, an ihr Wachstum anknüpfen zu können. Die Schiffe sind eine Welt für sich.
Mittlerweile sind die Reedereien wieder optimistisch: Mit über 31 Millionen Passagieren rechnet das Branchenblatt Cruise Industry News für das Jahr 2022. Dazu passt die Nachricht, dass Bremerhaven die „Columbuskaje“, das Herzstück des dortigen Kreuzfahrtterminals, neu bauen will.
Bereits Ende Oktober sollen die Rammarbeiten für die neue Spundwand losgehen. Der Grund für den Bau sei nicht etwa eine Steigerung der Passagierzahlen, „sondern der Zustand der Kaje, die bekanntermaßen nicht mehr standsicher ist und bei besonders ausgeprägtem Niedrigwasser gesperrt werden muss“, sagt Holger Bruns, Sprecher der Hafenmanagementgesellschaft Bremenports.
Wegen der Probleme mit dem Niedrigwasser kann die Spundwand auch nicht auf der Landseite in den Boden gerammt werden; die neue Kaje werde 20 Meter vor der alten in der Weser entstehen, erklärt Rainer Kahrs, Sprecher der Häfensenatorin. Die rund 1.000 Meter Kaje werden in drei Abschnitten neu gebaut; vor der Saison 2025 soll sie fertig sein. „Während der Bauzeit soll das Kreuzfahrtgeschehen so wenig wie möglich behindert werden“, sagt Kahrs. 80 Millionen Euro Baukosten seien veranschlagt.
Emotionale Bedeutung für Bremerhaven
Für 1,27 Millionen Euro soll zudem ein neues, „multifunktionales Empfangsgebäude“ entstehen, so hat es der Hafenausschuss Anfang des Jahres beschlossen, mit Parkhaus und Büroetagen. Was Senatorin Schilling im Februar dazu gesagt hat, klingt dann doch ein wenig nach Ausbauplänen: „Ziel dieser Investition ist es, diese wirtschaftlichen Potenziale für den Hafen und die Stadt noch besser nutzen zu können.“ Kreuzfahrt habe in Bremerhaven eine große „wirtschaftliche und emotionale Bedeutung“.
Dabei ist Bremerhaven mit 250.000 Passagieren im Jahr 2019 noch nicht einmal der größte Kreuzfahrtstandort im Norden. In Hamburg und in Kiel gingen im selben Jahr jeweils knapp über 800.000 Menschen von oder an Bord, in Warnemünde waren es sogar 900.000.
Das ist gut für den Tourismus, aber weniger fürs Klima: Neben Flugzeugen sind Kreuzfahrtschiffe die klimaschädlichsten Verkehrsmittel pro Person und zurückgelegtem Kilometer. Bei einer einwöchigen Mittelmeerkreuzfahrt fallen laut Umweltbundesamt etwa 1,9 Tonnen CO2-Äquivalente an – das ist mehr, als ein*e Deutsche*r pro Jahr durch die Nutzung von Auto, Bus und Bahn verursacht. Und der Flug kommt in dem Fall oben drauf. Es sei denn, man startet eben aus Bremerhaven.
Doch in der Branche tut sich was, zumindest ein wenig: So hat die Reederei Aida Cruises Anfang September angekündigt, sie wolle bereits 2040 emissionsneutral fahren. Damit ist sie einigen Konkurrent*innen voraus. „Kaum eine Kreuzfahrtreederei hat derzeit eine konkrete Strategie, um den konsequenten Umbau der Flotte in Richtung emissionsfreiem Betrieb voranzutreiben“, konstatierte der Naturschutzbund (Nabu) bei seinem Kreuzfahrtranking vor einem Jahr.
Die Latte hängt niedrig
Gelobt wird hier, wer überhaupt etwas macht. Die Ansprüche sind notgedrungen gering: Die internationale Schifffahrt steht seit Jahren für ihre fehlenden oder wenig ambitionierten Klimaziele in der Kritik.
Wer den Koalitionsvertrag der rot-grün-roten Bremer Regierung kennt, für den ist der geplante Umbau des Kreuzfahrtterminals trotzdem keine Überraschung. Dort steht: „Weitere Investitionen werden notwendig für die Weiterentwicklung besonders wertschöpfungsintensiver Hafenbereiche“, dahinter in Klammern: „Weiterentwicklung des Kreuzfahrtterminals“.
Wie passt das zu dem Bremer Klimaziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber 1990 um 80 Prozent zu reduzieren? „Wir Grünen erwarten von Kreuzfahrtkonzernen, den CO2-Abdruck von Kreuzfahrten zu reduzieren“, sagt Maurice Müller, Bremer Bürgerschaftsabgeordneter für die Grünen und Vorsitzender des Hafen-Ausschusses. Wichtig sei, „die Seeschifffahrt und damit auch Kreuzfahrtschiffe auf klimafreundliche Antriebskonzepte und Treibstoffe umzustellen“.
Immerhin würden Bremen und Bremerhaven zusammen mit Stade und Hamburg zum „Wasserstoffzentrum Nord“ ausgebaut, sagt Müller. Bis 2023 gebe es dafür 70 Millionen Euro vom Bund. Wasserstoff ist ein Hoffnungsträger für alternative Schiffsantriebe. Die infrage kommenden Technologien stecken allerdings noch in den Kinderschuhen.
Lesen Sie mehr in der gedruckten taz am wochenende
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin