Korruptionsskandal im EU-Parlament: Viele offene Fragen in Brüssel
Der Korruptionsskandal im Europaparlament wirft die Frage auf, ob er ein Einzelfall ist. Auch bei anderen Vorgängen gibt es Ungereimtheiten.
![](https://taz.de/picture/5971204/14/31744135-1.jpeg)
Kaili wird beschuldigt, Geld von Katar entgegengenommen zu haben, um damit offenbar EU-Entscheidungen zu seinen Gunsten beeinflussen zu können. Doch nicht nur die 44-jährige, mittlerweile inhaftierte Griechin hat sich wohlwollend über Katar geäußert. Auch von der Leyen pries das Emirat. Nach einem Telefonat im Januar nannte sie Emir Tamim bin Hamad al-Thani einen „verlässlichen Partner“.
Eine verdächtige Nähe wird auch einem von der Leyens prominenten Stellvertretern nachgesagt. Kommissionsvize Margaritis Schinas hatte Katar gemeinsam mit Kaili zur Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft im November besucht und Regierungsmitglieder getroffen. In einem Tweet schrieb er, Katar habe „beträchtliche und greifbare Fortschritte bei den Arbeitsreformen erzielt“.
Das klingt nach Lobhudelei – war aber kein Einzelfall. So hat sich die EU-Kommission auch im Streit über eine Visaliberalisierung für Katar eingesetzt. Die Erleichterung sollte ursprünglich am Montag im Europaparlament diskutiert werden. Wegen des Korruptionsskandals wurde sie jedoch in letzter Minute von der Tagesordnung gestrichen. Dennoch bleibt die Frage, ob der „Fall Kaili“ ein Einzelfall ist – oder ob mehr dahintersteckt, wie der Karlsruher EU-Abgeordnete René Repasi vermutet. Der SPD-Politiker spricht von der „Spitze des Eisbergs“.
Kommission weicht Nachfragen aus
Fraglich ist auch, ob die Transparenz- und Antikorruptionsmaßnahmen so gut funktionieren, wie dies in Brüssel gern behauptet wird. „Wir haben sehr klare Regeln für alle Kommissare und schauen uns das an“, sagte von der Leyen auf die Frage nach möglichen Interessenkonflikten ihres Stellvertreters Schinas. Zuvor hatten Journalisten lautstark protestiert – sie wollte Nachfragen ausweichen.
Ausgesprochen zugeknöpft gibt sich die CDU-Politikerin auch bei Fragen zu anderen Affären. So hat die Europäische Staatsanwaltschaft Eppo Mitte Oktober Ermittlungen eingeleitet, die sich um die Beschaffung von Corona-Impfstoffen in der EU drehen. Zuständig war von der Leyen; sie soll einen milliardenschweren Vertrag mit dem US-Hersteller Pfizer eingefädelt haben – per SMS.
Doch die EU-Kommission lässt sich nicht in die Karten schauen. Die SMS würden nicht aufbewahrt, der Vertrag mit Pfizer sei vertraulich, heißt es in der Brüsseler Behörde. Auf Nachfrage der taz, was aus den Eppo-Ermittlungen geworden sei, hieß es in der Kommission, man wisse von nichts. Bisher ist nicht einmal klar, ob Eppo gegen von der Leyen ermittelt.
Unter den Teppich gekehrt wird auch die Frage, warum der für Außenpolitik zuständige EU-Kommissar Josep Borrell eine Pension kassiert. Der Spanier erhält das Altersgeld zusätzlich zu seinem Monatsgehalt von mehr als 20.000 Euro – aus der völlig überschuldeten Pensionskasse des Europaparlaments. Weder Borrell noch das Parlament scheinen an Aufklärung interessiert.
Umso eiliger haben es die EU-Politiker, den „Fall Kaili“ hinter sich zu lassen. Bei einer Krisensitzung in Straßburg wollte das Europaparlament am Montagabend die Vizepräsidentin aller Ämter entheben – vorläufig suspendiert wurde sie bereits am Samstag. Das Parlament will sie nun endgültig fallen lassen – dabei wurde bisher nicht einmal Anklage erhoben.
Doch zur Ruhe kommt die EU-Politik noch lange nicht: Am Nachmittag informierte die belgische Bundesstaatsanwaltschaft, dass die Polizei Räumlichkeiten des EU-Parlaments in Brüssel durchsucht hat.
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