Kommentar Völkerrecht in Syrien: It’s real politics, stupid
Die syrische Armee verstößt mit Angriffen gegen das humanitäre Völkerrecht. Doch ein Verfahren gegen sie wird es wohl nicht geben.
D ie gezielten Angriffe auf Krankenhäuser im Syrienkrieg sowie das Aushungern der Bevölkerung belagerter Städte sind Kriegsverbrechen und schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die vom Internationalen Strafgerichtshof verfolgt und bestraft werden sollten. Daran hat der stellvertretende UNO-Generalsekretär Feltman in seiner Rede vor dem Sicherheitsrat mit aller Deutlichkeit erinnert.
Richtig ist auch die Gewichtung, die Feltman vorgenommen hat: Der Hauptanteil dieser Verbrechen wurde und wird von syrischen Regierungsstreitkräften verübt, in deutlich geringerem Ausmaß auch von diversen Rebellenmilizen sowie vom „Islamischen Staat“ und von dem Al-Qaida-Ableger Al-Nusra-Front.
Diese Gewichtung ist bestens belegt. Nicht nur durch die umfangreichen Zeugenaussagen, die die Syrien-Untersuchungskommission des UNO-Menschenrechtsrates seit 2012 gesammelt hat, sondern auch durch die vielen Tausend Dokumente der syrischen Regierung, die eine private Ermittlergruppe in den letzten drei Jahren mithilfe von Insidern aus dem inneren Machtzirkel um Präsident Assad sichergestellt hat.
Darunter befinden sich Hunderte von Assad persönlich unterzeichnete Anweisungen und Befehle nicht nur zur Kriegführung seiner Streitkräfte, sondern auch für das Vorgehen der staatlichen Sicherheitsorgane und der Polizei gegen (vermeintliche) Oppositionelle durch willkürliche Inhaftierung und Verschwindenlassen, Folter, Ermordung und andere schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen. In sehr viel geringerem Umfang sind auch Verbrechen diverser Rebellengruppen an Gefangenen und Dissidenten dokumentiert.
Die Beweislage ist so umfangreich, dass der Sicherheitsrat den Strafgerichtshof schon morgen mit der Eröffnung der ersten Verfahren beauftragen könnte. Doch das werden die fünf Vetomächte aus „realpolitischen Gründen“ jetzt und wahrscheinlich auch in Zukunft nicht zulassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja