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Kontroverse um Autorin Adania ShibliLob des Universalismus

Die Aufregung über einen Buchpreis für Adania Shibli zeigt, wie konjunkturabhängig hierzulande die Verteidigung des freien Wortes ist.

Schriftstellerin Adania Shibli Foto: Marco Destefanis/Alamy/Mauritius Images

G erade öffnet wieder die Frankfurter Buchmesse ihre Türen – zu einem Ort, der eine utopische Qualität besitzt, weil sich in seinen nüchternen Hallen die intellektuelle Welt versammelt. Einmal im Jahr verdichtet sich in Frankfurt am Main kosmopolitische Vielfalt zu universalistischer Realität. Zwar beherrscht auch hier eine Hierarchie globaler Marktmacht das Bild – die riesigen Stände der Konzernverlage, die Akkordarbeit im Literarischen Agentenzentrum, die kalte staatliche Repräsentanz (die Melange am österreichischen Stand ausdrücklich ausgenommen) –, aber zugleich erlauben auch viele Nischen, Unbekanntes zu entdecken. In Frankfurt kann man, Neugierde und guten Willen vorausgesetzt, die kaum Sichtbaren sehen und jene ohne laute Stimme vernehmen.

Dazu gehören vor allem Stimmen aus dem Globalen Süden, die hierzulande meist nur dann rezipiert werden, wenn es einen aktuellen politischen Anlass gibt. Doch dieser Tage beweist ein Skandal im provinziellen Wasserglas, wie brüchig diese Universalität ist, wie konjunkturabhängig die Verteidigung des freien Wortes. Solch engstirnige Aufregung sollte mit Missachtung gestraft werden, würde sie nicht exemplarisch aufzeigen, wie sehr der Diskurs in diesen Breiten um eigene Befindlichkeiten, um eitle Positionierung und tribale Selbstgerechtigkeit kreist.

Was ist passiert? Eine hervorragende israelisch-palästinensische Autorin hat einen Roman geschrieben, der Gewalt gegen Frauen thematisiert, als Leerstelle der Wahrnehmung, als nachwirkendes Trauma. Sie hat mit literarischen Mitteln aufgearbeitet, wie sehr eine grausige Tat, eine menschenverachtende Grenzüberschreitung (israelische Soldaten vergewaltigen und ermorden ein Beduinenmädchen) die Erinnerung kontaminiert. Ein immens wichtiges Thema in einem Jahr, in dem uns erneut bestialische Taten (seitens russischer Soldaten und Söldner, seitens der Hamas) nicht nur unmittelbar schockieren, sondern auf Jahrzehnte hinaus wirken werden, als Gift in den Blutbahnen der Betroffenen, als Tumor in der universellen Empathie.

„Seine rechte Hand lag auf ihrem Mund, seine linke hielt sich an ihrer rechten Brust fest, und das Quietschen des Bettes hallte durch die Stille des anbrechenden Morgens, wurde lauter und kräftiger, wieder begleitet vom Geheul des Hundes. Als das Quietschen schließlich verstummte, ging das laute Jaulen vor der Tür noch lange Zeit weiter.“

Ilija Trojanow

Ilija Trojanow ist Schriftsteller und Autor mehrerer Bücher. Gerade ist sein neuer Roman, „Tausend und ein Morgen“, bei S. Fischer erschienen.

Die beschriebene Vergewaltigung, am 13. August 1949 in Israel tatsächlich geschehen, wiederholt sich seither weltweit in wesentlichen Aspekten an vielen anderen Tagen. „Eine Nebensache“ ist eine Nahaufnahme jener Erniedrigung und Vernichtung von Frauen, die mit Kriegen einhergeht. Und es zeigt zudem das zerrüttete Verhältnis verrohter Menschen zum Kreatürlichen auf.

Tiere spielen eine zentrale Rolle: heulende Hunde, aufgeschreckte Kamele, Vögel im einsamen Flug und ein Skorpion, der die Hauptfigur beißt, mit schmerzhaften Folgen. Worauf dieser in einer unvergesslichen Szene alles zertritt, was in seiner Hütte fleucht und kreucht. Selten habe ich einen Text gelesen, bei dem Nationalität und Religion der Figuren eine so geringe Rolle spielen. Der Roman ist in einem existentialistischen Duktus geschrieben, viel näher an Albert Camus als an autofiktionaler Zeugnisliteratur.

Wir entfernen uns zunehmend von der Idee universell geltender Rechte und kosmopolitischer Empathie

„Zu hören waren nur noch das unterdrückte Schluchzen eines Mädchens, das, eingerollt in seine schwarzen Kleider, wie ein Käfer am Boden kauerte, sowie das Rascheln der Akazienblätter und des Schilfs, während die Soldaten diesen grünen Flecken inmitten endloser kahler Sanddünen nach Waffen absuchten und er etwas Dung begutachtete.“

Verständlich, dass Adania Shiblis Roman „Eine Nebensache“ mit dem diesjährigen LiBeratur-Preis ausgezeichnet worden ist, einem Preis für Literatur von Autorinnen aus dem Globalen Süden. Die Verleihung sollte auf der Buchmesse stattfinden, doch sie wurde kurzfristig abgesagt, ein Bärendienst an der viel beschworenen Freiheit des Wortes (die als Konzept nur zum Tragen kommt, wenn uns etwas zugemutet wird – für Sonntagsreden brauchen wir sie nicht).

An dieser Stelle muss ich klarstellen, dass ich voreingenommen bin, weil der verantwortliche Verein Litprom inhaltlich mit der Bestenliste „Weltempfänger“ verknüpft ist, die ich vor Jahren ins Leben gerufen habe, um vierteljährlich herausragende Werke aus Afrika, Asien und Lateinamerika zu empfehlen.

Anstatt nun zu diskutieren, wie wir die Gewaltspirale im Nahen Osten mithilfe literarischer Werke profunder verstehen können, hat dieser Preis eine Rhetorik der Hysterie provoziert (leider auch in der taz). Lauter Diffamierungen, die mit dem Roman kaum etwas zu tun haben und der Autorin absichtlich Unrecht tun, denn wie der Berenberg Verlag klarstellt, verteidigt sie entschieden die Autonomie ihrer Literatur, indem sie Einladungen von aktivistischen Gruppen grundsätzlich ablehnt. Wer diesem Roman Antisemitismus oder gar Menschenverachtung vorwirft, der projiziert seine eigenen Vorurteile auf das Werk.

Das wäre eine traurige Nebensache, wenn es nicht Ausdruck einer grundsätzlichen Malaise wäre. Wir betrachten die Welt – nicht nur bei Kriegen, auch bei Migration oder Energieversorgung – durch die Brille kleingeistigen Selbstinteresses und entfernen uns zunehmend von den Idealen, die allein eine Lösung der globalen Verteilungskämpfe und Zerstörungsmechanismen anbieten: universell geltende Rechte und kosmopolitische Empathie.

Gleichzeitig wurde in Berlin der Emir von Katar empfangen. Während die Dichterin ihren Preis nicht entgegennehmen darf, verkündet die Staatsräson: „Es wäre unverantwortlich, in dieser dramatischen Lage nicht alle Kontakte zu nutzen, die helfen können.“ Kurzum: Kontakt mit Unterstützern von Terror: gut; Auszeichnung von Menschen, die Terror sensibel beschreiben: schlecht.

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12 Kommentare

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  • Niemand kritisiert ernsthaft die literarische Qualität dieses Buches.

    Angezweifelt wird - zu Recht - ob es der richtige Zeitpunkt ist, eine Woche nach den Angriffen auf Israelis, bei denen es explizit zu Massenvergewaltigungen kam, ein Buch auszuzeichnen, bei dem es um israelische Soldaten geht, die eine Frau vergewaltigen.

    Und nein, es ist nicht der richtige Zeitpunkt. Ob sich die Verleihung einbettet in eine lange Reihe von Auszeichnungen eines Kunstbetriebs, der die Palästinenser rückhaltlos als Opfer stilisiert und damit antisemitische Sterotype bedient sei dahingestellt. So, wie der Autor des Artikels mal eben unterschlägt, dass die Autorin des Buches BDS Unterstützerin ist und so tut, als seien solche Preisvergaben nicht immer auch politische Statements.

    • @David Kind:

      Es ist gut, dass Sie darauf hinweisen, dass die Autorin BDS Unterstützerin ist, das war mir bisher nicht bekannt.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @David Kind:

      Welche Kriterien für richtige oder falsche Zeitpunkte sollten allgemeinmenschliche Gültigkeit haben für die Verleihung eines Preises für ein Buch, durch dessen Lektüre ein Mensch literarisch an einem historischen Beispiel mit einem allgemeinmenschlichen Verbrechen konfrontiert wird? Zuschreibung zu einer Gruppe sind hier völlig außen vor. Trojanow hat das verständlich gemacht.



      Bei Verbrechen gibt es keine Gegenrechnungen. Und eben deswegen auch keine Abwägungen, unter welchen politischen Verhältnissen eine Thematisierung erfolgen dürfte, auch nicht eine mittelbare durch eine Preisverleihung. Die künstlerische Auseinandersetzung mit Verbrechen darf gerade nicht von Kalkülen politischer Dimensionen abhängig gemacht werden.

      s. Freiheit des Wortes:



      Klare Worte auf der Buchmesse zur aktuellen Situation in Nahost von Slavoj Žižek, Slowenischer Philosoph, Psychoanalytiker und Kulturkritiker - und "schon fast ein Eklat".

      www.tagesschau.de/.../tagesschau_20_uhr



      bei 14:51 Minuten

    • @David Kind:

      Wenn es nach Apologeten der Verbrechen der israelischen Armee geht, dann ist der richtige Zeitpunkt doch eh: nie.



      Bemerkenswert ist, dass alle, die den israelischen Anteil an diesem Konflikt (z.B. die über 3000 getöteten palästinensischen Zivilisten innerhalb von einer Woche), sofort des Antisemitismus bezichtigt werden.



      Denn jeder, der diese exzessive Gewalt der israelischen Armee kritisiert, ist sofort ein Antisemit.



      Das ist schon maximal ekelhaft, sich dann auch moralisch so aufzuplustern.

      • @TeeTS:

        Eine Frage: Wie würden sie es finden, wenn die Stadt in der sie wohnen regelmäßig mit Raketen beschossen wird? Tägliche Realität in Israel. Meine Frage ist dabei: Warum investiert Hamas immer wieder in Raketen anstatt die wirtschaftlichen Fähigkeiten Gazas zu stärken. Auch dafür könnten diese Mittel eingesetzt werden. Hass scheint hier wichtiger zu sein als alles anderei. Ich glaube daraus ist noch nie etwas Gutes entstanden.

    • @David Kind:

      Gibt es einen falschen Zeitpunkt für die Wahrheit (um deren Schilderung scheint es sich in dem besprochen Roman ja wohl unwidersprochen zu handeln)? Ist es richtig, sie aus taktischen Gründen zu verschweigen? Und wenn ja, sind wir gerade jetzt an diesem Punkt? Ist es nicht gerade jetzt wichtig, sich klar zu machen, dass es auch in einem für gerechtfertigt gehaltenen Krieg Täter auf beiden Seiten gibt? Oder ist ausgeschlossen, dass auch ukrainische, auch israelische Soldaten zu Tätern werden können? Ist es nicht immer wichtig, zu sehen, dass in einem Krieg Frauen (und Kinder) zu den hauptsächlichen Opfern auf beiden Seiten zählen?

  • Danke.

  • Es scheint sich hier um ein eindrückliches Buch zu handeln.



    Der pauschalen Verurteilung der Gesellschaft kann ich allerdings nicht zustimmen.



    "Engstirnigkeit, eigene Befindlichkeiten, Selbstgerechtigkeit."



    Ich möchte daran erinnern, dass wir seit 1,5Jahren die Ukraine unterstützten.



    Dies nur auf Grundlage moralischer Bedenken.



    Es gibt keinerlei Verträge, o.ä., die diese wirtschaftlich relevante Solidarität begründen.



    Dass die Solidarität weit in unseren Alltag eingreift, ist offensichtlich.



    Die Gesellschaft nun Aufgrund eines Vorfalls abzuurteilen halte ich für verfehlt.



    Da am Ende internationale Krisendiplomatie kritisiert wird, sind es wirklich die DiplomatInnen, die die Preisentscheidung gefällt haben,?

  • Das war wohl nicht die Solibekundung, die Hillenbrand neulich hier einforderte und dabei obendrein den zu dem maximal vergifteten und verminten Themenkreis lange Schweigenden Gleichgültigkeit unterstellte. Was für eine Frechheit. Gut, dass es Autoren gibt, die von einem verordneten Meinungsdiktat nichts halten. Ich auch nicht.

    Wären "universell geltende Rechte und kosmopolitische Empathie" Konsens und Basis unseres Denkens, Fühlens und unserer Handlungen, wäre die Welt eine andere. Höchste Zeit, da hin zu kommen.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Freiheit des Wortes (die als Konzept nur zum Tragen kommt, wenn uns etwas zugemutet wird – für Sonntagsreden brauchen wir sie nicht).

    www.tagesschau.de/.../tagesschau_20_uhr



    Klare Worte auf der Buchmesse zur aktuellen Situation in Nahost von Slavoj Žižek, Slowenischer Philosoph, Psychoanalytiker und Kulturkritiker - und "schon fast ein Eklat".

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Ich bewahre mir mir diesen Satzschnipsel - (un)wohlgemerkt im Kontext - aus diesem Artikel auf, nach dessen Lektüre ich meine Versuche eigenständiger Betrachtung ermutigt erlebe:



    " ...das zerrüttete Verhältnis verrohter Menschen zum Kreatürlichen ..."

    Nebensache dazu: Das erinnert mich auch an ein zensiertes und infolgedessen nur schwer zu vergessendes Plakat von Peta ...

  • Den Verantwortlichen für die Absage der Preisverleihung sei die Lektüre der Schrift "



    On Liberty" (Über die Freiheit) von John Stuart Mill empfohlen.