Kommentar von Benno Schirrmeister über beamtliche Volksverhetzung: Ein autoritärer Ausweg
Sollte es ein Sonderstrafrecht für Beamt*innen geben? Oder brauchen wir zumindest Paragrafen, die ihr Verhalten jenseits der disziplinarischen Kontrolle strenger sanktioniert als das von Normalbürger*innen? Das ist keine ganz banale Frage, die Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) da aufwirft, wenn sie Hassparolen auch in geschlossenen Chatgruppen juristisch neu als Volksverhetzung definieren will.
Denn ja, selbstverständlich gibt es Delikte wie Rechtsbeugung oder Verletzung des Dienstgeheimnisses, die nur von Staatsdiener*innen begangen werden können. Nur wer ein Amt hat, ist in der Lage, eine Körperverletzung im Amt zu begehen. Vorschriften wie die spöttisch als Beamtenschubsgesetz bezeichneten Widerstandsverbote wiederum stellen Angriffe auf die Vertreter*innen der Exekutive unter teils drakonische Strafen, weil sich der Staat darin selbst angegriffen sieht.
Aber diese speziellen Regeln sind auf die Ausübung des jeweiligen Amts bezogen – nicht auf das, was als Privatsphäre gedeutet wird. Auch Beamt*innen steht die zu, so unverletzt wie nur möglich. Bei Staatsdiener*innen hat diese Sphäre aber durchlässigere Grenzen als bei anderen Menschen: „Ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes“, so regelt es das Beamtenstatus-Gesetz, „muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordert“. Wie gesagt: innerhalb und außerhalb. Auch das Bundesbeamtengesetz verlangt, dass sie „sich durch ihr gesamtes Verhalten“ zu Demokratie und Grundgesetz bekennen. Sie befinden sich nämlich immer in einer besonderen Stellung zur Allgemeinheit. Insofern ist, egal, wo sie sich äußern, die Allgemeinheit bereits involviert – eine abstrakte Öffentlichkeit.
Sütterlin-Waacks Vorstoß würde insofern nur einen bestehenden Deutungsspielraum verengen, zuungunsten der Beamt*innen. Das ist nicht ohne Finesse ausgetüftelt – auch wenn es, in klassischem CDU-Denken, auf Entmündigung und Abschreckung setzt statt auf Aufklärung, Vernunft und Reformen. Die wären besser. Die autoritäre Lösung ist aber die einzige, die übrig bleibt, solange man sich weigert, an strukturelle Probleme zu glauben. Wie die Mehrheit der Innenministerkonferenz.
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