Kommentar SPD und Flüchtlinge: Oppermanns alternative Wahltaktik
Die Idee, Flüchtlinge in Nordafrika zu internieren, ist alt. Gut war sie noch nie, und dass die SPD damit Wahlkampf machen möchte, ist fatal.
K aum gelingt es der SPD, sich bar jeder Evidenz mit ihrem neuen Parteivorsitzenden Martin Schulz den Anstrich einer linken Alternative zu Angela Merkel zu geben, bemüht sich Fraktionschef Oppermann, nicht zu viel Euphorie aufkommen zu lassen und auch ein bisschen rechtspopulistische Stimmungsmache in den Kessel Buntes des kommenden Wahlkampfes einfließen zu lassen.
Schon die Prämisse seines Vorschlags, Flüchtlinge in Nordafrika zu internieren, ist falsch. Es ist nicht einmal originär seine Idee. Innenminister Thomas de Maizière, auch sonst kein Freund faktenbasierter Politik, tut schließlich schon seit Ewigkeiten so, als wäre die Zurückweisung von Flüchtlingen an den Außengrenzen Europas und ihre „Versorgung und Betreuung“ in Nordafrika politisch und moralisch gerechtfertigt, rechtskonform oder irgendwie praktikabel.
Knapp 200.000 „illegale Grenzübertritte“ zählte die europäische Grenzschutzagentur 2016 im zentralen und westlichen Mittelmeerraum. Die EU hat gut 500 Millionen Einwohner. Gesetzt den Fall, dass jeder dieser Grenzübertritte von einer Person verübt wurde, die dann in der EU verbleibt und Menschen nicht bei mehreren Fluchtversuchen in die Statistik einfließen (was Frontex selber nicht glaubt), wächst die Bevölkerung der EU durch besagte Flüchtlinge also um 0,3 Promille. Promille, nicht Prozent!
Wer da ein Problem sieht, kann nicht rechnen. Das weiß auch Thomas Oppermann und bedient sich deshalb derselben Sprachregelung wie seine CDU-Kollegen: Es gehe um die Bekämpfung des unmenschlichen Schlepperwesens. Und ja, jedes gerettete Leben, das nicht auf Bootswracks im Mittelmeer riskiert wird, wäre einigen Aufwand wert. Nur stellt sich die Frage, ob das wirklich der Plan ist.
Unsinnige Prämisse
Das Kalkül hinter solchen Vorschlägen ist doch nie reiner Altruismus. Die Botschaft die da an Wählerinnen und Wähler ausgesendet wird, ist klar: Die Ausländer sind zu viele, wir kümmern uns darum, dass es nicht mehr werden. Wählt uns.
Statt also den Unsinn europäischer Migrations- und Flüchtlingspolitik anzuprangern, wird die von keiner Realität getrübte Prämisse des „Zuviel“ einfach übernommen. Hat man diesen Rahmen erst einmal akzeptiert, fragt niemand mehr, ob es vernünftig ist, die Überwachungs- und Rüstungsindustrie mit Milliarden zu subventionieren, um ein paar Hunderttausend Menschen (zur Erinnerung: 0,3 Promille) aufzuhalten. Niemand fragt, ob es politisch klug oder moralisch gerechtfertigt ist, Millionen Menschen, die als Binnenflüchtlinge auf dem afrikanischen Kontinent ihr Dasein fristen, sich selbst zu überlassen und Autokraten und Kriegsherren zu Türstehern der EU zu machen.
Kurz: Niemand fragt nach Alternativen zu einer Politik, die Menschenleben kostet, Gelder in die Kassen der Großindustrie spült und Demokratie zum verhandelbaren Extra, nicht zur Vorbedingung internationaler Beziehungen macht, insgesamt also zynisch und irrational ist. Aber vielleicht darf man das von einer langjährigen Regierungspartei auch nicht erwarten. Denn das ist die SPD, das ist ihr Erbe, ein Erbe, das bisweilen mehr nach Alternative für Deutschland klingt, als nach Alternative zu Merkel. Das kann auch kein Schulz verdecken.
Mehr Informationen zu europäischer Flüchtlings- und Migrationspolitik in Afrika lesen Sie auf unserem Rechercheschwerpunkt taz.de/migrationcontrol.
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