piwik no script img

Kommentar Obergrenze für FlüchtlingeÖsterreich tritt Lawine los

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Die Pläne der SPÖ-Regierung stehen für ein Europa, das an seinen nationalen Egoismen scheitert. Sie setzen auch Angela Merkel unter Druck.

Lawinen können Todesopfer fordern. In diesem Fall würde es sich um Flüchtlinge handeln. Foto: ap

D ass Österreich bei der Aufnahme von Flüchtlingen jetzt eine Obergrenze ziehen will, wirkt wie ein Paukenschlag. Dabei ist völlig offen, wie diese Obergrenze umgesetzt werden soll und ob sie mit europäischem Recht vereinbar ist. Ministerpräsident Werner Faymann (SPÖ) spricht deshalb vorsichtiger von einem „Richtwert“.

Es ist aber mehr als nur eine hilflose Geste. Denn Österreich will seine Grenzkontrollen massiv verschärfen, um Flüchtlinge bei Bedarf zurückweisen zu können. Die Ankündigung setzt außerdem Angela Merkel unter Druck. Bei der CSU, wo sie am Abend in Wildbad Kreuth erwartet wurde, dürften beim Wort „Obergrenze“ schon die Sektkorken geknallt haben.

In Davos entwarf Joachim Gauck derweil das Schreckensszenario eines Europas, das an seinen nationalen Egoismen scheitert und zerfällt. Die Entscheidung in Wien droht diese Entwicklung zu beschleunigen.

Dabei hat doch die Kanzlerin recht: Das Asylrecht kennt keine Obergrenze. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention ist jeder EU-Staat verpflichtet, den Asylantrag eines Flüchtlings, für den er laut Dublin-Verordnung zuständig ist, nach deren Kriterien zu prüfen und ihm Schutz zu gewähren.

Seit Jahren schieben sich die europäischen Länder gegenseitig die Verantwortung für diese Flüchtlinge zu. Merkel versucht, eine gemeinsame Haltung zu erzwingen, mit der Europa seinem humanitären Selbstverständnis gerecht wird. Doch in Europa steht sie damit ziemlich allein, und auch im eigenen Land bröckelt die Zustimmung.

In Kreuth dürften beidem Wort schon dieSektkorken knallen

Dabei ist es völlig egal, dass der IWF erst kürzlich prophezeite, die Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien werde Ländern wie Schweden, Deutschland und Österreich mehr Wirtschaftswachstum bringen. Was sind schon Fakten und Prognosen, wenn das Bauchgefühl regiert? In großen Teilen der Bevölkerung überwiegen die Verunsicherung und die Ängste, und diese werden von Demagogen geschürt.

Die Regierung in Wien bezeichnet ihren Schritt als „Notlösung“ und „Plan B“. Sie wolle damit den Druck auf andere europäische Länder erhöhen, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Stattdessen tritt sie eine Lawine los. Wenn jetzt auch Österreich die Reißleine zieht, werden sich andere Länder erst recht in ihrer Verweigerungshaltung bestätigt sehen. Am Ende werden wieder mehr Flüchtlinge an den Außengrenzen ertrinken oder stranden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • ". dass der IWF erst kürzlich prophezeite, die Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien werde Ländern wie Schweden, Deutschland und Österreich mehr Wirtschaftswachstum bringen."

     

    das die taz mit Aussagen des IWF argumentiert ist mehr als heuchlerisch, dieser Verein ( IWF ) hat über Jahrzente mit dafür gesorgt das unsere Welt so ist wie sie ist...,

    und in der Taz zulesen dass Wirtschaftswachstum die Probleme löst, naja da kann ich auch eine Wirtschaftszeitung oder Börsenberichte schauen...,

    • @tomas:

      Ich kann auch kaum mehr atmen vor lachen.

      Herr Bax argumentiert mit dem IWF - morgen kommt wahrscheinlich noch ein Interview mit Hans Werner Sinn.

  • Das ist keine "SPÖ-Regierung". Die ÖVP hat das lanciert und halboffen damit gedroht die Regierung zu verlassen und damit Neuwahlen und FPÖ-ÖVP zu ermöglichen.

  • 3G
    3641 (Profil gelöscht)

    "die Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien werde Ländern wie Schweden, Deutschland und Österreich mehr Wirtschaftswachstum bringen"

    Das bringt denen, die sich schon jetzt keine angemessene Wohnung leisten können, herzlich wenig.

    • @3641 (Profil gelöscht):

      Seitdem viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen, wird wieder ernsthaft über sozialen Wohnungsbau geredet. Man kann die Flüchtlinge also auch nutzen, um linke Politik umzusetzen.

       

      Als nächstes müssen zweisprachige Schulen eingeführt werden (Deutsch-Türkisch, Deutsch-Arabisch) in denen alle Schüler, auch die Deutschen, zweisprachig erzogen werden.

      • @Eike:

        "Seitdem viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen, wird wieder ernsthaft über sozialen Wohnungsbau geredet. Man kann die Flüchtlinge also auch nutzen, um linke Politik umzusetzen."

         

        Das könnte richtig sein, wenn man es der Bevölkerung auch richtig "verkaufen" würde. In Stuttgart stehen ca. 11.000 Wohnungen leer. Jetzt will die Stadt mit Bußgeldern ihre Vermietung erzwingen. Das ist lange überfällig, um den angespannten Wohnungsmarkt zu entlasten. Aber statt die Maßnahme mit den Bedürfnissen ALLER Wohnungssuchenden zu begründen, spricht der Bürgermeister explizit von den Flüchtlingen. Die die schon lange hier sind, werden vergessen. Eine Steilvorlage für die Rechten, gegen die es schwierig ist zu argumentieren. Ich höre immer öfter den Satz: "Für die Flüchtlinge tut man ..., aber für die Einheimischen nicht." Da hilft es dann wenig zu betonen, dass der Fehler im Nichtun für die Einheimischen, statt im Tun für die Flüchtlinge liegt.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Moin WDKN (Abkurzungen)

          Danke für Ihr Beitrag. Sehr gut formuliert, ohne jegliche Schuldzuweisung.

          Finde ich sehr gut.

  • Schon mal dran gedacht das Europa nicht funktionieren kann?

    • @Johan Schreuder:

      Nein. Ich bin die Überzeugung das es funktionieren kann, muss und weiterhin wird.

      Weg vom "Krisendenken" zur "Lösungsdeknen" wäre einen guten Anfang.

      • @anton philips:

        Es kann nicht "weiterhin" funktionieren, weil es bisher nicht funktioniert. Es funktioniert nicht bei der Beseitigung der Arbeitslosigkeit im Süden, nicht beim Euro, nicht bei Griechenland, nicht bei den Flüchtlingen und und und. Man wird Europa I aufgeben müssen und Europa II mit einem Kern aus stabileren Staaten neu anfangen müssen, denn ein Rückkehr zur bloßen Nationalstaatlichkeit wäre der Abschied aus der Geschichte.

  • "Was sind schon Fakten und Prognosen, wenn das Bauchgefühl regiert? In großen Teilen der Bevölkerung überwiegen die Verunsicherung und die Ängste, und diese werden von Demagogen geschürt."

    Mit dieser Argumentation müsste man auch TTIP gutheißen. Nur noch Hetze überall, jeder gegen jederund jeder hat "Recht".

    • @Thomas Fluhr:

      Bei TTIP sprechen alle Prognosen und Fakten dafür, dass die Demokratie ausgehöhlt werden wird.

       

      Denn Firmen müssen dann für entgangene Profite entschädigt werden, wenn ihnen durch demokratische Entscheidungen Nachteile entstehen. Damit könnten konservative Regierungen die Politik für immer festlegen, in dem sie Verträge gegen das Gemeinwohl schließen, die aber für Firmen profitabel sind.

  • Mir macht riesen Sorgen, dass wir weiterhin so gespalten sind in die Frage nach der Umgang mit und di eZukunft von die Fluchtlinge.

    Was die Kriminellen in Köln/Hamburg7Stuttgart/Frankfurt gemacht haben ist niemals zu entschuldigen.

    Der eine Extrem will nichts wissen von Probleme und alles ist OK und es wird gut gehen.

    Der andere Extrem will alle rausschmeissen.

    Die grosse Mitte die einfach sagen: was kann ich tun um zu helfen, wird weniger.

    Und die Ansätze über die Lösungen zu sprechen gehen runter in einen Flut von Tagesmeldungen, übertönt von Donald Trump.

    Wo bleibt die Kompromisbereitschaft, anzuerkennen das wir riesen Herausforderungen (und Probleme) haben und haben werden, dass die Aufgabe einen Lebensaufgabe ist, und das auch zu vermitteln.. Ehrlich und ohne Schmalz oder falsche Hoffnungen auf schnelle Lösungen? Wo bliebt das "Konsenspolitik"?

     

    Ich habe wohl ein Bier zuviel getrunke heute. Morgen geht es weiter mit kleine Schritte, Familien, junge Männer und wem auch immer sonst, das anzubieten was die Menschen selber meinen zu benötigen, dazu in unsere finaziellen Rahmen passt und wir uns zeitlich leisten können. Ich bin nur heilfroh das wir(mich und meine Familie und Firma) priviligiert genug sind das tun zu können und dürfen.

  • Was bedeutet Wirtschaftswachstum? Wer profitiert? Wer zahlt drauf?

  • Dabei hat doch die Kanzlerin recht: Das Asylrecht kennt keine Obergrenze. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention ist jeder EU-Staat verpflichtet, den Asylantrag eines Flüchtlings, für den er laut Dublin-Verordnung zuständig ist, nach deren Kriterien zu prüfen und ihm Schutz zu gewähren.

     

    Unglücklich hier ausgerechnet Dublin anzuführen. Besagt doch dieses Gesetz, dass Deutschland für niemand mehr zuständig ist.

  • 2G
    29482 (Profil gelöscht)

    Inwieweit ist es wichtig, dass IWF Wirtschaftswachstum prognostizieren? Geht es jetzt um Moral oder Wirtschaftswachstum? Die Obergrenze wird kommen, Asyl ist nur möglich, wenn der Asylgebende Staat dies auch kann. Und nach Dublin läuft ja nunmehr gar nichts.