Erzählband „Mars“ von Asja Bakić: Frausein im Nirgendwo
Die bosnische Schriftstellerin Asja Bakić erzählt in ihrem Erzählband „Mars“ vom Verlorensein. Das tut sie mit genauen, sezierenden Sätzen.
Die Hölle, das sind bekanntlich meistens die anderen. Und manchmal ist das Jenseits einfach ein Tisch, an dem man bis zur Erlösung schreiben muss, während zwei teuflische Sekretärinnen im Nebenraum warten. Die Schriftstellerin Asja Bakić rückt in ihren lesenswerten Erzählungen „Mars“ Figuren in den Mittelpunkt, die ihre Frauenrolle ausfüllen, von den Spielregeln ihrer Welt aber eigentlich keine Ahnung haben.
So wie die namenlose Autorin, die angeblich unter Pseudonym einen Roman veröffentlich hat und bei der Suche nach der wahren Verfasserin nur die Wahrheit über eine alte Freundschaft erfährt. Oder wie die Mutter, die für ihre hungernden Kinder einen Pfannkuchen backen will, das Ei aber so lange mit sich herumträgt, bis es verdorben ist.
„Mars“ hat Bakić bereits 2015 in Kroatien veröffentlicht, jetzt ist die deutsche Übersetzung erschienen. Die 1982 in Tuzla geborene Autorin hat als Kind den Bosnienkrieg miterlebt, doch Kriegseindrücke verarbeitet sie literarisch nicht. Bedeutsamer sei doch, was vor dem Zerfall Jugoslawiens und nach dem Krieg passiert ist, sagt Bakić im Gespräch mit der US-amerikanischen The Gazette.
Ähnlich verfährt sie auch in ihren Erzählungen, bricht diese früh, man könnte auch finden zu früh, ab. An einer fortlaufenden Geschichte ist Bakić nicht interessiert, ihr geht es um das, was vor dem eigentlichen Ereignis passiert: Die Entscheidung von heute ist die Katastrophe von morgen.
Distanziertheit in harten, schnellen Sätzen
Und katastrophal ist es bei Bakić immer. Ihre Protagonistinnen leben in Dystopien, in denen Robotern ihre androide Natur verschwiegen wird oder die Menschen auf Nähe verzichten. Explizit wird das ehemalige Jugoslawien fast nie genannt, trotzdem ist „Mars“ auch auf seine Art Exilliteratur. Der Titel ist programmatisch – möglichst weit weg. Zumindest ins innere Exil begeben sich Bakić' Figuren; sie bleiben stets distanziert. Irgendetwas, das meinen sie oder das meint ihre Umgebung, scheint mit ihnen nicht zu stimmen.
Emotionen, so lernen sie schnell, sind höchstens intellektuell interessant: „Der Schmerz wurde überflüssig. Er war anderen vorbehalten.“ Diese Distanziertheit beschwört Bakić mit harten, schnellen Sätzen herauf. In „Der Talus von Frau Lichen“ begeht eine Frau scheinbar grundlos einen Mord. „Als man das nächste Opfer im Wald fand, war es nicht meins“, stellt sie später fest. Bakić' Sprache ist genau und schneidet tief.
Um die Verzweiflung von Eltern zu beschreiben, braucht sie nicht mehr als einen Satz: „Damit die Kinder sie nicht hören, reichen sie sich abwechselnd ein kleines Kissen, das sie vor ihr Gesicht führen, um das Schluchzen zu ersticken.“ Gleichzeitig kann Bakić unaufgeregt lustig sein, etwa wenn sie von dem Sommer erzählt, in dem Opa stirbt und die Kinder ihre Sexualität entdecken.
Denn trotz des dystopischen Settings ist nicht alles verloren. Erlösung verspricht in Bakić' Erzählungen das Schreiben. Das kann ganz einfach das Tagebuch sein, mit dessen Hilfe Abby sich nach ihrem Unfall an Dinge erinnern soll, oder erotische Literatur, womit Asja die Menschen wieder für sexuelle Empfindungen empfänglich machen soll. Literatur schreibt Bakić so große Macht zu, dass in einer fernen Zukunft Schriftsteller:innen gesammelt auf den Mars verbannt werden, damit Bücher keinen Schaden mehr anrichten können.
Essensbeschreibungen realer als die Wirklichkeit
Als in „Reise nach Westen“ eine Familie aus ihrer Heimat flüchtet, wird statt Émile Zolas „Bauch von Paris“ lieber ein Fotoalbum verbrannt, um sich warm zu halten. Zolas Essensbeschreibungen waren den hungernden Kindern realer als die Wirklichkeit vorgekommen. Die Entscheidung für die Literatur, sie wird als endgültig und nicht umkehrbar beschrieben.
Spätestens hier erinnert Bakić an einen anderen großen jugoslawischen Autor, dessen kurze, treffende Sätze ganze Gefühlswelten heraufbeschwören. „Habe ich dir nicht hundertmal gesagt, dass ich schreibe, um mich von meinem Egoismus zu befreien?“, lässt Danilo Kiš seinen Orpheus in „Die Dachkammer“ sagen. Orpheus, der seinen unsterblichen Roman schreiben will, aber sich nur durch mehr oder weniger dystopische Welten träumt, weiß um die Kraft des Schreibens, schreckt vor dieser Macht aber letztlich zurück und steigt wieder hinab auf den Boden.
Junge Literatur aus dem postjugoslawischen Raum findet heute immer noch zu selten Beachtung in Deutschland. Mit dem wohl bekanntesten, Saša Stanišić, oder auch Tijan Sila sind es vor allem exilierte Autor:innen, die ihre Werke für ein deutsches Publikum verfassen. Asja Bakić hat mit „Es kann ein Kaktus sein, solange er sticht“, „Sweetlust“ und „Komm, ich sitze auf deinem Gesicht“ auch Essays und Lyrik verfasst, die hoffentlich in naher Zukunft ebenfalls ihren Weg nach Deutschland finden werden. Auf Bakić Stimme, die sich räumlich nirgends verorten lässt, lohnt es sich zu warten.