Konkurrenz auf dem Biermarkt: Kleinbrauer mit alten Rezepten
Vor allem in Hamburg und Berlin eröffnen „Craft“- Brauereien. Sie produzieren neue Geschmacksrichtungen. Nun fürchten Pioniere um Authentizität.
München taz | Zitrusartig! Karamelltöne! Pfefferaromen! Was nach Weinverkostung klingt, sind Beschreibungen einer neuen Gruppe von Bieren: der sogenannten Craft-Biere. Sie zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie handwerklich in kleinen Brauereien produziert werden. Zudem überraschen sie häufig mit kreativem Geschmack – eine Kampfansage an die faden Fernsehbiere.
Die dominieren den Markt und verdrängten in den vergangenen Jahren kleine Betriebe, die weniger als 1.000 Hektoliter pro Jahr produzieren. Die 2 Prozent der Brauereien, die mehr als 1 Millionen Hektoliter ausstoßen, erzeugen rund 62 Prozent der deutschen Produktion.
Parallel dazu geht der Bierkonsum zurück. Anfang der 90er Jahre hat jeder Deutsche 140 Liter pro Jahr getrunken, heute sind es nur noch rund 100 Liter. Die Craft-Beer-Szene bringt nun Bewegung in die Branche.
Der Anstoß kam aus den USA. Craft-Biere sind daher häufig hochprozentige Ales, Lager oder Porter und Stout-Biere, die ursprünglich zwar aus Großbritannien stammen, aber von der US-Craft-Beer-Szene besonders geschätzt werden. Trotz der großen geschmacklichen Unterschiede zu Pils, Kölsch, Weizen, Bock oder Hellem erfüllen Craft-Biere das Reinheitsgebot. Oft sind die Craft-Brauer Autodidakten, die nach alten Rezepten brauen oder wild experimentieren, ihre Biere auch mal in Whiskey-Fässern reifen lassen. Naturgemäß sind solche Biere etwas teurer als die Massenware.
Große der Branche machen es nach
Vor allem in Hamburg und Berlin sprießen die kleinen Brauereien, wie die Kreativbrauerei Kehrwieder oder das Schoppe Bräu. Ein bisschen schlägt sich das auch schon in Zahlen nieder: Heute gibt es mehr als 677 Mikrobrauereien, 2006 waren es 523. Laut der Gesellschaft für Konsumforschung (Gfk) sind Bierspezialitäten mit 5 Prozent Umsatzwachstum gegenüber dem Vorjahr eine treibende Kraft in der Gastronomie. Das Marktforschungsunternehmen Nielsen sieht das Segment sogar um 11 Prozent wachsen.
„Craft-Biere werden in Deutschland nie dominierend sein. Aber 5 bis 10 Prozent Marktanteil könnte ich mir vorstellen“, meint Christoph Pinzl, Leiter des Hallertauer Hopfenmuseums. Obwohl es trotz der Konzentration in der Branche nicht an regionalen Spezialitäten mangelt: Deutschland hat rund 5.000 Biersorten. Derzeit machen Craft-Biere rund 1 Prozent des Marktes aus.
Diese Erfolgsstory beobachten auch die Großen der Branche – und springen auf den Zug auf, schließlich wird auf dem schrumpfenden Markt um jedes Glas gekämpft. Die Bitburger Braugruppe hat seit zwei Jahren ein Craft-Bier am Start und seit Anfang März mischt auch Beck’s (Anheuser-Busch) mit drei neuen Biersorten auf dem neuen Markt mit – das schmeckt den kleinen Brauern natürlich nicht. „Der wachsende Erfolg der regionalen Biere könnte die alten handwerklichen Prozesse immer mehr durch maschinelle Massenfertigung verdrängen“, sagte Oliver Wesseloh, Brauer und Biersommelier aus Hamburg, kürzlich der Zeitschrift Focus. „Großbrauereien können keine Craft-Brauer sein.“
Die Branche insgesamt bewertet den Trend jedoch positiv: „Von dieser neuen Entwicklung können letztlich alle Brauer profitieren“, so Holger Eichele, Geschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes. „Denn die Craft-Welle wird dazu beitragen, neue Konsumentenkreise zu erschließen und das Image des Bieres zu steigern.“
Leser*innenkommentare
Saccharomyces cerevisiae
Also bitte! Das liest sich, also ob die "Hamburger und Berliner" "Craft"-Brauer das Rad neu erfunden hätten und den doofen Restdeutschen zeigen müssten wie der Hase läuft. Dabei sind gerade sie es, die auf den fahrenden Zug aufspringen. Das Epizentrum der innovativen Biertsorten liegt unbestritten in Truchtlaching am Chiemsee; der eigentliche Initiator arbeitet in der Nähe in Schönram.
Hier wird nicht nur gebraut, sondern die Leute sind Braumeister mit Leib und Seele und verstehen ihr Handwerk. Der Großteil der "Craft"-Biere, insbesondere die der Amateurbrauer, sind mit Spezialmalzen überschüttete und durch Hopfenstopfen - pardon, das muss ja jetzt "dry-hopping" genannt werden- für Kenner ungenießbar gemachte Sude stark schwankender Qualität. Wer wirklich zeigen will was er / sie kann soll erst einmal ein "authentisches", soll heißen charakterstarkes, süffiges, der Herkunftsregion entsprechendes helles Vollbier brauen. Nur mit dezenter Hopfennote und ohne Spezialmalzaroma zeigt sich, wer gutes Bier brauen kann. Das, und nicht irgend ein "fancy shit" mit "kreativem Namen", schniekem Etikett und stark schwankendem Geschmack, ist Handwerk.
571 (Profil gelöscht)
Gast
In meinem kleinen schwäbischen Landkreis mit nicht einmal 150T EW brauen vier Familienbetriebe köstlichstes Bier.
Und das ohne "Innovations"quatsch.
naemberch
@571 (Profil gelöscht) In Aufsess (natuerlich in Franken) mit 1320 Einwohnern gibt es 4 Brauereien.
naemberch
Interessant ist dass Franken hier nicht mal erwaehnt wird.
Hier gibt es die groesste Brauereidichte der Welt und meherer Hundert Brauereien; und das schon seit Jahrhunderten.
Da muss man nicht in die USA oder Hamburg/Berlin.
Franken ist das Bierzentrum der Welt.
Jens Brehl
Aus Bier habe ich mir in der Vergangenheit wenig gemacht, weil mir der Einheits-Geschmack auf Dauer einfach zu langweilig war. Ich trinke recht wenig und wenn, dann möchte ich ein tolles Geschmackserlebnis. Ein Freund hat mich auf eine kleine Brauerei aus meiner Region aufmerksam gemacht, die wie hier im Artikel beschrieben auch mal experimentiert und was Besonderes bieten möchte (siehe die monatlich wechselnden Sorten im Bierkalender): http://www.pax-braeu.de/ Bleibt zu hoffen, dass sich die kleinen Betriebe auch auf Dauer halten können