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"Und auch die jetzt regierenden Sozialisten unter Pedro Sánchez besitzen nicht den Mut...zum Beispiel eine Volksabstimmung in beiderseitigem Einvernehmen, wie einst in Quebec oder Schottland – einzuleiten."
Natürlich wäre eine Volksabstimmung das Mittel der Wahl, aber der Weg dahin- das Prozedere einer Verfassungsänderung- ist in Spanien extrem Hürdenreich. Ein span. Ministerpräsident, zumal ein sozialistischer, würde er ein Einvernehmen mit einer katal. Regierung herstellen, gegen den würde schon morgen die PP beim obersten Gerichtshof Klage einreichen, für ein Straffverfahren. Selbst wenn die Regierung Einvernehmen mit der PP- Spitze erzielen würde, wie vor Jahren bei der Neuverfassung der katal. Regionalverfassung (Statut) geschehen (und durch Volksabstimmung in Katalonien bestätigt), könnte es passieren, wie genau damals geschehen, dass die PP trotzdem zum obersten Gerichtshof geht und alles wieder kassieren lässt. Ein PP- Ministerpräsident wiederum würde in seiner Partei nicht die nötige Unterstützung bekommen. Das wäre aber noch die geringste Hürde. Eine Verfassungsänderung müsste zuerst in (beiden Häusern des )Parlaments mit 2/3 Mehrheit angenommen werden, dann müsste das Parlament aufgelöst und Neuwahlen anberaumt werden, das neukonstituierte Parlament müsste dann die entsprechende Verfassungsänderung erneut mit 2/3 annehmen. Dann! müsste noch einmal eine Volksabstimmung über die Verfassungsänderung in ganz Spanien angesetzt werden und erst wenn die erfolgreich im Sinne der Separatisten wäre, könnte eine Abstimmung in Katalonien (und dann wohl auch in anderen Regionen wie dem Baskenland) geschehen. Dies sind die Hürden, die die span. Verfassungsväter für eine derartige Änderung ("procedimiento agravado") gesetzt haben, --> wiki Reforma de la Constitución espanola. Und einen derart sakrosanten Satz wie "Die Einheit Spaniens ist unauflöslich" zur Streichung vorzuschlagen oder mit Ausnahmeartikeln zu versehen, könnte den spanischen Staat enorm schwächen.
@ingrid werner Diese hohen Hürden zur Änderung sind angesichts des Stellenwertes einer Verfassung nicht zu beanstanden.
Das deutsche Grundgesetz ist in Teilen überhaupt nicht abänderbar und ungeachtet dessen sind bisher kaum Stimmen bekannt, die behaupten, dass dies einen Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker darstellen würde.
@DiMa Das GG ist in einigen Artikeln, den Ewigkeitsparagraphen, nicht abänderbar, die Freiheit der demokratischen, gesellschaftlichen Organisation betreffen und die Pressefreiheit etc. Aber das sind auch andere Problemlagen als die Spaniens, Deutschland verfügt nun einmal nicht mehr über verschiedene Nationalitäten mit ausgeprägtem Sezessionsbestreben. Ansonsten hat aber Dtl zig Verfassungsänderungen durchgeführt. Auch habe ich deutlich machen wollen, dass es (2) verschiedene Verfahren zur Verfassungsänderung in Spanien gibt, der unterschiedliche Teile (unterschiedlich wichtige Teile) der Verfassung betrifft. Das einfache Verfahren ist auch ohne Volksabstimmung und Parlamentsauflösung mgl, der andere Teil, in dem es offenbar auch um die territoriale Integrität geht, kann eben nur über das verschärfte (agravado) Verfahren geändert werden. Das Problem meines Erachtens liegt aber nicht darin, dass es Volksabstimmungen gibt, sondern dass sie mit dem bestehenden Verfahren nahezu verhindert werden, denn welche Regierung wird, wie die PP, die zwischenzeitlich allein regieren konnte das brodelnde Nationalitätenproblem angehen, wenn sie damit auch ihre Parlamentsmehrheit gefährden würde, da Wahlen automatisch angesetzt werden - ihre Mehrheit hätte die PP zu diesem Zeitpunkt aber nicht allein weg des Katalonienproblems gefährdet sondern v.a. wg der gravierenden Auswirkungen ihrer Sparpolitik in Folge der Finanzkrise... Das Ergebnis war aussitzen. Andererseits kann man in Frage stellen ob über die Sezession eines Landesteils das ganze Land abstimmen sollte, und nicht etwa nur der Teil der sich abspalten möchte. Das ist in etwa so, wie wenn bei der Scheidung eines Ehepaares beide Partner zustimmen müssten, ansonsten bliebe die Ehe bestehen. Gesellschaften, ganze Staaten, sind natürlich weit komplexer.
@ingrid werner Beim “Einvernehmen mit der PP-Spitze” bez. dem katalanischen Estatuts verfügen Sie entweder über geheimes Insider-Wissen oder haben etwas verwechselt. Falls Sie dazu allerdings einen Link präsentieren können, würde ich mich bedanken und höflich entschuldigen.
Es gab vor ein paar Jahren in Spanien eine Verfassungsänderung, nämlich die Schuldenbremse, welche ohne Referendum über die Bühne ging.
Da Spanien mit Eintritt in die EU auch deren Gesetze sowie universelle Menschenrechte anerkannte, wäre eine politische Lösung im wirtschaftlichen Notfall schnell gefunden.
Ich glaube nicht an einen Bürgerkrieg, aber mit einer “friedlichen Aktion”(z.B. ein unbefristeter Generalstreik), welche die Erbmonarchie an den Rand des Bankrotts bringen könnte, ist durchaus zu rechnen. Und in solchen Situationen erhöht sich dann der Druck der Wirtschaft und “befreundeter” EU-Partner so sehr, dass mit Sicherheit politische Lösungen (sprich:Volksbefragung oder Referendum) gefordert werden. Auf jeden Fall, Frau Werner, wäre eine Stärkung der spanischen Demokratie wünschenswert, auch wenn sie mit einer kurzfristigen, wirtschaftlichen Schwächung verbunden wäre. Auf Dauer würde auch Spanien von einem prosperierenden Partner Katalonien profitieren.
@Priest ich gebe Ihnen zu, zumindest nach einer kurzen Wiki- Lektüre, dass eine Zustimmung der PP zur Neuverfassung der katal. Regionalverfassung zu keinem Zeitpunkt bestanden hat (auch wenn ich meine das mal irgendwann gelesen zu haben). Der Wiki- Artikel hat aber auch noch einmal offengelegt, dass nur 49% an der Volksabstimmung teilgenommen haben und davon 53% zugestimmt haben, und die Regierung über dem Kompromiss über den Verfassungsentwurf auch noch zerbrochen ist, weil der ERC der Entwurf nicht weit genug ging. Wahrlich kein berauschendes Ergebnis. Damals gab es auch nicht mal annähernd eine Mehrheit in den Umfragen zu einer mgl. Unabhängigkeit (ca.36% waren dafür, ungefähr die Größe der ethnischen Katalanen). Auch gibt es bei den Katalanisten einen unschönen Hang gewünschte Volksabstimmungsergebnisse/ Wahlergebnisse sich zurechtzuinterpretieren, als stellten sie eine absolute Mehrheit dar, selbst wenn es nur eine relative Mehrheit gibt. Prinzipiell hätte ich es daher auch schön gefunden wenn die Zentralregierung das Risiko eingegangen wäre und die Spanische Verfassung geändert hätte, aber selbst über die hätte wieder das gesamte span. Volk abstimmen müssen (aber dafür gab es keine Umfragemehrheiten) bevor im Falle einer Zustimmung es den Katalanen erlaubt worden wäre über eine Unabhängigkeit abzustimmen. Aber selbst in Katalonien gab es nur in einer Umfrage zu einem Zeitpunkt kurz nach Beginn der Auseinandersetzung eine knappe Mehrheit dafür, ansonsten gab es nirgends, zu keinem Zeitpunkt eine Mehrheit für die Unabhängigkeit. Prinzipiell bin ich aber dafür das man die Möglichkeit für einen geregelten Sezessionsprozess mit Volksabstimmung schaffen sollte, aber nicht völlig ohne Hürden etwa zeitliche Karenzen, so etwas sollte nicht aus dem Bauch heraus entschieden werden (etwa weil z.B. gerade Finanzkrise ist). Der springende Punkt aber: eine demokratische Ordnung soll nur nach den bestehenden Regeln, demokratisch geändert werden. Die Monarchie hat keine Macht.
Dank an Reiner Wandler für seinen Beitrag.
Für mich kann es unter rechtlicher Würdigung aller Umstände, Motive nur ein Urteil geben, die Inhaftierten werden als Helden der Demokratie im Namen unserer Weltzivilgesellschaft unter dem Dach der UNO wg. besonderer Zivilcourage freigesprochen, weil sie in zugespitzter Lage in Katalonien 2017 nach einem historisch desaströsen Vorlauf, seit 2006 Organisationsverschulden im Umgang mit katalonischen Autonomiebestrebungen der Zentralregierung Madrid, drohendem Bürgerkrieg, das einzig richtig gemacht haben, der Militanz durch ein Referendum mit folgender Unabhängigkeitserklärung im Regionalpalament Barcelona bei deren gleichzeitig unbefristeter Aussetzung, die Spitze genommen, die EU in Brüssel, wenn auch vergeblich, um Vermittlung gebeten haben.
Einmal mehr zeigt sich, das der EU in Sonntag- und Fensterreden als Sachwalter der Demokratie in ihren Regionen noch kein Kraut gewachsen ist, Streit vor Ort per Mediationsverfahren in Richtung Fordern & Fördern von Debattenkultur in allgemeines Wohlgefallen aufzulösen. sobald sich erweist, dass die Zentralregierung einer EU Nation, wie jetzt in Madrid, sich außerstande erweist, frühzeitig Autonomie an ihre erwachsen geworden eigene Regionen zu deligieren.
Insofern ist das, was jetzt in Madrid verhandelt wird, bei sich vewrstärkender Tendenz zentraler Macht, sich mit staatlicher Infrastruktur bei der Grundversorgung, Arbeitsmarkt- , Industrieansiedlungspolitik, Sitz von Behörden, Gerichten, Polizei, Kultur, Bildung, Ausbildung , Studium, aus den Regionen zurückzuziehen "Kein Anschluss unter dieser Rufnummer" , eine Angelegenheit, die weit über Spanien, selbst die EU, USA, Russland, China, Indien, Brasilien hinausgeht.
Spanien 'bezahlt' jetzt die Rechnung dafür, dass weder der Bürgerkrieg noch die Franco-Diktatur wirklich aufgearbeitet wurden. Rassisten wie die VOX-Partei und die Rechtskonservativen verbünden sich erneut, um die vermeintlich in Gefahr befindliche 'Nation' zu schützen. Dabei geht es um kalte Machtinteressen wie einst 1936 beim Putsch Francos. Der Nationalismus wird von Rechts wiederbelebt, um von den sozialen Problemen des Landes samt dem überlebten Zentralismus abzulenken. Der alte Ungeist des autoritären Falange-Regimes feiert so seine Wiederauferstehung....
Nein, die Demokratie ist nicht der Verlierer. Jede Demokratie hat bestimmte Regeln, im Falle Spaniens halt die Verfassung. Dieser spanischen Verfassung haben die Einwohner Kataloniens mit großer Mehrheit zugestimmt.
Es steht der Unabhängigkeitsbewegung vollkommen frei, mit dem Rest des Landes über eine Änderung der Verfassung zu diskutieren.
Da die Unabhängigkeitsbewegung im Zuge des Referendums keine eigene Staatsgewalt ausüben konnte, fehlt es insoweit auch an einer wichtigen Eigenschaft eines Staates. Katalonien ist kein Staat.
Ein Gerichtsverfahren hat auch nicht den Zweck einer Unabhängigkeitsbewegung beizukommen.
@DiMa Eine “predemokratische” Verfassung, welche noch in den Zeiten der Übergangsphase von der Diktatur zur Demokratie und bei einer Mehrheit frankistischer Verfassungsväter ausgearbeitet wurde, kann nicht auf Dauer die Spielregeln einer echten Demokratie bestimmen.
Internationale Menschenrechte wie auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker stehen über nationalem Recht, zumindest wenn es sich um anspruchsvolle, westeuropäische EU-Staaten handelt.
Polizeiliche, richterliche oder gar militärische Unterdrückung einer nationalen Minderheit oder auch einer Nation sollte die EU nicht unkommentiert oder teilnahmslos billigen.
@Priest Der in dieser Frage entscheidende Passus der Verfassung, die Unteilbarkeit des Landes, steht so oder in ganz ähnlicher Form in allen modernen Verfassungen. Insoweit hat diese Frage relativ wenig bis nichts mit dem Frankoregime zu tun.
Und die EU hat sich in die innerstaatlichen Angelegenheiten mangels entsprechender Kompetenzen nicht einzumischen.
Bon dia Herr Wandler.
Wer hat Ihnen denn das Wort "Separatisten" in den Teaser geferkelt? Seit wann ist es Separatismus, wenn eine uralte Nation wie Katalonien, das vor Jahrhunderten das Pech hatte, von einem Nachbarn besetzt zu werden, darüber abstimmen lassen möchte, den rechtmäßigen Zustand wiederherzustellen?
@Kunz Bon dia, Kunz!
Sie sollten wie Joachim und ich Herrn Wandler dankbar sein, da er einer der wenigen Reporter ist, welche die Dinge beim aaNamen nennen.
Klar ist Separatist negativ belegt,was allerdings die Bereitschaft beim Leser erhöht, sich zu informieren, auch wenn er den katalanischen “Rebellen und Aufrührern” eher skeptisch gegenübersteht. Und informierte Bürger setzen sich dann mehrheitlich für Katalonien ein.
@Kunz Verehrter Herr / Kunz .
Katalonien war nie eine Nation, es war ein Grafschaft /Condado , welches zum Königreich Aragon gehörte . Fernando de Aragon und Isabel La Catolica vereinigten durch Hochzeit Kastilien mit Aragon und brachten damit Katalonien mit in den Spanischen Staat, der durch die Reconquista (Wiedereroberung) den harten Kern der heutigen Spanischen Nation bildeten.
Es ist ganz erstaunlich was für eine Menge Unsinn durch Fehlen von solidem Nachforschen in Kommentaren wie die von Herrn Lessing und Kunz und Pfanni in die Welt gesetzt wird.
Leider habe ich das Gefühl das dies eine allgemeine Problematik der Deutschen Presse ( SPIEGEL ,SÜDDEUTSCHE ect) ist, wobei es doch nichts leichteres gibt als sich vor Ort über Ursachen und Hintergründe der "ewigen Separatisten Bewegung " der Katalanen zu studieren.
Wenn das mal einer gründlich macht, werden Sie feststellen, dass die moderne "Separatistenbewegung - El proces " seinen Ursprung in einer perfekten, katalanischen KLEPTOKRATIE hat ,die vom Honorablen Ex-Presidente Jordi Pugiol gegründet wurde und die die grössten Korruptionsskandale der moderen spanischen Geschichte provozierte.
Die Angst vor der Spanischen Steuerbehörde forcierte die Unabhängigkeitsbewegung und nichts anderes. Durch das Spanische Wahlgesetz sind leider Minderheitsregierungen immer wieder auf Separatisten angewiesen, da drückt man natürlich gerne mal ein paar Augen zu . Leider ging der Schuss diesmal nach Hinten los.
Es wird nicht ganz einfach sein das ganze wieder einzurenken.
Beste Grüsse
Ingo F. Pangels
@Ingo Pangels Ach Herr Pangels, der Mann heißt Pujol mit j und zog in seiner Regierungszeit eine Freundchenwirtschaft vom Kaliber Franz Josef Strauß auf. Aber der größte Korruptionsskandal der "spanischen" Geschichte? Da blenden Sie anscheinend die Kleptokraten ihre Freunde von PP und PSOE aus. Und die Unabhängigkeitsbewegung ging nicht von Pujol und der CiU aus. Die ist erst unter Artur Mas mit der immer beliebter werdenden ERC und den zivilgesellschaftlichen Organisationen im Nacken auf Unabängigkeitskurs eingschwenkt.
@Kunz „. . . Katalonien, das vor Jahrhunderten das Pech hatte, von einem Nachbarn besetzt zu werden, darüber abstimmen lassen möchte, den rechtmäßigen Zustand wiederherzustellen?“
Haben Sie sich das auch gut überlegt? Nach dem Prinzip „gleiches Recht für alle“ müssten dieses Recht dann auch andere Separatisten (Tschuldigung!) erhalten. Europa würde wieder in Kleinstaaten zerfallen, die übereinander herfallen.
Oder nehmen wir speziell D., dessen Einheit einst mit „Blut und Eisen“ geschmiedet wurde: Da könnte man doch z. B. im Freistaat Bayern (gegenwärtig Nettozahler im Länderfinanzausgleich) die alte Idee wieder hervorholen, aus der BRD auszusteigen. Die Motivation, Geldzahlungen über die Landesgrenzen hinweg zu vermeiden, liegt bekanntlich auch der katalanischen Unabhängigkeitsbestrebung zugrunde!
Nach Jahrhunderten der Verfolgung, gipfelnd im Sprachverbot der Franco-Zeit, betreibt die Regierungsmehrheit in Katalonien die staatliche Unabhängigkeit. Katalonien hat mit Kastilien sprachlich und kulturell etwa so viel zu tun wie die Niederlande mit Deutschland. Und Sie kommen mit Alimenten an Nachbarländer. Als ob sich die nicht in bilateralen Verträgen fortschreiben ließen.
Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.
Die Moderation
@Pfanni Genau diesen Rückfall in die Kleinstaaterei hat speziell Deutschland doch in vielen anderen Fällen nicht nur befürwortet, sondern siehe CSSR und die Balkanländer, siehe ehemalige Sowjetrepubliken etc. aktiv unterstützt, wohl wissend, dass damit stets die Bürgerkriegsgefahr einhergeht oder die Bestätigung nationaler Kleinstaatsgefühle meist mit wirtschaftlicher Schwächung erkauft wird.
Bayern weiß sehr wohl, warum es die BRD nicht verlassen möchte, aber Madrid ist nicht Berlin und unter anderem Vorzeichen auch bei uns könnte die Stimmung in Bayern ganz schnell kippen.
Israels Premier Netanjahu zündelt, um an der Macht zu bleiben. Die Menschen in der Region, die Frieden wollen, drohen unter die Räder zu geraten.
Kommentar Spaniens Separatismus: Verlierer ist die Demokratie
In Madrid beginnt der Prozess gegen die katalanischen Separatisten. Damit ist der Unabhängigkeitsbewegung aber nicht beizukommen.
Es sind politische Antworten gefragt: Ein Polizist im Einsatz gegen einen Unabhänigkeits-Befürworter (Archivbild) Foto: reuters
Nein, auch wenn sich die spanische Politik und fast alle Medien noch so bemühen dies Glauben zu machen: Es ist kein normales Verfahren, das da vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid beginnt.
Dort stehen zwölf Verfechter der Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien vor Gericht. Unter ihnen ein Großteil der ehemaligen katalanischen Regierung sowie die Parlamentspräsidentin. Ihnen wird in Zusammenhang mit dem von Madrid untersagten Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober 2017 „Rebellion“, „Aufstand“ und „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ vorgeworfen. Bis zu 25 Jahre Haft drohen. Diejenigen, die nicht auf der Anklagebank sitzen, befinden sich, wie der ehemalige Regierungschef Carles Puigdemont im Ausland.
Rebellion ist – egal in welchem Land – ein organisierter, gewalttätiger Akt, um eine bestehende Ordnung über den Haufen zu werfen. Und von dieser Gewalt war in den Monaten der Vorbereitung des Unabhängigkeitsreferendums nichts zu sehen. Dass neun Angeklagte dennoch so lange in Untersuchungshaft sitzen ist deshalb alles andere als normal. Und dass eine rechtsextreme Partei wie VOX, die der Franco-Diktatur hinterher trauert, als Nebenkläger einen festen Platz im Verfahren hat, ist auch nicht leicht zu vermitteln.
Sicher sind die Verfechter der Unabhängigkeit Kataloniens, weit – für viele zu weit – gegangen. Aber es handelt sich um eine politische Bewegung. Und politische Bewegungen verlangen nach politischen Antworten statt nach strafrechtlicher Verfolgung.
Doch genau dazu ist Spaniens Politik nicht in der Lage. Die Justiz – zumal der stark politisierte Oberste Gerichtshof – schien ein bequemer Weg, um „die Unabhängigkeitsbewegung zu enthaupten“, wie das die damalige Regierung unter Mariano Rajoy nannte. Und auch die jetzt regierenden Sozialisten unter Pedro Sánchez besitzen nicht den Mut, eine echten Dialog ohne Tabuthemen – wie zum Beispiel eine Volksabstimmung in beiderseitigem Einvernehmen, wie einst in Quebec oder Schottland – einzuleiten.
Wer glaubt, dass durch harte Urteile die Unabhängigkeitsbewegung geschwächt werden wird, täuscht sich gewaltig. Genau das Gegenteil wird der Fall sein. Heute zu Beginn der Hauptverhandlung steht nur ein Verlierer fest: Die Demokratie in Spanien.
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Kommentar von
Reiner Wandler
Auslandskorrespondent Spanien
Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.
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