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Konflikt zwischen Syrien und der TürkeiArbeitsteilung unter Autokraten

Andreas Zumach
Kommentar von Andreas Zumach

Statt die Aufmerksamkeit auf Erdoğans Verbrechen in Nordsyrien zu lenken, spekulieren manche in der EU lieber über die Nato-Beistandspflicht.

Soldaten der Freien Syrischen Armee trainieren Anfang Oktober für ihren Einsatz Foto: ap

A ls „außerirdisch“ hat Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn beim Brüsseler Treffen mit seinen EU-AmtskollegInnen selbst die Vorstellung bezeichnet, die Nato könnte über den Beistandsartikel 5 ihres Vertrags in einen Krieg ihres Mitgliedes Türkei mit Syrien hineingezogen werden. Warum Asselborn als Erster und bislang Einziger über ein solches Szenario überhaupt öffentlich spekuliert, bleibt sein Geheimnis. Denn es ist in der Tat völlig unrealistisch.

Die Türkei verstößt mit ihrem völkerrechtswidrigen Krieg gegen die kurdischen StaatsbürgerInnen Syriens auf syrischem Territorium nicht nur gegen die Charta der Vereinten Nationen, sondern auch gegen den Nato-Vertrag. Die syrische Regierung von Präsident Assad darf zur Abwehr der völkerrechtswidrigen Invasion der Türkei und zum Schutz ihrer kurdischen StaatsbürgerInnen unter Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UNO-Charta legitimerweise militärische Mittel einsetzen.

Sie dürfte sogar andere Länder um militärischen Beistand bitten. Das wäre – außer vielleicht in der wilden Fantasie des türkischen Präsident Erdoğan – kein bewaffneter Angriff Syriens auf das Nato-Mitglied Türkei, der die Voraussetzungen der Beistandspflicht nach Artikel 5 des Nato-Vertrags erfüllen würde. Selbst dann nicht, wenn die syrischen Streitkräfte bei der Abwehr der Invasion militärische Ziele auf türkischem Territorium beschießen oder dieses Territorium zeitweise betreten würden.

Nach einer ersten Phase der militärischen Selbstverteidigung müsste die Regierung Assad nach den Regeln des Völkerrechts dann den UNO-Sicherheitsrat um Beistand anrufen. So weit wird es allerdings mit größter Wahrscheinlichkeit nicht kommen. Die syrischen Streitkräfte werden voraussichtlich nicht einmal aktiv gegen die ihnen überlegenen türkischen Invasionstruppen vorgehen, um diese in die Türkei zurückzudrängen, sondern sich auf den Versuch beschränken, den weiteren Vormarsch dieser Truppen zu stoppen

Die Vertreibung der kurdischen Bevölkerung

Zudem werden Assads Soldaten bestrebt sein, zunächst diejenigen Gebiete unter ihre Kontrolle bringen, aus denen die Kurden seit Beginn der türkischen Invasion bereits vertrieben wurden oder geflohen sind. Es würde nicht überraschen, wenn die türkischen Invasionstruppen weitere, derzeit von ihnen besetzte Gebiete zu einem späteren Zeitpunkt an die syrischen Streitkräfte übergeben würden.

Auf diese Weise sorgen Erdoğan und Assad – ob abgesprochen oder nicht – arbeitsteilig für die weitgehende Vertreibung der kurdischen Bevölkerung aus Nordsyrien und für das Ende ihrer demokratischen Selbstverwaltung. Das wird die extremistischen Kräfte unter den KurdInnen in der Türkei, im Irak und auch in der Diaspora in den EU-Staaten stärken.

Asselborn hätte die mediale Aufmerksamkeit beim EU-Außenministertreffen besser nutzen sollen, um auf diese dramatischen Folgen der Verbrechen des Nato-Mitglieds Türkei aufmerksam zu machen, anstatt über eine Beistandspflicht der Allianz für diese Verbrechen zu spekulieren.

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Andreas Zumach
Autor
Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.
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6 Kommentare

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  • Zitat: „Am Montag verurteilten die EU-Außenminister die Offensive der Türkei in Nordsyrien mit scharfen Worten.“

    Boah ey! Nun wird Präsident Erdogan bestimmt nächtelang wach liegen und sich fürchten.

    Das autoritäre Gehabe von Leuten, die Verträge eingegangen sind, in denen sie sich zur Einhaltung gewisser Fairness-Regeln verpflichten (UN-Charta, Nato-Vertrag), ist lächerlich. Autoritäre glauben gar nicht an Verträge. Sie glauben an Drohungen. Sie glauben an Gewalt, nicht an Vernunft.

    Hätten die Ton-Angeber weiter gedacht als bis zu dem Tag, an dem sie die Ehre der (medial vervielfältigten) Vertragsunterzeichnung hatten, wäre ihnen aufgefallen, dass die Verträge gar nicht passen zu ihren persönlichen Überzeugungen. Aber vermutlich wäre ihnen auch das völlig egal gewesen. Überzeugungen, denken diese Leute offenbar, werden heillos überschätzt. Insbesondere solche, denen zufolge Menschen einander keine Raubtiere sein müssen. Was Hänschen nicht gelernt hat...

    Das Nato-Mitglied Türkei hat sich eines Verbrechens gegen geltendes Recht schuldig gemacht. Denen aber, die das Recht verteidigen müssten, fällt kaum mehr ein als ein erhobener Zeigefinger. Nun rächt sich offenbar, dass „der Westen“ Erdogan und „die Türkei“ braucht. Weil unbedingt ein Bollwerk gegen Migration her sollte und Erdogan bereit war, einen Job zu machen, den andere nicht machen wollten mit Rücksicht auf ihre weiße Weste. Der Diensteifer Erdogans hätte „den Westen“ stutzig machen müssen. Niemand verprellt andere ungestraft. Und schon gar nicht wird man von Autoritären dauerhaft für Arroganz belohnt.

    „Die Türken“ sind „dem Westen“ nicht gut genug gewesen als EU-Mitglied. Die Nationalisten haben das ausgenutzt. Als „Mohr“ durften „die Türken“ tätig werden. Auch das wird letztlich denen helfen, denen die Farbe ihrer Weste scheißegal ist. Und „der kleine Mann auf der Straße“? Der hat nie gelernt, selber zu denken. Der Rest wird einmal mehr Weltgeschichte werden. Scheiß autoritäres Bildungssystem!

  • Info- Empfehlung

    Erdogans Operation ''Friedensquell''

    Schwach und unzuverlässig Donald Trump hat sich von Recep Tayyip Erdogan den Schneid abkaufen lassen.

    »Vor einer Woche noch hatten hochrangige Vertreter der Trump-Administration, darunter auch der amtierende Verteidigungsminister Mark T. Esper, versichert, dass sich die USA um die Sicherheit in Nordsyrien kümmern würden. Eine gezielte Präsenz von US-Spezialeinheiten und gemeinsame Patrouillen mit den kurdischen Milizen stabilisierten die komplexe Lage in Nordsyrien. Die türkische Armee hatte bis dato nicht die Grenze zwischen dem Euphrat und Irak in Richtung Syrien überschritten. Der Nordosten war unter Kontrolle kurdischer Milizen, die als Verbündete der Amerikaner und der internationalen Staatengemeinschaft die Häscher des „Islamischen Staates (IS)“ in verlustreichen Kämpfen erst in diesem Jahr besiegt hatten. {…}

    Ende dieser Woche hat sich die Lage grundlegend verändert. Jetzt rollt eine türkische Invasion Richtung Nordsyrien, die türkische Armee bombardiert Grenzstädte. Medienberichten zufolge fliehen Zehntausende aus der Grenzregion und die kurdischen Einheiten beklagen Verluste. Erdogan will eine Pufferzone in Nordsyrien schaffen, er nennt die Operation „Friedensquell“. {…}

    Die Außenpolitik Trumps widerspricht oft den Vorstellungen der Republikaner und überrascht immer wieder auch das Verteidigungs- und Außenministerium.

    www.ipg-journal.de..._source=Newsletter

    15.10.2019, R.S.

    • @Reinhold Schramm:

      Zitat: „Schwach und unzuverlässig Donald Trump hat sich von Recep Tayyip Erdogan den Schneid abkaufen lassen.“

      Aha. Und wie konnte es so weit kommen? Ich meine: Wären „die Europäer“ überhaupt angewiesen auf Trump und seinen eventuellen „Schneid“, wenn sie ein vernünftiges Konzept gehabt hätten für den Umgang mit Erdogan und den türkischen Nationalisten?

      Stell dir vor, lieber Reinhold Schramm, die bist zehn Jahre alt und hast einen großen Bruder, der sich gerne für dich prügelt. Weil er so sei (Alternativ kannst du dir, wenn du ein Grünen-Wähler bist, auch einen Juristen-Vater denken, der jeden durch sämtliche Instanzen hindurch verklagt, der nicht bei drei auf einem Baum hockt.) Musst du dann drüber nachdenken, wie du mit deinen Klassenkameraden umgehst? Oder kannst du jeden eventuellen schlechten Tag an jedem x-beliebigen Mitschüler auslassen? Und was, wenn der besagte Bruder dann von der Schule abgeht (oder der Vater eine neue, jüngere Freundin findet und sich fortan in einer anderen Stadt auf deinen Stiefbruder kapriziert)?

      Merke: Das mit dem „Schneid“ ist eine heikle Sache. Er wirkt nur selten nachhaltig. Wer sich darauf verlässt, dass andre seine Probleme lösen, der ist nicht selten letztendlich verlassen. Es wäre also womöglich besser gewesen für „den Westen“ und seine Einwohner, sie hätten ihre Führungsmacht bei Zeiten schon daraufhin untersucht, wieso sie ihre Anhänger unmündig hält. Womöglich wären dann rechtzeitig andere Spitzenpolitiker gewählt worden. Solche, die weniger „Schneid“ demonstrieren und mehr Vernunft.

      Übrigens: Dass in Thüringen ausgerechnet ein alter, weißer FDP-Mann mit dem Slogan: „Gegen den Trend: vernünftig“ für sich wirbt, darf wohl getrost als Ironie der Geschichte bezeichnet werden.

  • Wie kann Asselborn von Nato Beistandspflicht schwadronieren? Gibt es diese Beistandspflicht auch für Aggressoren und Kriegstreiber innerhalb der Nato?

    Fakt ist:



    Die Türkei greift ein Land an und massakriert Teile der dortigen kurdischen Bevölkerung. Der Machthaber des angegriffenen Landes ist dem Wertewesten aus verschiedenen Gründen ein Dorn im Auge. Offiziell: weil er ein Folterscherge ist. Inoffiziell: weil er geostrategische Pläne des Wertewestens behindert, denn Schergen können auch für den Wertewesten durchaus Freunde sein, wie das Beispiel mit dem Menschenzersäger aus SA zeigt.

    Was bleibt? Assad muss sein Land verteidigen gegen eine militärische Übermacht aus der Türkei plus verbündeten Terrormilizen. Und der Wertewesten? Er duckt sich weg und zeigt mit dem Finger auf Putin. Und dann setzt Propaganda ein. Putin lässt angeblich Erdogan gewähren. Also ist Erdogan auch Putin und Putin auch Erdogan. Ja, dann können wir uns gemütlich zurück lehnen und dem Morden zuschauen. Und ganz nebenbei erleben wir die Wiedererstarkung des IS. Und der IS kämpft auch gegen Assad. Na, wenn das kein Zufall ist.

  • Der Zynismus auf dem Nato Parkett ist nicht zu überbieten, Außenminister Heiko Maas gibt sich, als sei sein Protest gegen Erdogans Militäraktion in Syrien nicht zu übertreffen, ist gleichzeitig aber durchsichtig nicht bereit, deutschen Rüstungsexport in die Türkei grundsätzlich zu stoppen, damit wohl Richtung Ankara hinter den Kulissen mit anderen Nato Staaten, samt USA signalisiert, man sei zwar mit Blick auf kritische Medien genötigt zu protestieren, begrüße aber insgeheim, wenn Erdogan auf nordsyrischem Gebiet binnen 10 Tagen eine Schutzzone 30 Km tief, 460 Km breit, für 2 Millionen syrische Flüchtlinge schafft, die Kurden zum Rückzug bewegt, was bislang diplomatisch nicht einmal den USA gelang, sich aus durch Kurden im Wege des Kampfes gegen den IS eroberten Gebieten Syriens ganz in den Norden zurückzuziehen. Gleichzeitig, ohne dass die Nato unmittelbar involviert scheint, die Türkei das Assad Regime, Russland ausbremst, den ganzen Norden Syriens gegen Interessen der Kurden zurückzuerobern.

    • @Joachim Petrick:

      Die Bundesegierung macht mit ihrer Entscheidung die Waffenexporte weiterzuführen deutlich, wo ihre Prioritäten liegen. Gleichzeitig macht man sich im Flüchtlingspakt von einem Partner abhängig, der durch Unterstützung des IS selbst erheblich an den Fluchtursachen beteiligt war.



      Wie lange hat es nochmal gedauert, die deutschen Geiseln aus türkischer Haft frei zu bekommen? In humanitären Fragen ist die große Koalition windelweich.