Kommentar Strompreis: Gezielte Volksverdummung
Ökostrom ist angeblich schuld an den hohen Strompreisen. Das stimmt nicht. Viele Politiker versuchen trotzdem, aus der falschen Darstellung Kapital zu schlagen.
J etzt geht die Aufregung wieder los: „Zu viel Sonne – Strompreis steigt stärker als erwartet“, titelt die Bild-Zeitung. Und auch die FAZ behauptet, „die wachsende Ökostromeinspeisung treibt die Energiekosten für Verbraucher und Wirtschaft weiter nach oben“.
Die Regierungsparteien versuchen aus dieser Aufregung politisches Kapital zu schlagen: FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle will neue Solaranlagen komplett stoppen; CDU-Umweltminister Peter Altmaier verweist in jeder Wahlkampfrede auf seinen an der Opposition gescheiterten Versuch, die steigenden Strompreise durch Einschnitte bei der Ökovergütung zu stoppen.
Allein: Mit der Realität hat das alles nichts zu tun. Schon bisher war der Ökostromausbau nur für einen Teil des Preisanstiegs beim Strom verantwortlich – derzeit ist er es überhaupt nicht: Die eingespeiste Menge an Ökostrom ist im ersten Halbjahr 2013 erstmals gesunken, weil der Ausbau zurückging und es zudem weniger Wind und Sonne gab als üblich.
Dass die Ökostromumlage trotzdem weiter steigen wird, liegt also nicht daran, dass es mehr Ökostrom gibt, sondern dass der normale Strom an der Börse, der als Vergleichsmaßstab dient, billiger geworden ist. Wenn der Markt funktionierte, würde die Stromrechnung für den Verbraucher am Ende nicht steigen, sondern sie müsste sinken.
Diskreditierung der Energiewende
Das ist zwar alles einigermaßen kompliziert, aber keineswegs unmöglich zu verstehen. Wenn Teile der Politik und der Medien dennoch wahrheitswidrig verbreiten, die erneuerbaren Energien seien schuld an steigenden Strompreisen der Verbraucher, verfolgen sie damit ein klares Ziel: Die Energiewende soll diskreditiert werden.
Die Nutznießer davon sind klar: Die großen Energiekonzerne, die ihr Geld vor allem mit Kohle- und Atomkraftwerken verdienen, würden finanziell davon profitieren, wenn der Umstieg auf Erneuerbare gebremst wird. Und für die Energiewende-Gegner in der Politik sind die vermeintlich gierigen Solardachbesitzer ein prägnanteres Feindbild als die oligopolartigen Strukturen des Strommarkts, die verhindern, dass die Preissenkungen an die Verbraucher weitergegeben werden.
Doch es gibt Hoffnung: Trotz der gezielten Volksverdummung bleibt die Zustimmung zur Energiewende bisher hoch. Offenbar sind die Menschen schlauer, als in manchen Redaktionen und Parteien angenommen wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen