Kommentar Polizei beim OSZE-Gipfel: Urbane Aufstandsbekämpfung
Es werden kaum Proteste erwartet, dennoch kommen Tausende Polizisten zum OSZE-Gipfel. Der Staat wird sichtbar – als Repressionsapparat.
D ie Idee, einen Gipfel wie den der OSZE mitten in Hamburg stattfinden zu lassen, ist heller Wahnsinn. Die Stadt befindet sich im Ausnahmezustand: Seit Anfang der Woche lungern schwer bewaffnete PolizistInnen in dem Wohnviertel rund um den Tagungsort, fahren durch die Stadt und erkunden das Terrain.
Geschäfte, Schulen und Kitas, die in der Sicherheitszone rund um die Messehallen liegen, bleiben geschlossen. Das Erste, was man sieht, wenn man auf die Straße tritt, sind Polizeiwagen. Es gleicht einer Belagerung: Sondereinsatzkommandos zur Räumung bei Ausschreitungen sind dabei, Einheiten aus Sachsen und aus Bayern. Ein beklemmendes Gefühl.
Dabei hätte man den Gipfel problemlos an irgendeinem abgelegenen Tagungsort auf dem Acker stattfinden lassen können. Das hätte weniger Aufwand bedeutet, weniger Geld gekostet und den HamburgerInnen Nerven gespart. Dagegenzuhalten, dass sich der Staat sichtbar machen soll in Zeiten von Verschwörungstheorien gegen „die da oben“, ist naiv. Ja, der Staat wird hier sichtbar – als Repressionsapparat.
In der Stadt findet ein großer Testlauf für den G-20-Gipfel statt. Wie sonst will man erklären, was da nun aufgefahren wird, obwohl kaum Proteste zu erwarten sind? Weder wurde überregional gegen den OSZE-Gipfel mobilisiert, noch plant die Hamburger linke Szene den Aufstand. Die Polizei weiß das – und fährt trotzdem das Arsenal einer kleinen Armee auf.
Aus wohlkalkuliertem Grund: Mit 13.200 BeamtInnen, 18 Panzern, 10 Hubschraubern und 23 Wasserwerfern spielt sie Planspiele der urbanen Aufstandsbekämpfung. Dazu kommt: Jede Sicherheits- und Überwachungsmaßnahme, die man jetzt schon einführt, ist im Sommer dann bereits etabliert.
Der Tagungsort beider Gipfel liegt nur einen Steinwurf vom autonomen Zentrum „Rote Flora“ entfernt. Die Sicherheitszone kann ausgedehnt werden, je nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden. Für den Sommer lässt das nichts Gutes erwarten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus