Kommentar Vorwurf Israels an Iran: Unnötige Netanjahu-Show
Iran will die Atombombe? Für diese Erkenntnis braucht es keinen Netanjahu. Viel akuter ist die Konfrontation Teherans an Israels Grenze.
W enn Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zum Thema Iran auftritt, dann kommt es einem stets wie ein Déjà-vu vor: Hat er nicht bereits vor 20 Jahren davor gewarnt, dass die islamische Republik kurz vor der Fertigstellung einer Atomwaffe stünde und es praktisch nur noch eine Frage von Monaten sei? Und vor fünfzehn Jahren und auch vor zehn und sechs? Ja, hat er. Auf Netanjahus Uhr ist es immer fünf vor zwölf.
Tatsächlich liegt der rechtsgerichtete Regierungschef zweifellos richtig mit der Annahme, dass Irans Ambitionen über ein ziviles Nuklearprogramm hinausgehen. Natürlich hätte die islamische Republik gerne eine Atombombe und wäre damit unangreifbar. Genau das ist ja der Grund, warum die internationale Gemeinschaft so viele Jahre hartnäckig ein Atomabkommen verhandelt hat. Es hätte dazu keine Netanjahu-Show mit metergroßen Lettern und der theatralischen Enthüllung von Aktenordnern bedurft.
Der israelische Regierungschef offenbart lediglich das Offensichtliche. Für das Atomabkommen aber ist nur eines entscheidend: Hat Teheran seit 2016 gegen das Abkommen verstoßen? Dafür sieht nicht nur die zuständige Internationale Atomenergiebehörde keinerlei Hinweise. Auch bei Netanjahu fehlten Belege. Das präsentierte Material des Mossad mag neu sein – es bezieht sich aber auf die Zeit vor dem Atomdeal.
Die aktuellere Gefahr für den jüdischen Staat sind deshalb die iranischen Großmachtambitionen. Mit der Hisbollah im Libanon und der Hamas im Gazastreifen hat Israel ohnehin bereits direkt an der Grenze mit Verbündeten des Iran zu tun. Baut Teheran nun auch noch Raketenstützpunkte in Syrien, entsteht ein ganz neues Bedrohungsszenario. Die Bombardierung solcher Militärbasen vor wenigen Tagen – mutmaßlich durch Israel – sind ein Vorbote dessen.
Erstmals könnte es zu einer direkten militärischen Konfrontation zwischen Israel und Iran kommen. Die Kriegsgefahr steigt – aber zunächst einmal nicht durch eine Atombombe, sondern durch konventionelle Waffen.
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