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Kommentar Streit in der LinksparteiSchwungvoller Reformismus gesucht

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Linke verschleißt sich im internen Machtkampf. Dabei verpasst sie die Chance, von der Verschiebung der Parteienlandschaft zu profitieren.

Gelächelt wird viel, aber das muss nichts heißen: Gregor Gysi und Katja Kipping beim Parteitag Foto: dpa

F angen wir mit dem Positiven an. Der Streit in der Linkspartei dreht sich um Wesentliches. Soll die Partei Schutzmacht der Verlierer der Globalisierung in Deutschland sein? Oder unter der Fahne des Internationalismus segeln und die Liberalisierungen und Freiheitsgewinne verteidigen, von denen eher Minderheiten und Mittelschichten profitieren?

Bei den GenossInnen, die sich in Leipzig zum Parteitag versammelt haben, prallt linker Republikanismus, der die Nation samt Grenzen als Gefäß von Demokratie und Sozialstaat verteidigt, auf Refugee-welcome-Unversalismus. Wie bei Linken üblich, wird die Debatte mit schwerem Ideologiegeschütz ausgetragen. Aber sie spiegelt einen handfesten gesellschaftlichen Konflikt. Die Linkspartei hat sich jedenfalls schon über rückwärtsgewandtere und unwichtigere Fragen zerlegt.

Jetzt zum Negativen: In Leipzig zeigte sich auch die Unfähigkeit der GenossInnen, die Debatte produktiv zu führen. Die Linkspartei ist ein äußerst harmoniebedürftiger Verein. Streit mag man nicht, noch weniger als SPD oder Grüne. Die Parteiführung ist indes noch tiefer verfeindet als bei SPD oder Grünen. Und das betrifft nicht nur die prominenten Führungsfiguren Katja Kipping und Sahra Wagenknecht.

Die Spaltung in der Flüchtlingsfrage ist, wie Leipzig zeigte, durch keinen Formelkompromiss zu Flüchtlingen zu bewältigen. Richtig kompliziert ist der Zoff in den Führungsetagen, weil keineswegs nur gegensätzliche Überzeugungskerne aufeinander prallen. Viel geht es um persönliche Animositäten, die bloß mit Gesinnungsfassaden verkleidet sind. Dietmar Bartsch beklagte daher zu Recht die „ideologische Maskierung von Machtfragen.“

Das interne Machtgerangel ist nur die andere Seite der geschwundenen Aussicht auf reale Macht

Allerdings fragt sich: Welche Macht eigentlich? Von Rot-Rot-Grün im Bund redet niemand mehr. Die Oppositionsrolle mit dauerhafter Perspektive ist ein wahres Biotop für Ränkespiele und Selbstbespiegelungen. Das interne Machtgerangel ist nur die andere Seite der geschwundenen Aussicht auf reale Macht.

Das deutsche Parteiensystem ist in Bewegung geraten. Die SPD befindet sich auf abschüssiger Bahn und hat keine Ahnung, wo die Bremse ist. Mit dem Niedergang der SPD und der Etablierung der AfD verändert sich die Tektonik des Systems.

Zu wenig, zu langsam

Wäre Sahra Wagenknechts Sammlungsbewegung eine Antwort darauf? Laut einer Insa-Umfrage können sich 24 Prozent vorstellen, eine „Liste Wagenknecht“ zu wählen. Das mag kühne Hoffnungen wecken – zu Unrecht. Wahrscheinlich können sich auch 24 Prozent vorstellen, nächsten Jahr mehr ins Fitnessstudio zu gehen oder nach Australien zu reisen. Machen sie aber nicht. Talkshow-Popularität lässt sich, um Glück, nicht eins zu eins in Wählerstimmen ummünzen. Eine „Liste Wagenknecht“ wäre nur ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte linker Selbstzerstörung.

Doch auch die Linkspartei hat bislang keine Antwort auf die Ausfransung des Parteiensystems. Das Kunststück wäre ein gleichermaßen realistischerer und eigenständigerer Kurs. Als SPD-Kopie technokratisch zu verholzen, wie es die Partei im Osten teilweise tut, ist ein Holzweg. Aber sie muss dringend ideologische Trümmer wie Forderungen nach Auflösung der Nato oder sentimentale Putin-Verehrung beiseite räumen. In Leipzig haben die GenossInnen einen allzu Russland-affinen Antrag abgelehnt – ein Hoffnungszeichen.

Aber das ist zu wenig, zu langsam. Die Partei ist zwar facettenreicher als früher, westlicher und großstädtischer. Doch wenn sie den Niedergang der SPD kompensieren will, muss sie entschlossen den ewigen Klageton über die Grässlichkeit der Welt und notorische linke Besserwisserei abstellen – und schwungvollen, optimistischen Reformismus verkörpern.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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13 Kommentare

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  • "Die Linkspartei ist ein äußerst harmoniebedürftiger Verein. Streit mag man nicht, noch weniger als SPD oder Grüne. Die Parteiführung ist indes noch tiefer verfeindet als bei SPD oder Grünen"

     

    Das ist ein Dilemma. Mich stößt mehr und mehr die Phantasielosigkeit und die Regelorientiertheit der Partei ab, nun auch bei der ehemaligen Hoffnungsgestalt Wagenknecht, die ein Sicherheitsdeutschland anstrebt, in dem sich selbstgerechte Vaterlandsfreunde vor Veränderung sicher und ihres überlegenen Werts bewusst fühlen können, auch wenn sie nichts leisten. Ein bisschen mehr Sozialismus von oben oder Afd mit menschlichem Antlitz ist aber nicht der Grund, warum ich die Linke gewählt habe. Wenn es nur um eine Regelung des Fluchtlingszustroms ginge, ich wäre sofort dabei. Aber Wagenknecht vollzieht mehr und mehr eine konservative Wende. Das ist das Problem mit den verlorenen Schafen, den Abtrünnigen, die jetzt Afd wählen. Sie kann ihnen nachlaufen. Aber die Herde zu Hause wartet nicht auf ihre Rückkehr. Man hat schließlich noch anderes zu tun. Wenn sie ihre Adler eingefangen hat, sind wir weg.

     

    Schade ist es schon, denn die Linke war die letzte Partei, die ich noch wählen konnte. Eine Sammlungsbewegung unter Wagenknecht werde ich bekämpfen. Eine Sammlungsbewegung links, ohne Führung dagegen mache ich gerne mit.

  • Verbissene Grabenkämpfer

     

    Sie können sich einfach nicht einigen!

    Solidarität Fehlanzeige.

    Und Realismus ist für Kipping und Co. offenbar nur ein Fremdwort.

    So kann man nichts gewinnen! So macht man sich nur gegenseitig kaputt - unreif, spätpubertär.

    ...

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Die verpassten Chancen ...

     

    In der letzten Legislaturperiode hatte RRG eine parlamentarische Mehrheit. Jederzeit hätten die drei mehr oder weniger linken Parteien Merkel in einem konstruktiven Misstrauensvotum stürzen und zB. Gabriel oder Steinmeier zum Bundeskanzler wählen können.

     

    ME. wäre ein möglicher Zeitpunkt zB. die Beihilfe Merkels zur Verfolgung des Satirikers Jan Böhmermann durch einen ausländischen Despoten, gegen die Stimmen der Minister Maas und Steinmeier, gewesen.

    https://www.zeit.de/politik/2016-04/erdo-an-satire-merkel-erlaubt-strafverfolgung-von-jan-boehmermann

     

    Selbst Konservative hätten wenig hiergegen vorbringen können. Knapp ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl hätte RRG auch gute Chancen gehabt sich den Wählern für eine andere Politik zu empfehlen. In jedem Fall wäre Merkel, in jeder Hinsicht Kohls Mädchen, weg vom Fenster gewesen.

    Die CSU kalt gestellt, die AfD ihres Lieblingsslogans beraubt ("Merkel muss weg"), der Sparschäuble aufs Altenteil geschoben (Verzeihung !).

     

    Hätte, hätte Fahrradkette.

     

    Nur warum es heute einer linken Sammlungsbewegung bedarf (außer natürlich zur Befriedigung der Eitelkeit von Lafo und Sahra) ist völlig unerfindlich. Weitere Zersplitterung ist Quatsch, gewonnen ist nichts, vor allem auch weil die unversöhnlichen Maximnalforderungen von Lafo und Sahra ja bestehen blieben.

     

    Eigentlich ist es die Egomanie eines Einzelnen, die alles zerstört und alles verhindert. Zur Freude der Konservativen, der Neoliberalen der Nazis.

     

    Darum: Herzlichen Dank für GAR NICHTS, Oskar Lafontaine !

  • Die Debatte zeigt wie ideologisch verbohrt viel Linke sind. Eine Wagenknecht sieht das Gesamtbild und die Realität und macht die Linken wählbar. Der Rest der Linken z.B Frau Kipping ist unsachlich und in ihrer Ideologie gefangen.

    • @Klartexter:

      Nö, sorry! Lebhafte Debatten sind noch lange kein Indiz für ideologische Verbohrtheit - im Gegenteil.

       

      Der Leitantrag zur Flüchtlingspolitik, den die Partei- und Fraktionsspitze einmütig formuliert hatte, ist mit großer Mehrheit von den Delegierten angenommen worden. Da gab und gibt es im Detail unterschiedliche Schwerpunkte, aber keine zwei Lager.

       

      Natürlich kann die Debatte damit nicht abgeschlossen sein und sind vor allem die Migrationsprobleme damit noch lange nicht gelöst. Derartiges „funktioniert“ gewöhnlich ohnehin nur bei Großkoalitionären.

  • Es wird so lange keine Ruhe in dieser Partei geben, wie auch anderen, aber hier ganz besonders, bis zum Thema Migranten eine eindeutige Position gefunden wird. Entweder eindeutig pro komplett offenen Grenzen (dann liegen die dauerhaften Wahlprozente bei 4%), oder für mehr oder weniger geschlossene (dann bleibt man zumindest bei 10%).

    Fährt man weiter so einen Schlingerkurs, dann geht es Richtung 3%, versprochen.

  • Habe gerade eben auf Phoenix den Parteitag der Linken verfolgt und frage mich nun, wie Stefan Reinecke es immer noch fertigbringt zum x-ten Male einen derartigen Blödsinn wie: „In Leipzig zeigte sich auch die Unfähigkeit der GenossInnen, die Debatte produktiv zu führen. Die Linkspartei ist ein äußerst harmoniebedürftiger Verein. Streit mag man nicht, noch weniger als SPD oder Grüne.“ rauszuhauen. Bei Stefan Reinecke schreiben offensichtlich mittlerweile die Textbausteine die Kommentare schon ganz alleine. Geht ja auch schneller.

  • "Schwungvoller Reformismus"

     

    //http://www.handelsblatt.com/images/annalena-baerbock-robert-habeck/20900724/5-formatOriginal.jpg

     

    absolut nichts dahinter...

  • Der Kommentar bescheibt die Lage ganz richtig.

     

    "..muss sie entschlossen den ewigen Klageton über die Grässlichkeit der Welt und notorische linke Besserwisserei abstellen – und schwungvollen, optimistischen Reformismus verkörpern."

     

    Genau.

  • 8G
    87233 (Profil gelöscht)

    über die verschiene Aspekten der Streit oder wer wofür steht weiss ich nicht und weiss auch nicht wie ich das erkennen soll.

     

    Aber, ich halte mich mit meine Stimme für die Linke bis klar ist welche Kurs diese Partei folgen wird.

     

    Aktuell, mit Lafonaine und Anhängsel ist es für mich undenkbar. Der hat nur sich selber im Fokus - nicht das was für Deutschland und Europa wichtig ist.

  • An der fatalen Formel, Gleichstellung von Problem und Lösung gleich SPD, ist bereits SPD gescheitert. Das ist längst zum dauerhaften Anwesenheitsproblem sprich SPD geworden. Die perspektivlose Linke reiht sich ein im Ringen um Bedeutungsverlust. Immerhin reicht es zum anschaulichen Vorstandsgerangel, Frauen bei gleicher Eignung bevorzugt. 10% hoffnungslose Wähler in den Händen bodenloser linker Betriebsspekulanten. Ist gut, solange die Suppe schmeckt. Weitere Aussichten, eher trübe.

  • "Die Partei ist zwar facettenreicher als früher, westlicher und großstädtischer. "

     

    Es ist empfehlenswert, sich zu vergegenwärtigen, dass nur 10% der Bevölkerung Deutschlands in den vier Millionenstädten wohnen und nur 20% in allen weiteren Großstädten zusammen.

     

    70% der Bevölkerung Deutschlands wohnen auf dem Land, in Klein- oder Mittelstädten.

     

    Die Idee, es sei gut, wenn eine Partei "großstädtischer" geworden sei, spiegelt nicht die Realität wieder, sondern eine Filterblase.

     

    Die weitaus meisten überregionalen Journalisten sind in diesem Sinn "großstädtisch" und haben den subjektiven Eindruck, das sei normal. Irrtum.

    • @Huck :

      Aus Sicht einiger Linker ist die Großstadt wohl besser, weil das Land nach Tradition und Heimat riecht.

      Ich sehne mich nach einer linken, weltoffenen Partei, bei der man trotzdem das Stück Land mögen darf, mit dem man sich verbunden fühlt. Ich finde meine Heimat sogar so schön, dass ich möchte, dass viele andere hier auch ihre Heimat finden. Aber sobald man Heimat sagt, ist man ja schon rechts.