Auf einem Kreuzfahrtschiff: Traum aus dem Lockdown

Wie geht es an Bord der Schiffe zu, die von Kiel nach Oslo fahren? Und wo sind die Betrunkenen? Unsere Autorin hat sich auf Entdeckungsfahrt gemacht.

Illustration eines Schiffes als Schnecke

Ganz langsam Richtung Oslo Illustration: Sebastian König

„MS COLOR FANTASY“ taz | Der Himmel war blau, und Kiel – mitten im soundsovielten Lockdown – ein Sehnsuchtsort. Kiel, mit seinen Backsteinquadern, seinen Marinas und seinen Hinweisschildern zum Norwegenkai.

Im Winter waren diese Hinweisschilder noch ein leeres Versprechen. „Leider haben wir keine Möglichkeit, den Fahrgastbetrieb zwischen Norwegen und Deutschland aufrechtzuerhalten“, teilte die norwegische Reederei Color-Line im Dezember 2021 mit. Schuld seien die neuen Coronamaßnahmen der Regierung.

Der Verkehr der Kreuzfahrtschiffe „Color Magic“ und „Color Fantasy“ wurde schrittweise ein-, mehrere hundert Mit­ar­bei­te­r*in­nen freigestellt. Was blieb, waren die Hinweisschilder, die Sehnsucht und die glitzernde Förde.

Doch seit Februar fahren sie wieder. Täglich starten die Schwesternschiffe ihre 20-stündige Überfahrt. Das Versprechen kann Wirklichkeit werden.

Auf dem Sonnendeck

Endlich an Bord der „Color Fantasy“! Aus Hochhaushöhe streift der Blick die immer kleiner werdende Stadt, ihre Fischbuden und Segler, später Wohnmobile und Strandkörbe in sandigen Ostseebuchten. In der Ferne ahnt man die schwedische Küste oder die dänische, sieht Offshore-Windparks, die Großer-Belt-Brücke, sowieso den Himmel, der mit einem Sonnenuntergang aus Lila und Orange um die Ecke kommt, und immer wieder das weite Meer.

In Allwetterjacken und maritimen Ringelshirts verweilen die Passagiere auf dem Sonnendeck, bilden eine freundliche Koexistenz aus lesenden Rentnern, aus Großfamilien, von denen sich manches Mitglied schon nachmittags einen Underberg zwischen die Schneidezähne klemmt, aus Anglerfreunden, Hobbyfotografen mit dicken Objektiven, Frauen in Ankerprint-Pullis und gelangweilten Jugendlichen, die nahende Möwen mit Pommes füttern.

Wer einen der herumstehenden Balkonstühle ergattern kann, trägt ihn so stolz wie eine Hermès-Handtasche, zieht mit ihm um in den Windschatten, von Backbord nach Steuerbord, von Reling zu Reling. Dort dann halblaute Gespräche gestandener Männer über Höhenangst, die Gewinnausschüttung jüngst erworbener Windenergie-Aktien, 50 Jahre Ehe und den leisen Stolz, eine „Minikreuzfahrt“ zu wagen.

Sommerhäuser im Oslofjord

Am fischhaltigen Abendbüfett spielt ein Pianist „The Winner takes it all“, während sorgsam gestapelte Miesmuschelberge durchs Restaurant balanciert werden. Die Eistheke ist doppelt so lang wie ein Kinderbett, das Programm in der „Show Lounge“ ein kurzweiliges, gnadenlos übersteuertes Miniaturmusical.

Die dauertrunkenen Skandinavier, die angeblich weder in Kiel noch in Oslo von Bord gehen, muss ich suchen und finde sie – und nicht nur sie – ganz oben in der „Observation Lounge“: zwischen unsicheren Cha-Cha-Schritten und gekühltem Champagner, zwischen beseelt tanzenden Mittfünfzigerinnen, einer beißenden Überdosis Aftershave und einer kreischenden Junggesellinnen-Abschiedsrunde, die Cocktails in allen Farben des Regenbogens bestellt. Das sanfte Wiegen der Fähre lässt hier manchen zusätzlich wanken, aber vermutlich auch den hartnäckigsten Tresensteher irgendwann wohlig schlafen.

Am nächsten Morgen hängt der säuerliche Rauch-Alkohol-Atem schwer in den raumkapselartigen Fahrstühlen, liegt die im Duty-Free erworbene Stange Zigaretten quer wie ein Baguette über dem benachbarten Frühstückstisch. Doch jenseits des Panoramafensters künden waldreiche Inseln mit vorgelagerten Felsen vom norwegischen Fjord, genauso wie Raffinerien, kleine Häfen und rot, blau und weiß gestrichene Sommerhäuser aus Holz.

Oslo! Velkommen til Oslo!

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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