Kongos Rebellen feiern Durchbruch: „Schließt euch der Revolution an!“
Im Osten der DR Kongo erobern die M23-Rebellen mehrere Städte und blasen zum Sturz von Präsident Tshisekedi. Hunderttausende Menschen auf der Flucht.
Videos zeigten, wie die Rebellen in langen Kolonnen durch die staubigen Straßen der Stadt marschierten. Am Samstag übernahm die M23 auch die benachbarte Großstadt Kirumba und weitere Ortschaften im hügeligen Umland und versprach der Bevölkerung auf Versammlungen Sicherheit und Frieden.
Augenzeugen sagten am Sonntag, die Rebellen befänden sich jetzt in Kaseghe, nur noch 100 Kilometer von Nord-Kivus zweitgrößter Stadt Butembo entfernt, ein wichtiges Handelszentrum.
Wochenlang hatte Kongos Armee versucht, den Vormarsch der Rebellen in dieses Hochland aufzuhalten. Berichten zufolge gab es zuletzt aber Streit zwischen Armeeeinheiten sowie zwischen der Armee und den lokalen paramilitärischen Milizen „Wazalendo“ (Patrioten), die zum Kampf gegen die als Marionette Ruandas gewertete M23 aufgestellt worden sind.
Ein Gebiet voller Kriegsvertriebener
Das Gebiet um Kanyabayonga ist Kernland des ostkongolesischen Nande-Volkes, historische Rivalen der in der Provinzhauptstadt Goma dominanten ruandischstämmigen Volksgruppe, aus der sich die M23-Rebellen rekrutieren. Indem diese nun im Nande-Gebiet Fuß fassen, weiten sie ihren Krieg deutlich aus.
Zugleich erobert die M23 ein Gebiet voller Kriegsvertriebener. Nach UN-Angaben sind zwischen März und Mai rund 54.000 Familien – über 300.000 Menschen – aus den damaligen Kampfgebieten im Umland von Goma nach Norden Richtung Kanyabayonga geflohen; gut die Hälfte sei inzwischen auf dem Weg weiter nach Norden, hieß es Mitte Juni im jüngsten UNHCR-Monatsbericht. Die Stadt Kanyabayonga soll inzwischen zu 90 Prozent entvölkert sein, meldete am Wochenende das UN-unterstützte Radio Okapi.
Der Vorstoß der Rebellen ist auch ein Schachzug Ruandas, dessen militärische Unterstützung die M23 überhaupt erst stark gemacht hat. Vergangenen Donnerstag hatte Angolas Präsident Joao Lourenco, der zwischen Kongo und Ruanda vermittelt, Gespräche zur Einrichtung eines Gipfeltreffens zwischen den beiden Präsidenten Felix Tshisekedi und Paul Kagame bekannt gegeben.
Kongos neue Premierministerin Judith Suminwa Tuluka, gerade auf Besuch in Goma, hatte sofort widersprochen: „Wir verhandeln nicht mit unseren Angreifern“, sagte sie. Sollte der neue M23-Vorstoß auf Hilfe aus Ruanda zurückzuführen sein, wäre er auch als Druckmittel auf Kongo zu verstehen, endlich Gesprächen zuzustimmen.
Präsident an allen Fronten in der Defensive
Kongos Präsident Felix Tshisekedi steckt militärisch und politisch in der Defensive. Nach seiner umstrittenen Wiederwahl im Dezember 2023 dauerte es bis zum 12. Juni dieses Jahres, bevor seine neue Premierministerin Judith Suminwa Tuluka ihr Amt aufnahm. In der neuen Regierung wurde der vorherige Verteidigungsminister Jean-Pierre Bemba, ehemaliger Rebellenführer mit Erfahrung im Osten, von Guy Kabombo Muadiamvita ersetzt, einem persönlichen Freund des Präsidenten ohne militärischen Hintergrund.
Seitdem rumort es in Kongos Militär – und nun hat die Armee eine ihrer wichtigsten Fronten kampflos geräumt und Tshisekedi blamiert.
Der Präsident trommelte am Samstag Kongos höchste Generäle zum Krisengipfel in Kinshasa zusammen. Zuvor hatte er in seiner Ansprache zum Unabhängigkeitstag versprochen, „die territoriale Integrität unseres Landes zu retten“.
Corneille Nangaa, Anführer des politischen Rebellendachverbandes AFC (Allianz des Kongo-Flusses) rund um die M23, rief in einer eigenen Rede zum Unabhängigkeitstag die Armee zum Sturz des Präsidenten auf: „Schließt euch der Revolution an!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin