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Kommentar Wahlerfolg in BaWüGrünes Get-together

Kommentar von Richard Rother

Am besten schnitten die Grünen in Baden-Württemberg ab. Wohl auch wegen ihres Scharfmachers Palmer. Arroganz der Progressiven hilft da nicht.

Grüne in Berlin hätten gerne, dass Boris Palmer „die Fresse hält“. Stimmen holte er trotzdem Foto: dpa

D ie Bundestagswahl zeigt Ergebnisse, die auch in den Nuancen interessant und aufschlussreich sind, etwa bei den Grünen. Niemand muss die Positionen der Grünen-Realos aus Baden-Württemberg toll finden – insbesondere in der Industrie-, in der Steuer- und in der Flüchtlingspolitik.

Aber wer Zahlen lesen kann, sieht auf den ersten Blick: In Baden-Württemberg waren die Grünen viel erfolgreicher als anderswo: Im Ländle haben sie mit 13,5 Prozent nicht nur 2,4-Prozentpunkte hinzu gewonnen, sondern den zweitgrößten Zweitstimmenanteil eines grünen Landesverbandes geholt – als Flächenland nur knapp hinter Hamburg (13,9 Prozent) und noch vor Berlin (12,4 Prozent) und weit vor NRW (7,6 Prozent). Rund 807.000 Wähler und Wählerinnen machten in Baden-Württemberg ihr Kreuz bei den Grünen – und stärkten so die Machtbasis der Südwest-Realos im Bundestag.

Dieses Ergebnis lässt sich in zwei Richtungen deuten. Die eine wäre: Wegen ihres Jamaika nicht ausschließenden Kurses haben die Grünen Anhänger verprellt, die sich als links verstehen und daher in ihren städtischen Hochburgen zu wenig herausgeholt. Die andere wäre: Wegen ihres Anspruch als Fast-Volkspartei im Südwesten, die Sorgen der Menschen in Stadt und Land auf humane und seriöse Art ernstzunehmen, haben sie genau dort zugelegt. Wahrscheinlich ist an beiden Lesarten etwas dran.

Die zeigt auch ein Blick etwas tiefer in besondere Orte dieser Wahl, nach Berlin-Kreuzberg und nach Tübingen. Im Wahlbezirk Kreuzberg-Friedrichshain hat die erklärte Jamaika-Gegnerin Canan Bayram das einzig grüne Direktmandat geholt, allerdings nur mit knappem Vorsprung vor dem Linken-Kandidaten Pascal Meiser (während Bayrams Vorgänger, Hans-Christian Ströbele, den Stadtteil mit dem Rebellen-Image mit großem Abstand gewonnen hatte). An Zweitstimmen holte die Partei 20,4 Prozent, etwas weniger als 2013.

Palmers harte Thesen haben in Tübingen nicht geschadet

Und wie sah es in Tübingen aus, wo Boris Palmer Oberbürgermeister ist? Das ist jener Grüne, von dem sich viele im linksgrünen Milieu wünschen, er möge „einfach mal die Fresse halten“, wie es Bayram ausdrückte. Kritisiert wird unter anderem, dass er beim Thema Flüchtlinge ein moralisches Dilemma benennt und offensiv die These vertritt: „Wir können nicht allen helfen.“ Nun, in der Stadt Tübingen wurden die Grünen jetzt mit 25,8 Prozent stärkste Kraft vor der CDU; und im Landkreis Tübingen holten die Grünen 18,0 Prozent der Zweitstimmen, ein Plus von 3,2 Prozentpunkten.

Ganz offensichtlich haben Palmers umstrittene Thesen den Grünen vor Ort nicht geschadet, im Gegenteil. Vielleicht haben die Wählerinnen und Wähler auch den Umstand goutiert, dass das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg vor einem Jahr mehr als 1.000 jesidische Frauen und Kinder aus dem Nordirak nach Deutschland geholt hat – und sie so aus dem weiteren Einflussbereich der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ heraus brachte.

Für die Grünen (und darüber hinaus) lässt sich aus den Wahlergebnissen insgesamt vielleicht diese Lehre ziehen: Sie sollten die politischen und habituellen Differenzen zwischen angeblich progressiver City und angeblich rückständiger Provinz nicht verschärfen, sondern ausgleichen. Es kann nur gemeinsam gehen – auch und gerade im Kampf gegen Rechts.

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Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Geboren 1969 in Ost-Berlin. Studium an der FU Berlin. Bei der taz seit 1999, zunächst im Berliner Lokalteil. Schwerpunkte sind Verkehrs- und Unternehmenspolitik.
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11 Kommentare

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  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Kampf gegen Rechts geht mit Boris nicht, er ist Teil des Problems.

  • Am besten werden Leute die gegen steigende Mieten kämpfen und Erwerbslose und Flüchtlinge beraten und demonstrieren als

    Arroganz der Progressiven diffamiert.

    Wer war noch gleich Porschefan?

  • Boris muss jetzt endlich nach Berlin.

    Wenn Jamaika funktionieren kann dann nur mit ihm.

    Wer da keinen Bock drauf hat soll zur Linken wechseln und dort rumjammern.

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @ackatonne:

      Das stimmt. Nur mit Boris, Doofbrindt und Bambi-Lindner kann Jamaika funtionieren.

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Ob Palmer bei einer Kandidatur im Wahlbezirk Kreuzberg-Friedrichshain mit seinen Sarrazin-Thesen erfolgreich gewesen wäre, darf doch stark bezweifelt werden.

  • Wer praktische Erfolge vorzeigen kann, dem würde ich sofort theoretische Schwächen (zu scharf oder zu wischi-waschi) verzeihen. Da steht Berlin z.B. in der Verkehrs- u. Stadtgestaltung, bei Bildung und Wohnen vor riesigen Herausforderungen, größer als BaWü bei u.a. der Hardware für Diesel.

    • @Ataraxia:

      Vor allem lässt sich das Diesel-Problem relativ leicht lösen.

       

      Aber Wohnungsnot beseitigen, ohne neue Wohnungen bauen zu wollen - jedenfalls "nicht in meinem Kiez" - (weil die sich ja nur Reiche leisten können) - das soll man erst mal schaffen.

  • Dass wir "nicht allen helfen können" weiß auch Canan Bayram. Palmer traut sich eben vermeintliche Tabus auszusprechen, wenn das dabei hilft die Realität klar zu sehen.

     

    Das bedeutet noch lange nicht, dass Palmer den Flüchtlingen nicht helfen will.

     

    Ein "Scharfmacher" ist für mich etwas anderes...

  • 6G
    64938 (Profil gelöscht)

    ... Ganz offensichtlich haben Palmers umstrittene Thesen den Grünen vor Ort nicht geschadet...

    Schön und gut, aber was hat Hr Palmers Politikverständnis noch mit den Geist zu tun, mit dem die Grünen einmal die Republik neu gestalten wollten?

    Das sagt doch mehr etwas über die Wähler aus, als das es eine tolle Alternative zur AfD beschreiben würde.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Palmer hat weit mehr gemacht als nur ein vermeintliches Dilemma benannt.

     

    Wer ist denn dieses "wir", dasss nicht "allen" helfen kann bzw. will?! Wir Deutschen, wir Europäer, wir Kapitalisten, wir Grüne, wir Linke, wir Menschen?

     

    Wer sind "alle" in diesem Ausspruch? Alle Armen der Welt? Alle Flüchtlinge der Welt? Alle Flüchtllinge, die in die EU wollen? Alle, die in Deutschland ankommen? Alle vom deutschen Nationalkapitalismus ausgebeuteten Menschen (alles eine Standortfrage)?

     

    Was heißt denn "helfen"? Einbürgern, subsidären Schutz gewären, eine Ausbildung geben, mit Krediten weiterhelfen und Gründungskonzept im Herkunftsstaat, die Bedingungen dort verbessern, die deutsche und europäische Ausbeutung dieser Gebiete zu beenden und die Kriege "gegen" die Drogen und den Terror?

     

    Diese Grüne kann noch nicht mal den Hartz-IV-Empfänger*innen helfen. Wäre auch sehr peinlich, weil man selbst das ja zu verantworten hat. Sich selbst kann sie auch nicht mehr helfen. In der Jamaika-Koalition ist sie schon richtig gut aufgehoben.

     

    Palmer ist ein Stimmungsmacher, der die politische Lage noch anheizt und sie ausnutzt, nicht für das Wohl der Menschen, sondern für ihn und die Partei.

    Grün ist er auch nicht, will Parks und Quellen für Gewerbegebiete platt machen.

     

    Hat nicht noch vorgestern in der taz jemand tatasächlich behauptet, die Grünen stünden für Nullwachstum? In BaWü mag das ja ziehen.

  • Das Problem wird den Grünen noch mal auf die Füße fallen. Eigentlich sind das 2 Parteien, Bayram und Palmer sind sich so nah wie Seehofer und Stegner.

     

    Und das kann gut gehen, wie bei dieser Wahl, wo trotz des anderen Lagers viele noch grün gewählt haben.

    es kann aber auch schief gehen, wo beide Lager das jeweils andere von der Stimmabgabe abhalten.

     

    Ähnliche Probleme hat die SPD.

     

    Sinnvoll wäre, wenn sich der linke Flügel beider Parteien abspalten und der Linkspartei beitreten würde, dann wüsste man, was man nach der Wahl bekommt. Von der SPD eher Seeheimer Kreis, Scholz, Gabriel., von den Grünen Palmer und Kretzschmann. Und von der Linken Heiko Maas, Stegner, Bayram und im Prinzip fast den kompletten Berliner Landesverband.