Kontroverse auf Frankfurter Buchmesse: Barfuß mit Handke
Die Kontroverse über den Literaturnobelpreis für Peter Handke auf der Buchmesse hält an. Preisträger Saša Stanišić bietet dazu ein Gegengift.
„Wer sagt denn, daß die Welt schon entdeckt ist?“ Der Suhrkamp Verlag würdigt seinen gerade mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Autor Peter Handke mit diesem Zitat auf seinem Frankfurter Messestand. Gedruckt auf einem großformatigen Schwarz-Weiß-Foto sieht man den Meister sitzend an einem Holztisch in einem verwilderten Garten. Er wirkt melancholisch, fast traurig, fragil und nachdenklich. In vier Regalen sind unter dem Bild seine Werke ausgestellt.
Handke ist das allgegenwärtige Gespenst auf der Frankfurter Buchmesse dieser Tage. Die Frage, wie sehr sein literarisches Werk durch seine proserbische Haltung während der Jugoslawien-Kriege kompromittiert ist, sie spaltet. Während der derzeitige Doyen der deutschen Literaturkritik, Denis Scheck, im Gespräch „Toleranz“ für Handke fordert und „sehr viel Meinung, aber sehr wenig Ahnung“ in der Debatte sieht, erneuern vor allem diejenigen, die damals etwas näher an den Geschehnissen waren, ihre Kritik. Der diesjährige Buchpreisträger Saša Stanišić nutzte seine prominenten Auftritte, um Handke und das Nobelpreiskomitee weiter scharf zu kritisieren.
Er erinnerte an Handke-Formulierungen aus den 1990ern, mit denen dieser Menschenrechtsverbrechen serbischer Nationalisten relativierte. „In seinem Text, der über meine Heimatstadt Višegrad verfasst worden ist“, so Stanišić, „beschreibt Handke unter anderem: ‚Milizen, die barfuß nicht die Verbrechen begangen haben können, die sie begangen haben.‘ Diese Milizen und ihr Milizenführer, der Milan Lukić heißt und lebenslang hinter Gittern sitzt, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, erwähnt er nicht. Er erwähnt die Opfer nicht. Er sagt, dass es unmöglich ist, dass diese Verbrechen geschehen konnten. Sie sind aber geschehen. Mich erschüttert so was, dass so was prämiert wird.“
Handke ging mit dem Serbenführer Slobodan Milošević tatsächlich bis an dessen Grab, trat bei der Beerdigung 2006 als Redner auf.
„Menschenverachtung und Lügen“
„Wer sagt denn, daß die Welt schon entdeckt ist?“ Tja, wer sagt es? „Man kann Handkes Naturmystik genießen“, sagt Dany Cohn-Bendit in einem Gespräch in den Messefluren. „Sich auch an ihr ergötzen“, aber, so Cohn-Bendit, „muss man wirklich auch gleich nobelisieren, was Handke an Menschenverachtung und Lügen über Bosnien und Serbien verbreitet hat?“
Das Stockholmer Komitee meint, schon. Es verteidigt in nachgeschobenen Texten die Entscheidung. Nachdem man dort in den letzten Jahren nach hausinternen Skandalen selbst im Fokus der Kritik stand, hat man jetzt mit Handke einen ausgewiesenen Journalistenhasser den Medien in den Ring geschleudert.
Bei einem Eklat am Mittwoch in Österreich hat der auch gleich angekündigt, mit der unwürdigen Spezies Journalist kein weiteres Wort mehr je reden zu wollen. Denn er komme „von Homer“ und „von Cervantes“. Und die Journalisten des ORF eben nicht. Inszenierte Diskursverweigerung, vielleicht auch Alterscholerik, um sich erst gar nicht auf Kritiken wie die von Saša Stanišić – „Ich hatte das Glück, dem zu entkommen, was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt“ – einlassen zu müssen.
Witz und Offenheit
Dabei scheint eher Saša Stanišić „von Cervantes“ her zu kommen. Während der Messe brachte er bei den Lesungen aus seinem jetzt preisgekrönten Werk „Herkunft“, die Besucher*innen verlässlich zum Schmunzeln. Etwa wenn er eine Passage über „Doktor Heimat“ vorträgt, in der es darum geht, wie sehr die bosniakische Karies der deutschen gleicht – und wie wichtig ein simpler Gruß über den Zaun sein kann. Die autobiografisch grundierten Anekdoten aus dem Leben eines Neudeutschen stecken voller Witz und Offenheit – eine Perspektive mit Interesse für die anderen, ohne dabei das eigene Ich zu verstecken.
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Handke erklärte als Schriftsteller nicht den Krieg in Jugoslawien. Analytisch betrachtet war ihm der schnuppe. Er ergriff literarisch-propagandistisch Partei für deren mörderischste Fraktion, die des serbisch-völkischen Nationalismus. Aus ideologischer Verblendung heraus glaubt er eine höhere Wahrheit zu kennen, menschenrechtliche Argumente ignorieren zu können.
Ein anderer deutschsprachiger Schriftsteller, Eugen Ruge, scheint genau den entgegengesetzten Weg zu gehen. Auf der Messe stellte er seinen neuen Roman „Metropol“ vor. Der Buchpreisträger von 2011 („In Zeiten des abnehmenden Lichts“) nähert sich hier der Phase des großen stalinistischen Terrors in der Sowjetunion an.
Die Jahre 1936 bis 1938, mittendrin als literarische Hauptfigur Ruges Großmutter Charlotte, einst tatsächlich Agentin der Komintern. Als Zimmernachbar im Hotel Metropol und nun im Roman zeitweise Lion Feuchtwanger, überzeugter Antifaschist, großer Schriftsteller – und Gast Stalins. Er soufflierte dem Massenmörder Stalin 1937 in einer skandalösen Schrift. Erzählung mit Recherche zusammenzubringen, es lohnt sich. Die Welt ist in vielem unentdeckt und wird dies auch immer sein.
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