Kommentar Streit in der Linkspartei: Schwungvoller Reformismus gesucht
Die Linke verschleißt sich im internen Machtkampf. Dabei verpasst sie die Chance, von der Verschiebung der Parteienlandschaft zu profitieren.
F angen wir mit dem Positiven an. Der Streit in der Linkspartei dreht sich um Wesentliches. Soll die Partei Schutzmacht der Verlierer der Globalisierung in Deutschland sein? Oder unter der Fahne des Internationalismus segeln und die Liberalisierungen und Freiheitsgewinne verteidigen, von denen eher Minderheiten und Mittelschichten profitieren?
Bei den GenossInnen, die sich in Leipzig zum Parteitag versammelt haben, prallt linker Republikanismus, der die Nation samt Grenzen als Gefäß von Demokratie und Sozialstaat verteidigt, auf Refugee-welcome-Unversalismus. Wie bei Linken üblich, wird die Debatte mit schwerem Ideologiegeschütz ausgetragen. Aber sie spiegelt einen handfesten gesellschaftlichen Konflikt. Die Linkspartei hat sich jedenfalls schon über rückwärtsgewandtere und unwichtigere Fragen zerlegt.
Jetzt zum Negativen: In Leipzig zeigte sich auch die Unfähigkeit der GenossInnen, die Debatte produktiv zu führen. Die Linkspartei ist ein äußerst harmoniebedürftiger Verein. Streit mag man nicht, noch weniger als SPD oder Grüne. Die Parteiführung ist indes noch tiefer verfeindet als bei SPD oder Grünen. Und das betrifft nicht nur die prominenten Führungsfiguren Katja Kipping und Sahra Wagenknecht.
Die Spaltung in der Flüchtlingsfrage ist, wie Leipzig zeigte, durch keinen Formelkompromiss zu Flüchtlingen zu bewältigen. Richtig kompliziert ist der Zoff in den Führungsetagen, weil keineswegs nur gegensätzliche Überzeugungskerne aufeinander prallen. Viel geht es um persönliche Animositäten, die bloß mit Gesinnungsfassaden verkleidet sind. Dietmar Bartsch beklagte daher zu Recht die „ideologische Maskierung von Machtfragen.“
Allerdings fragt sich: Welche Macht eigentlich? Von Rot-Rot-Grün im Bund redet niemand mehr. Die Oppositionsrolle mit dauerhafter Perspektive ist ein wahres Biotop für Ränkespiele und Selbstbespiegelungen. Das interne Machtgerangel ist nur die andere Seite der geschwundenen Aussicht auf reale Macht.
Das deutsche Parteiensystem ist in Bewegung geraten. Die SPD befindet sich auf abschüssiger Bahn und hat keine Ahnung, wo die Bremse ist. Mit dem Niedergang der SPD und der Etablierung der AfD verändert sich die Tektonik des Systems.
Zu wenig, zu langsam
Wäre Sahra Wagenknechts Sammlungsbewegung eine Antwort darauf? Laut einer Insa-Umfrage können sich 24 Prozent vorstellen, eine „Liste Wagenknecht“ zu wählen. Das mag kühne Hoffnungen wecken – zu Unrecht. Wahrscheinlich können sich auch 24 Prozent vorstellen, nächsten Jahr mehr ins Fitnessstudio zu gehen oder nach Australien zu reisen. Machen sie aber nicht. Talkshow-Popularität lässt sich, um Glück, nicht eins zu eins in Wählerstimmen ummünzen. Eine „Liste Wagenknecht“ wäre nur ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte linker Selbstzerstörung.
Doch auch die Linkspartei hat bislang keine Antwort auf die Ausfransung des Parteiensystems. Das Kunststück wäre ein gleichermaßen realistischerer und eigenständigerer Kurs. Als SPD-Kopie technokratisch zu verholzen, wie es die Partei im Osten teilweise tut, ist ein Holzweg. Aber sie muss dringend ideologische Trümmer wie Forderungen nach Auflösung der Nato oder sentimentale Putin-Verehrung beiseite räumen. In Leipzig haben die GenossInnen einen allzu Russland-affinen Antrag abgelehnt – ein Hoffnungszeichen.
Aber das ist zu wenig, zu langsam. Die Partei ist zwar facettenreicher als früher, westlicher und großstädtischer. Doch wenn sie den Niedergang der SPD kompensieren will, muss sie entschlossen den ewigen Klageton über die Grässlichkeit der Welt und notorische linke Besserwisserei abstellen – und schwungvollen, optimistischen Reformismus verkörpern.
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