Kommentar Schulstreiks und die Politik: Verniedlichend und verlogen
Von Kanzlerin bis FDP-Chef – alle loben nun brav den Einsatz der Jugend für den Klimaschutz. Das ist heuchlerisch.
A ngenommen, die Wissenschaft würde feststellen, dass in 20 Jahren ein Asteroid die Erde trifft. Er könnte Millionen Menschen töten, Küsten fluten, viele Arten an Land und im Meer ausrotten. Doch es gäbe einen Ausweg. Eine Weltraummission, 500 Milliarden Dollar teuer, sie könnte den Brocken um die Erde lenken. Die Staaten der Welt reagieren, einigen sich auf eine Finanzierung. Doch schon nach kurzer Zeit stocken die Zahlungen, die USA steigen ganz aus.
Die meisten resignieren, die Jugend aber rebelliert. Überall gehen sie freitags auf die Straße, weil sie sich fragen: Wozu die Schule besuchen, wenn man am Ende als Erwachsene so dumm wie ihr wird und den Planeten der eigenen Engstirnigkeit opfert?
Nun, Sie verstehen, worauf ich hinauswill. Wir leben in dieser Welt. Nur dass der Asteroid der Klimawandel ist. Seine Bahn ist berechnet, der Vertrag, ihn abzuwenden, ist geschlossen, wird aber unzureichend umgesetzt. Jeden Freitag gehen jetzt Schüler*innen auf die Straße.
Weil Klimaschutz in der Zeit seit dem Abkommen von Paris zu ersticken drohte: an alten Industrien, Fundamentalisten, denen die Lehre vom reinen Markt über alles geht, schlichten Dummköpfen, Profit, ewigen Kommissionen. Die Welt seit Paris schien zu komplex, um die Erderwärmung aufzuhalten. Die Schüler*innen wischen all das weg, verdichten die Geschichte zu einem einfachen: Es geht ums Überleben, ihr Idioten.
„Toll!“, „Großartig!“, „Unterstütze ich sehr!“
Die Erzählung ist deshalb so mächtig, weil sie jeder versteht. Weil sie die Welt in Gut und Böse einteilt: Wer gegen uns ist, der tötet unsere Zukunft. Wer gegen uns ist, der steht auf der Seite des Bösen. Deshalb auch die Anfeindungen gegen Greta Thunberg und andere im Netz. Wer will schon von einem Kind gesagt bekommen, dass er genau der unverantwortliche, selbstgerechte, arrogante Erwachsene geworden ist, der er nie werden wollte?
Die zweite vorhersehbare Reaktion auf die Proteste ist Verniedlichung. Ein rhetorisches Wangetätscheln für die naiven Jungspunde. „Toll“, sagt Christian Lindner. „Unterstütze ich sehr“, sagt Angela Merkel. „Großartig“, meint Katarina Barley. Garniert mit einer Debatte, ob man für den Klimaschutz denn nun Schule schwänzen dürfe.
Doch gerade das Lob aus Teilen der Union und der FDP ist heuchlerisch. Teile der Parteien lassen sich gerade in verschiedenen Härtegraden auf eine Erzählung ein, wonach Klimaschutz auf der einen Seite und Arbeitsplätze und Wohlstand auf der anderen Seite sich widersprechende Ziele seien, zwischen denen es einen Interessenausgleich geben müsse.
Besonders deutlich schrieb das Annegret Kramp-Karrenbauer in einem Beitrag für die Welt am Sonntag. Ambitionierte Klimaziele würden nur dann auf breite Zustimmung in der Bevölkerung stoßen, „wenn es uns gelingt, auch die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte so zu berücksichtigen, dass Beschäftigung und Wirtschaftskraft erhalten bleiben und neue Entwicklungschancen entstehen“, schrieb sie.
CDU-Chefin argumentiert ahistorisch
Das klingt neben dem kindischen Antiökopopulismus von FDP-Chef Christian Lindner geradezu staatstragend. Der faselte in der Bild erst davon, dass man die deutsche Autoindustrie zerstören wolle, und später in der BamS: „Wer den Menschen von Berlin-Mitte aus und mit dem erhobenen Zeigefinger Wohlstand, Mobilität und Fleisch verbieten will, wird den Druck der Straße zu spüren bekommen.“ Nun kann in Deutschland jeder in den nächsten Supermarkt gehen und in eine Wurst beißen. Lindner will den Applaus jener einheimsen, die sich durch die Schüler*innen ertappt fühlen und genervt sind von deren moralischen Appellen.
Lindner und Kramp-Karrenbauer glauben mit ihrem Kurs die Stimmung der Post-Merkel-Ära zu treffen: Endlich darf man wieder sagen, dass Klimaschutz ja wohl nicht alles ist, wir sind doch eh die Deppen, die immer vorpreschen, alles zahlen und überall hässliche Windräder aufstellen.
Und sie suchen ein Gegenmittel zum Höhenflug der Grünen: die alte Story von den Ökos, die erst Ruhe geben, wenn alle vegan leben und Rad fahren, aber arbeitslos sind.
Sie verkennen dabei, dass es beim Klimaschutz nicht um eine Güterabwägung oder Wertediskussion geht, um links gegen rechts, Wirtschaftsliberalismus gegen Staatsinterventionismus – sondern um einen naturwissenschaftlich begründeten Imperativ zum Handeln. Kramp-Karrenbauer argumentiert komplett ahistorisch: Die größte Gefahr für den Wohlstand war in den letzten beiden Dekaden ein dysfunktionales, globales Finanzsystem.
Die Politik kann umsetzen, was die SchülerInnen fordern
Zwar wird Klimaschutz in bestimmten Industrien Arbeitsplätze kosten. Die moderne Wirtschaftsgeschichte kennt aber nichts als permanente technische Neuerungen, die Jobs hier vernichten und dort schaffen. Das geschieht noch nicht einmal so chaotisch, wie die meisten denken. Das Auto hat sich durchgesetzt, weil Gesellschaften sich dafür entschieden, ihre Städte so umzubauen, dass man überall tanken, parken und fahren kann. Fleisch ist so billig, weil Politik gezielt landwirtschaftliche Großbetriebe fördert.
Damit sind wir beim Kern der Proteste der Schüler*innen. Politik kann, was sie fordern. Es steht uns doch ohnehin, wie seit Beginn der Industrialisierung immer, ein gewaltiger Strukturwandel bevor. Durch Digitalisierung, künstliche Intelligenz und wer weiß was sonst noch. Politik kann auch im Rahmen einer freien, liberalen Wirtschaftsordnung einen stahlharten Rahmen setzen für eine Wirtschaft, die Klima nicht mehr vernichtet.
Nun liefern Union und FDP ohne Not einen Schuldigen für mögliche Arbeitsplatzverluste in den nächsten Dekaden: der Klimaschutz, der ja immer nur koste, koste, koste. Der Klimawandel ist die größte Gefahr für Frieden und Wohlstand, und Union und FDP schaffen es, den KAMPF dagegen als Gefahr zu identifizieren. Da sind eben echte Profis am Werk.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation