Kommentar Quotierte Wahllisten: Ohne Frauen ist kein Staat zu machen
Ohne äußeren Druck gibt keiner freiwillig Macht ab. Das Parité-Gesetz in Brandenburg ist ein Meilenstein für die Politik.
M anchmal ist erst im Nachhinein klar, welche Momente historische waren. Manchmal zeichnen sich historische Momente aber auch schon vorher ab. Die Verabschiedung eines Parité-Gesetzes im Brandenburger Landtag ist so ein Fall. Wenn SPD, Linkspartei und Grüne am Donnerstag dafür stimmen, die Landeslisten künftig zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern zu besetzen, gehen sie 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts einen Schritt, der ein Meilenstein für die deutsche Politik und damit den Alltag hierzulande ist – und der beides bedeutend gerechter gestaltet.
Brandenburg bezieht sich auf Artikel 3 des Grundgesetzes, der die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz garantiert und Diskriminierung verbietet. Doch Gleichheit, das zeigen die vergangenen Jahrhunderte, stellt sich nicht automatisch her. Weder werden Frauen und Männer hierzulande gleich bezahlt, noch übernehmen sie auch nur annähernd gleiche Aufgaben in Beruf und Familie. Weder sind die männlichen Monokulturen der Vorstandsetagen aufgebrochen, noch entspricht der Anteil von Frauen in der Politik dem an der Bevölkerung: Nur rund ein Drittel der Abgeordneten im Bundestag sind Frauen, genauso gering ist der Schnitt in den Länderparlamenten.
Der Mangel an Repräsentation von Frauen in der Politik ist ein demokratisches Defizit. Wenn Frauen nicht oder zu wenig vorkommen, werden ihre ökonomischen Probleme nicht oder zu wenig berücksichtigt, werden Gesetze gemacht, die ihre Perspektiven nicht ausreichend einbeziehen, werden öffentliche und private Räume gestaltet, die ihren Ansprüchen nicht genügen und manchmal sogar gefährlich für sie sind – Vergewaltigung in der Ehe etwa wurde erst 1997 strafbar.
Wenn sich solche Missstände ein Jahrhundert lang halten, sollte man sich fragen, warum. Weil Gleiche Gleiche fördern, also Männer Männer. Weil die, die die Macht haben, sie nicht freiwillig hergeben. Weil das Fehlen von Vorbildern dazu führt, dass junge Frauen gar nicht daran denken, dass bestimmte Positionen auch für sie vorgesehen sein könnten. Und weil es Kraft kostet und durchaus unangenehm sein kann, die einzige Frau unter 20 selbst ernannten Alphatieren zu sein, die nach Feierabend noch einen mit trinken gehen muss, um politische Netzwerke zu pflegen.
Dass freiwillige Quoten dabei nicht helfen, ist hinlänglich bekannt. Die Grünen waren in den 80ern die Ersten, die dem aktiv entgegentraten. Mehr als 30 Jahre später macht sich nun Brandenburg daran, den verfassungsrechtlichen Auftrag des Staates ernst zu nehmen. Denn Artikel 3 gebietet nicht nur die Gleichheit vor dem Gesetz – sondern verpflichtet auch dazu, auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Ohne Frauen zu gleichen Teilen, das hat Brandenburg erkannt, ist kein Staat zu machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung