Kommentar Trinken auf der Straße: Gassi gehen

Gastronomen auf St. Pauli fordern von der Hamburger Politik, sie möge den Kiosken Einhalt gebieten. Sie tun nur so, als ob sie den Kiez retten wollten.

Leute auf einem Gehsteig

Cornern auf St. Pauli: An warmen Tagen sitzen Trinkwillige auf der Kreuzung vor der Tabak-Börse herum Foto: Hannes von der Fecht

HAMBURG taz | Der Staat soll’s mal wieder richten. Gastronomen auf St. Pauli fordern von der Hamburger Politik, sie möge dem Kiosk-Unwesen Einhalt gebieten. Die, so die Erzählung der richtigen Gastronomen, machten ihnen das Geschäft kaputt, indem sie billigen Alkohol verkauften. Und die Käufer ließen das, was nach Stoffwechsel davon übrig bleibt, dann auch noch in ihren Kneipen die Rinne runterlaufen. Unerhört!

Ist doch klar, was man dagegen machen kann: Kiosken einfach den Alkoholverkauf verbieten oder ihn wenigstens so verteuern, dass er nicht mehr lukrativ erscheint. In der Weltwirtschaft würde man so was Protektionismus nennen. Doch die Kiezwirte geben vor, für die gute Sache zu kämpfen. Hier geht es selbstverständlich nicht nur um den schnöden Umsatz, sondern um St. Pauli, wie „wir“ es kennen und lieben, also nachgerade um ein Kulturgut, dessen Rang anzuzweifeln in Hamburg in die Nähe der Gotteslästerung kommt.

Dass dieses St. Pauli, das die Wirte zu verteidigen vorgeben, eine klitzekleine Momentaufnahme ist, unterschlagen sie gern: Es ist das St. Pauli, das in den vergangenen 30 Jahren durchkapitalisiert wurde wie kein anderer Hamburger Stadtteil, in dem die meisten alten Pinten längst aufgegeben haben. Und zwar häufig unter dem Druck von Mieten, die ihnen unter anderem jene selbst ernannten „Szene“-Gastronomen eingebrockt haben, die jetzt am lautesten schreien.

Sie würden das Rad der Geschichte nun gern an dem Punkt anhalten, der für sie persönlich am profitabelsten war. Eine Mischung aus Freilichtmuseum und Freizeitpark, in der einst legendäre Spelunken mittlerweile nur noch als Kitschzitat ihrer selbst weiter existieren und die Kulisse bilden für die ganze restliche Event-Gastronomie. Und dann kommen diese Kioske und verramschen einfach den Alkohol. Doof.

Das Flair nervt irgendwann doch

Die Wirte haben Verbündete. Anwohner klagen über die vielen Menschen, die jedes Wochenende auf der Straße rumlungern, Alkohol trinken und laut sind. Nicht wenige dieser Anwohner sind der Empfehlung der Zeitschrift Capital gefolgt, die Ende der Achtzigerjahre St. Pauli als renditeträchtigsten Stadtteil in ganz Deutschland ausgemacht hatte, und haben Eigentumswohnungen gekauft. Und sie alle sind bewusst in ein „Amüsierviertel“ gezogen, wegen des Flairs, des Lebens auf den Straßen. Aber nach ein paar Jahren finden Viele, nun sei Schluss mit lustig.

Die „Szene“-Gastronomen würden das Rad der Geschichte gern an dem Punkt anhalten, der für sie am profitabelsten war

Anwohner in St. Georg, dem anderen Hamburger Amüsierviertel, wo sich vor allem schwule Männer und die Kunden von ­Elendsprostitution gern amüsieren, sind schon einen Schritt weiter: Die Stadt prüft gerade die rechtlichen Möglichkeiten, den Alkoholverkauf dort rund um den Hansaplatz temporär zu verbieten. Natürlich nur für Kioske, nicht für Kneipen. Denn dort stört bislang noch kein fröhliches Partyvolk, sondern Alkoholkranke. Sie können sich ganz sicher kein Bier aus der Kneipe holen. Und wenn sie zu Hause weiter tränken, vor dem Supermarkt oder unter „ihrer“ Brücke – wäre dann nicht alles gut?

Am Ende haben die jungen Leute woanders Spaß

Wenn das Alkoholverkaufsverbot in St. Georg kommt, ist der Weg nach St. Pauli nicht mehr weit. Das würde dann zum Amüsierviertel für jene, die sich’s leisten können. Denn die alten Eckkneipen, wo das Astra Einsachtzig kostet, sind ja längst weg. Irgendwann gibt es da dann, zwischen den Bürokomplexen, nur noch Filialisten im Ballermann-Stil und ein paar Show-Schuppen, für die Busladungen aus der ganzen Republik. Und die jungen Leute haben ihren Spaß eben woanders. Das nennt man dann Stadtentwicklung.

Es ist aber auch nicht so, dass der Staat gar nichts tun könnte. Die Stadt Hamburg hat in den vergangenen Jahrzehnten überall Toilettenhäuschen stillgelegt, umgenutzt oder verkauft. An den Party-Hotspots könnte sie vielleicht das eine oder andere Pissoir wieder aufstellen. Damit wäre schon mal ein Konflikt mit der Anwohnerschaft entschärft. Und die Wirte müssten ihre Toiletten auch nicht mehr gegen ganz so viele Fremdpinkler verteidigen. Wenigstens das.

Den ganzen Schwerpunkt der taz nord über den Kampf um die Kioske in Hamburg lesen Sie in der taz am Wochenende im gut sortierten Zeitungshandel oder am eKiosk.

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Jan Kahlcke, war von 1999 bis 2003 erst Volontär und dann Redakteur bei der taz bremen, danach freier Journalist. 2006 kehrte er als Redaktionsleiter zur taz nord in Hamburg zurück

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