Kommentar zum Rentenpaket: Die Angst bleibt
Das Rentenpaket der Bundesregierung erschöpft sich im Klein-Klein. Dabei wäre jetzt der richtige Zeitpunkt für eine echte Vorsorgereform.
S ehr viele Menschen haben Angst vor Altersarmut. Dabei ist die gesetzliche Rente eigentlich ein gutes System und der privaten Altersvorsorge weit überlegen. Aber etliche Bundesregierungen haben das System ausgehöhlt, indem sie Ansprüche gekürzt und Leistungen gesenkt haben. Die Große Koalition hat am Mittwoch ein neues Rentenpaket beschlossen. Doch leider wird das niemandem die Furcht nehmen können. Denn die Verbesserungen sind zu klein und ändern nichts am grundsätzlichen Problem.
Nötig wäre eine neue Rentenpolitik, die für eine echte Absicherung sorgt: eine ausreichende Mindestrente für alle, der Ausstieg aus der staatlichen Förderung der privaten Altersvorsorge und genug Geld zum Leben für Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können. Doch der SPD-Sozialminister Hubertus Heil verliert sich im Klein-Klein, statt eine echte Reform wenigstens zu erwägen und in einer anderen Regierungskonstellation denkbar zu machen.
Nach dem Beschluss der Großen Koalition soll das Rentenniveau – also das Verhältnis der Durchschnittsrente nach 45 Jahren Arbeit zum Durchschnittslohn – bis 2025 auf dem heutigen Stand von 48 Prozent bleiben. Aber diese Stabilisierung reicht nicht. Schon heute ist die Rente für viele Menschen viel zu niedrig, immer mehr müssen zum Sozialamt.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts hat sich die Zahl der RentnerInnen mit einem Minijob zwischen 2003 und 2017 auf mehr als eine Million verdoppelt. Nach den Plänen der Regierung bekommen ab 2019 immerhin Mütter oder Väter etwas mehr Rente, die vor 1992 geborene Kinder haben.
Entlastungen bei Beitragszahlungen
Pro Sohn oder Tochter gibt es einen weiteren halben Rentenpunkt, also insgesamt 2,5. Für jüngere Kinder gibt es drei. Ein Rentenpunkt ist derzeit im Westen 32,03 Euro wert, im Osten nur 30,69 Euro – diese Ungerechtigkeit zu beseitigen, haben SPD und Union wieder einmal versäumt.
Immerhin: Die Große Koalition will Beschäftigte mit niedrigem Einkommen bei Beitragszahlungen entlasten. Die Grenze, ab der volle Rentenbeiträge gezahlt werden müssen, soll von jetzt 850 Euro auf 1.300 Euro steigen. Das bedeutet bis zu 20 Euro im Monat netto mehr für Beschäftigte mit niedrigem Einkommen. Das Problem bleibt aber: Die spätere Rente wird nicht zum Leben reichen.
Wer wegen Krankheit vorzeitig in Rente geht, soll ab 2019 mehr bekommen. Die durchschnittliche Rente für voll Erwerbsunfähige liegt bei 736 Euro, also unter der Grundsicherung von 770 Euro. Im Schnitt gibt es künftig 67 Euro mehr. Doch wer dieses Geld braucht, wird es nicht oder nur teilweise bekommen, weil es mit der Grundsicherung verrechnet wird. Die 1,8 Millionen Menschen, die heute Erwerbsminderungsrente beziehen, kriegen nicht mehr.
Das Paket der Großen Koalition ist nicht mehr als eine Minikorrektur der rot-grünen Rentenreform von 2002. Unter Führung des sozialdemokratischen Arbeitsministers Walter Riester beschlossen Grüne und SPD damals, die Renten nach und nach zu senken und die private Altersvorsorge mit hohen Zuschüssen zu fördern.
Zeit für eine Rentenwende
Die Riester-Rente ist gescheitert, private Rentenversicherungen lohnen sich angesichts der niedrigen Zinsen für VerbraucherInnen nicht. Rentenlücken damit zu füllen ist für Durchschnittsverdiener nicht möglich. Von der staatlichen Förderung profitiert vor allem die Versicherungswirtschaft. Der Staat sollte die Zuschüsse einstellen und sie genau wie die Riester-Verträge in die gesetzliche Alterssicherung stecken.
Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für eine Rentenwende. Die Rentenkassen sind voll wie nie zuvor, die Reserven groß. Andere europäische Länder zeigen, was möglich ist: Die Altersvorsorge in der Schweiz, in Skandinavien oder in Österreich ist weitaus besser. In Österreich zahlen die ArbeitgeberInnen höhere Beiträge als die Beschäftigten – nicht nur für die Union, sondern auch für die SPD scheint das undenkbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin