Kommentar von Stefan Reinecke über den flatterhaften Friedrich Merz: Die Union kokettiert mit Trumpismus light.Regieren kann sie so nicht
Friedrich Merz und Markus Söder demonstrieren gern markige Entschiedenheit und treten als kernige Macher auf. Sie trampeln gern auf Gegnern herum, wie früher Franz Josef Strauß. Sie inszenieren sich als gesinnungsstarke Gegenbilder zu der technokratischen, kleinteiligen Sachpolitik à la Angela Merkel und Olaf Scholz. Sind sie Politikertypen, die in den Zeitgeist passen? Ist Merz’ schneidiger Ton eine Antwort der demokratischen rechten Mitte auf Zeiten der Disruption und die Entfesselung rechtsextremer politischer Leidenschaften?
Eher nein. Merz’ zackige Entscheidungsfreude ist mit verblüffender Ahnungslosigkeit im politischen Tagesgeschäft verknotet. Nach der Wahl hat er eine Idee der „grünen Spinner“, den 500 Milliarden-Fonds, kopiert. Und er hat die Grünen, die für die Grundgesetzänderung gebraucht werden, im Bundestag abgekanzelt wie ein verwöhntes Kind, das mehr Taschengeld verlangt: Was wollt ihr eigentlich noch mehr?
Macht in Demokratien bedeutet, Kompromisse schmieden zu können. Dieses Kerngeschäft muss jeder Bürgermeister beherrschen. Für Merz scheint es ein Buch mit sieben Siegeln zu bleiben. Ist er eigentlich Politiker? Oder wird demnächst ein Politikerdarsteller Kanzler?
Die Union konnte immer Macht organisieren. Volltönend angekündigte geistig-moralische Wenden wanderten immer rechtzeitig in die Schublade. Doch derzeit scheint der Union dieser Machtinstinkt abhandenzukommen. Das ist ein Alarmsignal für die Demokratie. Gerade mit Blick auf die Trümmerhaufen konservativer Parteien in Europa.
Merz hatte geschworen, mit der AfD nie gemeinsame Sache zu machen, dann genau das getan. Vielleicht sollte man diese Flatterhaftigkeit nicht als persönlichen Defekt begreifen, sondern als Symptom einer fundamentalen Verunsicherung der Union. Der Westen, politischer Leitstern der Union, zerfällt. Der Boden, auf dem die Merz-Söder-Union steht, vibriert. Sie kokettiert mit einem Trumpismus light, einem autoritären Top-down-Stil, dessen Schlachtruf „Machen, Machen, Machen“ (Carsten Linnemann) lautet. Damit wird sie in den föderalen, bundesrepublikanischen Abhängigkeitsgeflechten scheitern.
Es ist nicht ohne Ironie, dass nun die verhöhnten „grünen Spinner“ die Union in der Hand haben. Die Grünen treiben zu Recht den Preis hoch. Es ist richtig, mehr Klimainvestitionen zu fordern. Es ist richtig, darauf zu pochen, dass mit den 500 Milliarden keine Haushaltslöcher gestopft werden. Es ist richtig, sich nicht von der Union erpressen zu lassen. Und: Auch mit einem Ja der Grünen ist die Mehrheit für die Grundgesetzänderung angesichts des Rumorens in der Union keineswegs sicher.
Ja, Deutschland muss endlich die Fesseln der Schuldenbremse sprengen. Jetzt gibt es die Chance dazu. Es ist schwer kalkulierbar, ob und wann sich dieses Fenster wieder öffnet. Misslingt dieses Manöver, scheitert vielleicht auch die schwarz-rote Regierung. Politische Lähmung in wüsten Zeiten: das ist ein finsteres Szenario. Verantwortlich dafür wäre Merz. Niemand sonst.
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