Konflikt um Renaissance-Staudamm: Jeder will zu viel vom Nil
Äthiopien und Ägypten steuern auf einen Wasserkrieg zu. Hintergrund: der ungelöste Streit um das größte Wasserkraftwerk Afrikas am Blauen Nil.
Abiy machte die Zeitvorgabe am 1. April, dem neunten Jahrestag des Baubeginns. Er will Fakten schaffen, nach dem Scheitern von Verhandlungen mit Ägypten unter US-Vermittlung. Die äthiopische Regierung hatte ein von US-Finanzminister Steven Mnuchin erarbeitetes Abkommen abgelehnt, dem Ägypten am 29. Februar zugestimmt hatte. Sudan, das zwischen den beiden Giganten des Nils sitzt, hatte sich als Vermittler ins Spiel gebracht. Die neue Übergangsregierung in Khartum ist politisch eng mit Ägypten verbündet, aber in Kairo weiß man, dass der äthiopische Damm für Sudan von Nutzen ist, weil er den Abfluss beständiger gestaltet und damit das Überschwemmungsrisiko mindert, ganz abgesehen von möglichen Stromexporten aus Äthiopien.
Umstritten zwischen Kairo und Addis Abeba ist vor allem, wie schnell das Wasserkraftwerk fertig wird. Je schneller der Stausee vollläuft, desto weniger Wasser bleibt in diesem Zeitraum flussabwärts übrig. Der See fasst 74 Milliarden Kubikmeter Wasser und füllt sich bereits. Nach Angaben des äthiopischen Energieministers Seleshi Bekele ist das gesamte Wasserkraftprojekt zu drei Vierteln fertiggestellt.
Äthiopien wollte eigentlich eine Dauer von 7 Jahren, Ägypten verlangte einen viel längeren Zeitraum. Die US-Position war, dass vor einer Fertigstellung ein Abkommen zwischen den beteiligten Ländern stehen soll. Aus äthiopischer Sicht gibt Washington so Kairo eine Art Vetorecht. Nun boykottieren ihrerseits die äthiopischen Unterhändler weitere Gespräche.
Ägyptens Lebensader – Äthiopiens Überlebenschance
Die Spannung steigt. Für Ägypten ist der Nil die Lebensader; der Fluss liefert 90 Prozent des ägyptischen Wassers. Der Blaue Nil, der in Äthiopien entspringt, liefert 80 Prozent des Nilwassers und seine saisonalen Schwankungen gewährleisten die saisonale Bewässerung des äyptischen Ackerlandes am Fluss. Der Damm in Äthiopien dürfte das verfügbare Wasser pro Kopf in Ägypten von 570 auf 500 Kubikmeter im Jahr reduzieren.
Weniger Wasser im Nil heißt auch, dass mehr Mittelmeerwasser ins Flusssystem eindringt. Die damit einhergehende Versalzung könnte Ägyptens Agrarproduktion bis 2060 halbieren, hat der UN-Weltwasserbericht 2018 prognostiziert.
Äthiopien kontert, dass die aktuelle Wasseraufteilung kolonialen Ursprungs sei. 1959 hatten Ägypten und Sudan untereinander vereinbart, dass Ägypten von den 84 Milliarden Kubikmeter Wasser, die der Nil führt, 55 Milliarden erhält und Sudan 18,5 Milliarden. Sie bestätigten damit mit erhöhten Mengen eine Vereinbarung von 1929 aus der britischen Kolonialzeit. Äthiopien, das Hauptquellland des Nils, wurde weder beteiligt noch berücksichtigt, ebenso wenig die Quellenländer des längeren, aber weniger Wasser führenden Weißen Nils wie Uganda. Die ägyptisch-sudanesische Vereinbarung besagt auch, dass Bauwerke am Nil in anderen Ländern die Zustimmung Kairos und Khartums brauchen.
Eine postkoloniale Vereinbarung über die Nutzung des Nilwassers, die alle betroffenen Länder einbezieht, gibt es bis heute nicht. Die „Nile Basin Initiative“ aus allen Nilbeckenstaaten soll das zwar erreichen, aber Ägypten zog sich zurück und besteht auf den Abkommen von 1929 und 1959.
Bei den Gesprächen in den USA deutete sich zwar Kompromissbereitschaft an: Ägypten habe einer Begrenzung auf 40 Milliarden Kubikmeter zugestimmt, Äthiopien habe nur 31 Milliarden freigeben wollen; eine Einigung auf 37 Milliarden sei greifbar gewesen, doch Äthopien habe sich zurückgezogen, heißt es in Berichten auf Grundlage eines geleakten Abkommensentwurfs.
Ägyptische Militärbasis in Eritrea?
Nun mobilisieren beide Seiten. Zum einen diplomatisch: Ägypten hat die Arabische Liga hinter sich, Äthiopien die Staaten des südlichen Nilbeckens. Aber auch militärisch: Äthiopiens Regierung hat um den Damm herum Panzerverbände zusammengezogen. Man erinnert sich in Addis Abeba noch gut an das Jahr 2013, als Ägyptens Muslimbrüder, die damals mit Mohammed Mursi den Präsidenten stellten, offen über die Zerstörung des Dammes diskutierten, durch Luftangriffe oder Raketenbeschuss. Ägyptens heutiger Präsident Sisi hat dem ein Ende gesetzt, aber das Misstrauen ist geblieben.
Ägypten erwägt nun militärische Zusammenarbeit mit Eritrea, das sich bis zu Abiys Amtsantritt 2018 zwanzig Jahre lang im Kriegszustand mit Äthiopien befand. Nach Medienberichten will Ägypten eine Militärbasis auf der eritreischen Insel Nora im Roten Meer errichten. Eritrea arbeitet bereits mit arabischen Ländern im Jemen zusammen und hat mit einem Pachtvertrag über 30 Jahre den Golfstaaten eine Militärbasis in Sawa überlassen.
Mit einer Militärpräsenz in Eritrea wäre Ägypten militärisch an beiden Enden des Roten Meeres präsent und könnte Äthiopiens Versorgungswege blockieren. Am vergangenen Wochenende nannte Äthiopiens Regierung den Streit um den Nil eine „Überlebensfrage“.
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