Kommentar zum Bundestagswahlkampf: Schuld ist Schulz
Mag sein, dass die Kanzlerin angesichts ihres Herausforderers hilflos wirkt. Doch Schulz’ Kandidatur hat auch Vorteile für sie.
S chon das Wochenend-Programm der beiden Kandidaten spricht Bände. Während sich SPD-Schulz im hippen Leipziger Kunstkraftwerk mit seiner Basis „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ nimmt, kommt CDU-Merkel in die Alte Brauerei zu Stralsund, um sich von ihrer Landesvertreterversammlung auf Listenplatz 1 zur Bundestagswahl küren zu lassen. Während also in Sachsen die Genossen das Wunder von Würselen feiern dürfen, müssen die Parteifreunde in Mecklenburg-Vorpommern dem Wahltag entgegenzittern und vorab ihre Spitzenkandidatin so wenig wie möglich beschädigen. Und schuld daran ist: Schulz.
Der SPD-Spitzenkandidat ist schon habituell eine Zumutung für Merkel. Der ganze Mann: eine Umarmung auf zwei Beinen. Und doch birgt diese Herausforderung auch Vorteile für die Amtsinhaberin. Und das aus gleich fünf Gründen.
Mit Martin Schulz werden wieder klare inhaltliche Linien zwischen Union und Sozialdemokraten erkennbar. Wer soll regieren – die oder wir? Das ist die Frage, die am 24. September den WählerInnen vorgelegt wird. Will die Union siegen, muss sie die von ihr reklamierte Mitte verlassen. Sie muss sich die Finger schmutzig machen – und dafür wahlweise Hass oder Bewunderung ernten.
Ältere CDUler dürften das noch aus den Barzel/Brandt- und Strauß/Schmidt-Wahlkämpfen der Siebziger und Achtziger kennen. Zu wissen, auf welcher Seite man steht, kann ungemein beleben.
Liebling, ich hab die AfD geschrumpft
Schulz schweißt die Union wieder zusammen. Die Abneigung zwischen CSU-Chef Horst Seehofer und CDU-Chefin Angela Merkel war zuletzt mit Händen zu greifen. Länger als ein Jahr hat er sie geschurigelt. Plötzlich, eine Woche nach Schulz’ Ausrufung zum Kanzlerkandidaten, schaffte es Seehofer beim Münchner Friedensgipfel doch noch, sein Ego einzuhegen. Endlich: ein gemeinsamer Gegner. Im Wahlkampf wird der CSU-Chef hemmungslos auf den Sozi eindreschen dürfen, derweil Merkel ruhig ihre Bahnen ziehen kann.
Schulz schrumpft die AfD. Und das freut auch die Union. Fünf Landtagswahlen hat die CDU im zurückliegenden Jahr durchlitten. Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin – überall haben die Konservativen Wähler verloren, während die AfD zweistellig in die Parlamente einzog. Seit Schulz’ Ausrufung ändert sich das wieder.
Nur noch acht Prozent würden aktuell AfD wählen. Das mag auch an internen Querelen liegen. Doch auch die Aussicht, dass Angela Merkel das Kanzleramt räumen könnte, treibt die Wähler fort von den Populisten. Endlich lautet die Frage nicht mehr, wie die AfD kleingehalten werden kann. Sondern: Union oder Sozis?
Sie steigen aus. Jahrelang hatten Wolfgang Bosbach, Jan van Aken und Bärbel Höhn Macht und Einfluss im Bundestag. In der taz.am wochenende vom 25./26. Februar sprechen sie über das Innerste der deutschen Politik. Außerdem: Eine Reportage über das erste afrodeutsche Prinzenpaar und seine jecke Integrationswerbung im Karneval. Und eine Spurensuche: Die EU zahlt Milliarden für den Flüchtlingsdeal, aber wohin geht das Geld? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Schulz weckt nicht nur positive Gefühle. Beide SpitzenkandidatInnen könnten unterschiedlicher nicht sein. Hier der emotionalisierende Martin – dort die sachliche Angela. In dieser Kombination werden sich selbst die hartgesottensten Merkel-Kritiker noch freuen, solch eine Frau an der Spitze zu haben. Denn permanente Gefühlsgewitter, sieben Monate Klassenkampf, das hält weder ein Schulz durch noch seine Anhänger. Gut, wenn man da als Union eine Kandidatin hat, die Stringenz nicht nur verspricht, sondern sie auch verkörpert wie keine andere.
Schulz könnte Merkels Exit-Strategie sein
Schulz könnte Merkels Türöffner raus aus der Bundespolitik werden. Es ist bekannt, dass Angela Merkel lange mit ihrer Entscheidung gezögert hat, noch einmal anzutreten. Wahlkampf ist alles andere als vergnügungsteuerpflichtig, die politische Lage ebenfalls. Aber wer aus der CDU sollte sonst ran? Das war die Frage.
Am Ende hat Merkel die Verantwortung gewählt, obwohl sie nicht einmal mehr die volle Unterstützung ihrer eigenen Partei hat. Martin Schulz ist ein Herausforderer, dem Merkel sich unter Wahrung ihres Gesichts geschlagen geben könnte. Und wer sagt denn, dass es nicht auch mit einem Kanzler Martin Schulz wieder eine Große Koalition gibt? Für Merkels Getreue wäre dann gesorgt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann