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Konzertempfehlungen für BerlinKyjiw, Stolpersteine und Intersonanzen

Die Konzerte in dieser Woche gedenken der Vergangenheit wie der Gegenwart oder lauschen in die ferne Zukunft.

Die Audio Ballerinas im Görlitzer Park Foto: Maubrey

N eue oder zeitgenössische Musik, wie man dazu sagt, hat es mitunter schwer, ihr Publikum zu finden beziehungsweise eines, das über einen stark begrenzten Personenkreis hinausreicht. Um Interesse auch bei Leuten zu wecken, die nicht unbedingt von selbst in Konzerte mit so einem Programm gehen würden, lassen sich Veranstalter verschiedenste Dinge einfallen, um auf sich aufmerksam zu machen.

Beim Potsdamer Festival Intersonanzen etwa erweitert man in diesem Jahr den Begriff der Realität, aber nicht im Sinne von Fake News, sondern vielmehr als etwas „Transreales“. So gibt es bis zum 18. Mai in Das Minsk an einigen Tagen „transvisuelle Hörstücke“, bei denen Musik um Videoarbeiten ergänzt wird.

Oder man kann am Freitag (9.5., 19.30 Uhr) bei Benoît Maubrey und den Audioballerinas den Klang wörtlich „in action“ erleben, wenn mit interaktiven, elektronischen Klangkleidern versehene Tänzerinnen Ton und Bewegung zusammenfügen. Am selben Abend (20.15 Uhr) spielt andererseits das Sonar-Quartett auf eher herkömmliche Weise Werke des 21. Jahrhunderts von Markus Wettstein, Susanne Stelzenbach und Gabriel Iarnyi (bis 18.5., verschiedene Orte, das Programm gibt es hier).

Am Sonnabend erinnern die Berliner Philharmoniker daran, dass im Berliner Philharmonischen Orchester im Jahr 1933 noch vier jüdische Musiker spielten: der Erste Konzertmeister Szymon Goldberg, der Erste Geiger Gilbert Back sowie die beiden Solocellisten Nicolai Graudan und Joseph Schuster.

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An ihre erzwungene Emigration erinnert das Orchester mit vier Stolpersteinen, die vor der Philharmonie verlegt werden, und einem Gedenkkonzert, in dem der Violinist Krzysztof Polonek, der Cellist Ludwig Quandt und das Varian Fry Quartett kammermusikalische Werke von Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn Bartholdy und Erwin Schulhoff aufführen. Schulhoffs Werke waren im NS-Deutschland als „entartete Musik“ verfemt. Die Verlegung ist öffentlich, das Konzert kann gegen eine Spende ab 5 Euro besucht werden (Philharmonie Berlin, 15 Uhr: Stolpersteinverlegung, 16 Uhr: Konzert).

Um die Rolle der Rekonstruktion geht es am Sonntag in der Fahrbereitschaft, wo das Ensemble KNM in der Reihe KNM Contemporaries drei Jahre Freundschaft und Zusammenarbeit mit dem Festival Kyiv Contemporary Music Days feiert. Ensemblemusik von ukrainischen Komponisten steht auf dem Programm mit Uraufführungen von Werken von Renata Sokachyk, Alexey Shmurak, Albert Saprykin und Alla Zagaykevych.

Neue Musik steht dabei in einem sehr aktuellen politischen Zusammenhang, geht es den Veranstaltern doch um die Frage, wie Künstler dazu beitragen können, solidarische Netzwerke in einer immer feindlicheren Welt zu stärken. Darüber lässt sich bei einem Zusammensein nach dem Konzert sprechen (Herzbergstraße 40–43, 11. 5, 18.30 Uhr, Eintritt frei).

Um auf die Frage nach dem Publikum für Neue Musik vom Anfang zurückzukommen: Man kann die Sache auch mit geschickter Dosierung angehen. Der RIAS Kammerchor macht das ganz dirket mit der Reihe „Freitag ¾ sechs“.

Am Freitag (16.5.) um „dreiviertel sechs“, was übersetzt 17.45 bedeutet, bietet der Chor unter der Leitung von Krista Audere ein einstündiges Feierabendkonzert mit zeitgenössischer geistlicher Musik von Einojuhani Rautavaara, Alfred Schnittke, Arvo Pärt und Pēteris Vasks, alles Komponisten, die aus der Avantgarde eigene Konsequenzen gezogen haben, oft hin zu einer moderat dissonanten, stillen Musik (Kirche St. Elisabeth, Invalidenstraße 3, Tickets kosten 10 Euro).

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Kulturredakteur
Jahrgang 1971, arbeitet in der Kulturredaktion der taz. Boehme studierte Philosophie in Hamburg, New York, Frankfurt und Düsseldorf. Sein Buch „Ethik und Genießen. Kant und Lacan“ erschien 2005.
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